Koalitionspoker Wie Jamaika funktionieren könnte

Seite 2/3

Raus aus der Kohle?

Die Weiterentwicklung solcher Instrumente könnte ein Hebel sein, auf den sich alle Parteien verständigen könnten. Keiner der sondierenden Politiker bezweifelt schließlich den durch CO2 verursachten Klimaschaden. Also sollten sie bereit sein, dem Klimaschädiger ein Preisschild anzuhängen.

Fünf Gründe, warum Klimaschutz in Jamaika-Gesprächen so heikel ist

Union und FDP hätten damit ihr Ziel erreicht, dass hoch effiziente Diesel- und Benzinerfahrzeuge weiterhin attraktive Produkte bleiben können. Die Grünen wiederum könnten verbreiten, dass ihre Politik dazu führen wird, dass Elektroautos immer attraktiver werden und der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nur eine Frage der Zeit ist. Ohnehin dürfte vielen klar sein: Sobald das Reichweitenproblem bei den Elektroautos gelöst ist, werden sich Stromer automatisch durchsetzen. Weil E-Autos mehr Spaß machen.

3. Kohleausstieg

Ein Klimakonsens der Jamaika-Regierung dürfte die wohl langwierigsten Verhandlungen erfordern. Die Grünen wollen raus aus der Kohle. Die 20 dreckigsten Kraftwerke wollen sie so schnell wie möglich abknipsen. 2030 soll es gar keins mehr geben. Union und FDP lehnen das ab. Sie liebäugeln mit langfristig preiswerter Energie. Dazu gehöre auch der Beitrag der Braunkohlekraftwerke.

Worüber FDP und Grüne streiten werden

Aber immerhin: Alle Parteien bekennen sich zu dem Pariser Klimaabkommen. Dieses gemeinsame Ziel ist der Schlüssel zu einer gemeinsamen Klimapolitik. Dass die Stromproduktion aus Braunkohle mit seinen hohen CO2-Emissionen keine dauerhafte Zukunft hat, sehen auch Liberale und Konservative so. Bei der Union heißt es etwa: „Der langfristige Ausstieg aus der Braunkohle muss parallel zu einer konkreten neuen Strukturentwicklung verlaufen.“

Die FDP formuliert das ähnlich. Stefan Kapferer, Chef des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und damit Lobbyist auch der fossilen Stromproduktion, hatte jüngst auf einer Veranstaltung verkündet, dass ganz Deutschland klar sei: der Ausstieg komme. Die Frage sei  eben nur, wie schnell. Kapferer ist FDP-Mitglied. Er nahm auch an Sondierungsgesprächen teil.

Alle Parteien sind sich also einig, dass die Zeit für die Braunkohle abläuft. Nun geht es also um einen sozialverträglichen Umbau der Stromproduktion. In Nordrhein-Westfalen und Brandenburg leben noch immer Tausende Arbeiter von der Kohleindustrie. Allein in der Lausitz bangen 8000 Menschen um ihren Job, sollte der Kohleausstieg beschlossen werden. In NRW sind es noch mehr. Ein staatlicher Fonds für die regionale Strukturhilfe dürfte daher bei allen Parteien gesetzt sein.

Wie geht Verbraucherschutz auf Jamaikanisch?
Millionen Supermarktkunden sind Millionen Wähler. Genau wie Millionen Mieter, Autofahrer und Bankkunden. Das wissen natürlich auch CDU, CSU, FDP und Grüne, die in ihren Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis am Mittwoch über Verbraucherschutz beraten wollen. Die Erwartungen an bessere Kundenrechte und mehr Schutz vor Mogeleien sind hoch. Vor allem bei Lebensmitteln und der generellen Ausrichtung der Landwirtschaft prallen aber Welten aufeinander. Die ländlichen Regionen sollen überhaupt stärker in den Fokus kommen. Quelle: dpa
Lebensmittel:Wie ist klarer zu erkennen, was in Lebensmitteln steckt? Die Grünen fordern etwa eine „Nährwertampel“ - also einen Aufdruck, der in rot, gelb oder grün den Gehalt an Fett, Salz und Zucker signalisiert. Für die Union ist die Idee schon seit Jahren ein rotes Tuch. Die Grünen wollen auch eine Kennzeichnung für Fleisch, die die Haltungsform der Tiere anzeigt - wie es bei Eiern bereits Pflicht ist. Die Union will ein freiwilliges „Tierwohl-Label“ für höhere Standards weiterverfolgen, das die große Koalition nicht mehr zustande brachte. Die FDP setzt auf Investitionsförderung für bessere Tierhaltung und warnt vor „zu ehrgeizigen Tierwohl-Zertifizierungen“. Quelle: dpa
Landwirtschaft:Die Zukunft der Landwirtschaft dürfte zur Kampfzone werden. Oder kann es gerade einer Jamaika-Konstellation gelingen, alte Gräben zu überwinden? Die Grünen wollen den Ökolandbau fördern und die „industrielle Massentierhaltung in den nächsten 20 Jahren beenden“. Die Union stellt schon mal Stoppschilder auf. „Wir wollen keinen Feldzug gegen unsere Landwirte“, donnert CSU-Chef Horst Seehofer. Heikel ist, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorpreschte und sich beim Bauerntag für das umstrittene Unkrautgift Glyphosat verbürgte, das für die Grünen ein Symbol falscher Agrarpolitik ist. Quelle: dpa
Ländliche Räume:Rund die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt auf dem Land. Und viele dünn besiedelte Regionen haben mit Abwanderung zu kämpfen. Deshalb soll für sie endlich zusätzliche Förderung her. Ganz oben auf der Liste steht schnelles Internet bis in die Dörfer. Das soll aber nicht alles sein, es geht auch um ärztliche Versorgung und Verkehrsanbindungen. Die Union will zudem Hochschulen und Behörden dezentral ansiedeln, die Grünen denken an „ländliche Zwergschulen“ mit Ganztagsbetreuung. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hat eine über vier Jahre verteilte „Land-Milliarde“ des Bundes vorgeschlagen. Quelle: dpa
Kundenrechte:Zum weiten Feld des Verbraucherschutzes gehören noch mehr, teils umstrittene Projekte. Die Grünen streben für Fälle mit Tausenden Betroffenen wie den VW-Skandal neue Klagerechte an. Damit sollen sich Verbraucher zu „Gruppenklagen“ zusammenschließen können. Die Grünen wollen auch Überziehungszinsen bei Girokonten gesetzlich begrenzen. Die Union will digitale Instrumente für Verbraucherschutz voranbringen - zum Beispiel mit digitalen Verträgen, die automatische Entschädigungszahlungen bei Zug- oder Flugverspätungen auslösen. Die FDP will betriebliche und private Altersvorsorge-Produkte attraktiver machen, etwa mit mehr Verbraucherfreundlichkeit und Vergleichbarkeit. Quelle: dpa
Mietpreisbremse:Explodierende Mieten sind längst nicht mehr nur ein Großstadtproblem. Auch in kleineren Unistädten ist das Wohnen für viele kaum noch bezahlbar. Dass die Mietpreisbremse, die die große Koalition auf Wunsch der SPD eingeführt hat, nicht gut funktioniert, belegen Studien. Sie soll in Ballungsräumen verhindern, dass Vermieter zu viel verlangen, aber es fehlt an Transparenz. Was wird aus dem Instrument: Abschaffen (will die FDP), nachschärfen (wollen die Grünen), oder irgendwie auslaufen lassen (deutet die CDU an)? Quelle: dpa
Wohnungsbau:Mehr Wohnungen müssen her, das ist immerhin Konsens. Aber wer soll sie bauen und für wen? Anreize könnten unter anderem über Steuernachlässe geschaffen werden, das überschneidet sich dann mit dem Bereich Finanzen und Haushalt. Sozialer Wohnungsbau ist eine weitere Baustelle. Die Grünen wollen „eine Million Wohnungen bauen und sozial binden“, Genossenschaften wiederbeleben und eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Die FDP fordert eine Zweckbindung der bestehenden Bundeszuschüsse für die Länder, damit diese mit dem Geld auch wirklich Wohnungen bauen. Ob diese Zuschüsse über 2019 hinaus überhaupt noch gezahlt werden sollen, ist auch offen. Quelle: dpa

Strittig bleibt aber, bis wann ein Ausstieg aus der Kohle machbar und gewünscht ist. Die Liberalen liebäugeln mit der Weiterentwicklung des Emissionshandels als globales Klimaschutzinstrument. Dagegen hätten wohl auch Union und Grüne nichts. Aber die Durchsetzung bleibt schwierig, weil man dafür Partner in Europa bräuchte.

Eine Lösung könnte daher eine Verteuerung von CO2-Emissionen sein. Ex-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte dafür mal eine Kohleabgabe ins Spiel gebracht, bis er unter dem Lobby-Druck der Gewerkschaften einbrach und sich für eine Kohlereserve aussprach. Doch das Konzept einer Kohleabgabe, die jede Tonne CO2 teurer macht, liegt bereits in der Schublade. Durchaus möglich, dass die FDP da mitzieht, denn so würden Kohlestrom nicht verboten, sondern lediglich verteuert. Auf diese Preisanreize könnte dann der Markt reagieren. Gegebenenfalls sogar mit hoch effizienten Kohlekraftwerken, die den wirtschaftlichen Betrieb weiter erlauben. Die Grünen könnten behaupten, ein Ende der Kohle eingeleitet zu haben. Und Union und FDP könnten auf die Innovationschancen der Industrie hinweisen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%