Koalitionsverhandlungen 160 Milliarden Euro für die nächste Regierung – ohne Steuererhöhung

Das Bundesministerium der Finanzen könnte viele zusätzliche Milliarden an Steuergeldern eintreiben. Quelle: dpa

SPD und Grüne beklagen zu geringe Mittel für ökosoziale Projekte, weil die FDP auf der Schuldenbremse steht. Dabei könnte bereits der Abbau zweifelhafter Subventionen für einen wahren Geldregen sorgen.

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Gigantische Summen rufen die Grünen auf, um Deutschland in den nächsten Jahren ins Zeitalter der Klimaneutralität zu beamen. 500 Milliarden Euro schwirren als Forderung durch Berlin – mehr als ein ganzer Bundesetat zusätzlich zum regulären Budget. Auch die SPD hat kostspielige Pläne für ihre Sozialprojekte. Dafür aber müsste die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgehebelt werden, und auch auf Steuererhöhungen haben es die Roten und Grünen abgesehen. Indes, der dritte im Bunde verweigert sich diesem finanzpolitischen Deal. Die FDP wollte vielmehr Steuersenkungen  und beharrt nun auf strikte Einhaltung der Schuldenbremse – und so findet sich die Ampelkoalition in einer Pattsituation wieder. Als Heldennotausgang wollen nun ganz pfiffige Politiker Zukunftsfonds kreieren, um mit solchen Schattenhaushalten den stabilen Finanzrahmen zu  sprengen. Dabei gäbe es einen anderen, seriösen, ganz und gar löblichen Weg: den Abbau antiquierter Subventionen und vor allem einen konsequenten Kampf gegen Steuerhinterzieher. 

Tagtäglicher Betrug

Allein der tagtägliche Betrug im Onlinehandel und an den stationären Ladenkassen dürfte den deutschen Staat Jahr für Jahr jeweils zehn Milliarden Euro kosten, schätzt der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, gegenüber der WirtschaftsWoche. Die Maßnahmen dagegen sind, nun ja: lau bis lächerlich. Vor allem chinesische Händler liefern vom Adapter über Parfums bis zum T-Shirt Waren für viele Milliarden Euro und zahlen noch immer nur Umsatzsteuer für wenige 100 Millionen Euro. Unsere Gastronomen, Wochenmarkthändler oder Friseure können weiterhin mit offenen Ladenkassen hantieren, da die Pflicht für manipulationssichere Registriersysteme nur für elektronische Kassen gilt und Bon-Kontrollen so gut wie nicht stattfinden. Von großem Engagement seitens der Politik kann hier keine Rede sein. Über eine Legislaturperiode von vier Jahren entgehen dem Fiskus damit beim Online- und Kassenbetrug viermal 20 Milliarden Euro an Umsatz- und Einkommensteuer, macht 80 Milliarden Euro. 

Zu viel Nachsicht mit Cum-Cum-Tricksern

Apropos Steuerhinterziehung: Die großen Skandale um Cum-Ex- und Cum-Cum-Deals hat die Politik nicht wirklich mit Elan aufarbeiten wollen. Bei Cum-Ex, also der mehrfachen Erstattung von einmal gezahlten Kapitalertragsteuern, ist die Justiz mühsam dabei, die alten Fälle abzuarbeiten. Hilfe von der Politik? Weitgehend Fehlanzeige. Dabei könnten die zuständigen Staatsanwaltschaften dringend mehr Personal gebrauchen, sagt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. Lohnend wäre es allemal. Die Cum-Ex-Tricks haben den Fiskus schätzungsweise um zehn Milliarden Euro in Deutschland geprellt. Bei Cum-Cum, wo ausländische Investoren um den Dividendenstichtag ihre Aktienpakete kurzzeitig an hiesige Finanzinstitute zum Schein verkauften und so die Kapitalertragsteuer umgingen (weil deutsche institutionelle Anleger sie erstattet bekommen), liegt der Schaden wohl bei 28 bis 36 Milliarden Euro. Nur, ernsthafte Bemühungen um eine Rückforderung der erstatteten Steuern gibt es nicht. Zwischenfazit: Gut 40 Milliarden Euro könnte der Staat bei einer konsequenten Aufarbeitung der Dividendensteuerskandale eintreiben. Zusammen mit den 80 Milliarden beim Online- und Kassenbetrug wäre man bei 120 Milliarden Euro.

Altes Dieselprivileg

Viel Geld entgeht dem Staat überdies durch zahlreiche Subventionen. Nicht alle sind heute noch zu rechtfertigen. Dabei wäre eine regelmäßige Überprüfung aller Subventionen eine Staatspflicht. „Eine Abschaffung des antiquierten Dieselprivilegs aus den neunziger Jahren würde dem Staat allein acht Milliarden Euro einbringen“, sagt Rechnungshofpräsident Scheller im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Pro Jahr. Und das sei nur eine von vielen umweltschädlichen Steuervergünstigungen, man denke zum Beispiel an die wohlwollende Besteuerung privat genutzter Dienstwagen. Auch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen im privaten Haushalt könnte die nächste Bundesregierung angesichts des boomenden Handwerks beenden. Die zwei Milliarden Euro pro Jahr an Handwerksubventionen könnte der Staat an anderer Stelle dringender gebrauchen, sagt Scheller. In vier Jahren sind es acht Milliarden Euro. Rechnet man die 32 Milliarden Euro für weitere vier Jahre Dieselprivileg hinzu, ergeben sich bei den Subventionen allein 40 Milliarden Euro Spielraum für ökosoziale Projekte. Zusammen mit den 80 Milliarden aus der Betrugsbekämpfung und 40 Milliarden aus Rückforderungen bei den Cum-Steuertricks wären es 160 Milliarden Euro. 

30 Milliarden Euro an Ermäßigungen

Dabei ginge noch einiges mehr bei konsequenter Überprüfung aller Begünstigungen. Bei der Mehrwertsteuer haben die verschiedenen Regierungen im Laufe der vergangenen 50 Jahre zahlreiche Ermäßigungen eingeführt, für Nahrungsmittel, für Schnittblumen, für Gemälde etc. pp. Die Mindereinnahmen, die sich aus der Erhebung von nur 7 statt regulär 19 Prozent Mehrwertsteuer ergeben, dürften sich jährlich auf mindestens 30 Milliarden Euro belaufen, davon etwa zwei Drittel für Nahrungsmittel. 

Schlagkraft erhöhen

Schließlich würde es sich für den Staat lohnen, wenn er die Schlagkraft der Finanz- und Zollbehörden erhöht – möglicherweise durch mehr qualifiziertes Personal und vor allem durch eine technische Ausstattung, die den digitalen Möglichkeiten des 21. Jahrhundert gerecht wird. Allein durch die extrem dünne Betriebsprüfdichte von Unternehmen (Kleinbetriebe werden im statistischen Durchschnitt nur alle paar Jahrzehnte kontrolliert) und mangelnde Kontrollen von Shisha-Bars oder Spielhallen entgehen dem Fiskus Milliarden.



All diese Maßnahmen sind im Übrigen nicht nur gut zum Auffüllen der Staatskasse, sondern leisten auch einen Beitrag für fairen Wettbewerb gegenüber den Steuerehrlichen oder für die Umwelt (Diesel). Und vielleicht könnte der ein oder andere Betroffene gut damit leben, auf alte Steuerprivilegien zu verzichten – wenn das Geld statt dessen dem Klimaschutz und der Zukunftsfähigkeit des Landes zugute kommt.

Mehr zum Thema: „Auf Unentschieden gestellt“: Warum große Steuerreformen von der Ampel-Regierung kaum zu erwarten sind

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