Koalitionsverhandlungen „Auf Unentschieden gestellt“: Warum große Steuerreformen von der Ampel-Regierung kaum zu erwarten sind

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Quelle: dpa

Immer klarer wird: Größter Streitpunkt bei den Koalitionsverhandlungen von SPD, FDP und Grünen sind Finanzfragen. Die Neuigkeiten zu den Ampelgesprächen im Überblick.

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Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Anton Hofreiter plädiert für eine Verschuldung staatlicher Gesellschaften zur Beschaffung von Geldern für Investitionen. „Ganz genau“, antwortet Anton Hofreiter in der ARD auf die Frage, ob sich die Koalition jenseits des Bundeshaushalts verschulden solle. Als Beispiele für Unternehmen im Besitz des Bundes, die die Schulden aufnehmen könnten, nennt er die Deutsche Bahn, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und die KfW Bankengruppe. Weitere Möglichkeiten, die Einkommen des Staates zu vergrößern, sieht Hofreiter im Bürokratieabbau und in der Förderung von Wirtschaftswachstum.

Bei der Finanzierung von Investitionen sind SPD, Grüne und FDP sich uneinig. Eine Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen durch eine Steuerreform ist laut SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Grünen-Co-Chef Robert Habeck etwa nur bei steigenden Steuereinnahmen möglich. Beide Politiker sagten in der ARD-Sendung „Anne Will“ am Sonntag: Ohne Steuererhöhungen fehle dafür der Spielraum. Man werde nun in den kommenden vier Jahren sehen, welche Möglichkeiten sich noch ergäben. Die FDP lehnt Steuererhöhungen strikt ab.

Die Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen durch eine Steuerreform ist laut SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Grünen-Co-Chef Robert Habeck nur bei steigenden Steuereinnahmen möglich. Beide Politiker sagten am Sonntag in der ARD-Sendung „Anne Will“, ohne die von der FDP verhinderten Steuererhöhungen fehle dafür der Spielraum. Man werde nun in den kommenden vier Jahren sehen, welche Möglichkeiten sich noch ergäben. Scholz zeigte sich zugleich überzeugt, dass das Bundesverfassungsgericht den noch bestehenden Soli-Zuschlag für Besserverdienende nicht kippt. Er sei sich „so sicher wie man sein kann vor Gericht“. Habeck äußerte sich vorsichtiger und verwies darauf, man müsse man eine Entscheidung Karlsruhes abwarten. Sollte der Soli komplett abgeschafft werden müssen, rechnen Experten mit einem Milliardenloch bei den Steuereinnahmen.



„Insofern gibt es in dem Bereich der Finanzpolitik, der die Steuern umfasst, keine große Bewegung, das muss man ehrlich sagen“, sagte Habeck zu den Ampel-Gesprächen über eine Steuerreform. Im Bereich der steuerlichen Be- und Entlastungen sei die Sondierung zwischen den drei Parteien „quasi auf Unentschieden gestellt“. Wegen der FDP und auch der Union seien Verfassungsänderungen an der Schuldenbremse nicht möglich, so dass der Spielraum durch eine Neuverschuldung begrenzt sei. Dafür habe die FDP aber auch keine Senkung der Unternehmenssteuern durchsetzen können.

Scholz und Habeck verwiesen aber auf andere verabredete Reformen und betonten, dass etwa die geplante Abschaffung der EEG-Umlage auch Privatpersonen entlaste und damit Mehrkosten für höhere Energiepreise ausgleichen könne. Scholz sprach von einem Betrag von 300 Euro für eine vierköpfige Familie. Er verwies zudem auf die geplante Aufstockung des Mindestlohns auf zwölf Euro und die verabredete Aufstockung der Grenzen sogenannter Midi-Jobs, von der vor allem untere Einkommen profitieren würden.

Bei der SPD zeichnet sich ab, dass ein Sonderparteitag über die Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag zur Bildung eines Ampelbündnisses mit Grünen und FDP im Bund entscheiden soll. Als Termin sei dafür das erste Dezember-Wochenende im Gespräch, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Montag aus Parteikreisen. Dies werde geprüft, eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. Damit könnte in der Woche darauf Olaf Scholz (SPD) vom Bundestag zum Bundeskanzler gewählt werden, wenn zuvor auch FDP und Grüne zugestimmt haben. Diesen Zeitplan hatten die drei Parteien zum Auftakt ihrer Koalitionsverhandlungen am Donnerstag angekündigt.

Allerdings deutet sich nicht nur in der Finanzpolitik Streit an. Die neue grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger stellte zu Beginn der Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP eine Forderung. Sie erklärt den Stopp von Enteignungen für den Braunkohletagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen zu ihrer roten Linie bei den Koalitionsverhandlungen. Im Rheinland dürfe kein weiteres Dorf dem Abbau weichen, sagt sie im Deutschlandfunk. Sie fordert einen Kohleausstieg noch vor 2030 und eine Verfünffachung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien in der neuen Legislaturperiode.

Der Sozialverband VdK und das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo äußern unterdessen Zweifel an Plänen der Ampel-Partner zum Einstieg in eine Kapitaldeckung bei der gesetzlichen Rente. „Internationale Pensionsfonds haben gezeigt, dass Anlagen nicht unbedingt sozialverträglich sind. Sie investieren in Hedgefonds, die Arbeitsplätze vernichten oder in den Berliner Wohnungsmarkt“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montagausgabe). Zudem seien viele Fragen offen, etwa, wo die zehn Milliarden Euro für den geplanten staatlichen Renten-Kapitalstock herkommen sollten, „wenn es keine Steuererhöhungen oder eine Vermögensabgabe gibt“. Auch der Rentenexperte des Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz, kritisiert die Pläne zu einer Kapitaldeckung der Rente. Dies würde „an der Problematik der fehlenden Nachhaltigkeit der Rentenfinanzierung nichts ändern“, sagt der Ökonom den Funke-Zeitungen. „Letzten Endes kommt eine solche Maßnahme kurzfristig nur den Verkäufern von Aktien zugute.“

Der FDP ist die Anzahl der Fotovoltaikanlagen zur Stromerzeugung auf Bahnhofsdächern der Bahn (DB) zu wenig. „Während Deutschland über eine Solarpflicht für Eigenheimbesitzer diskutiert, ignoriert die Deutsche Bahn AG den Ausbau von Solarenergie bei eigenen Immobilien bisher fast vollständig. Das ist nicht nur eine vertane Chance, es widerspricht auch dem sorgfältig gepflegten grünen Image der Bahn“, sagt Herbst, der Teil des Koalitions-Verhandlungsteams der FDP für den Bereich Wirtschaft ist, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). Der Konzern könne selbst einen weitaus größeren Beitrag zu mehr erneuerbaren Energien leisten, indem er den Bau von Solardächern massiv vorantreibe. Auf drei Bahnhofsdächern betreibt der Staatskonzern eigene Solaranlagen, an elf weiteren Standorten hat die DB Dachflächen für die grüne Stromgewinnung verpachtet. Die DB prüfe nach Angaben des RND derzeit, ob weitere Flächen auf Bahnhofsgebäuden oder Bahnanlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien geeignet sind.

Mehr zum Thema: Wie soll eine mögliche Ampelkoalition ihre gewünschten Investitionen finanzieren? Unsere Recherche zeigt: Sie muss kreativ werden.

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