
Berlin CDU, CSU und SPD müssen bei ihren Koalitionsverhandlungen eine Reform des Finanzausgleichs der Krankenkassen dringend auf die Agenda nehmen. Dafür haben sich am Mittwoch der Verband der Ersatzkassen, der Dachverband der Betriebskrankenkassen und der Verband der Innungskrankenkassen in einem gemeinsamen Appell an Union und SPD eingesetzt. Sie vertreten zusammen mehr als 60 Prozent der 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland.
Der Vorstandschef des Verbands der Betriebskrankenkassen, Franz Knieps, warnte in einem Gespräch mit dem Handelsblatt vor einer Konkurswelle unter den Krankenkassen beim nächsten Konjunkturabschwung – sollte die nächste Bundesregierung das Thema nicht endlich in Angriff nehmen. Viele Kassen überlebten derzeit nur wegen der guten Wirtschaftslage. „Bleiben die Ungerechtigkeiten im System bestehen und bricht der Aufschwung ein, sterben die Krankenkassen reihenweise“, warnte Knieps.
Die übrigen Kassenverbände wollen so weit nicht gehen. Sie beklagen in ihrem Appell an die Koalitionäre lediglich, dass ohne Änderungen am Ausgleichssystem faire Wettbewerbsbedingungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht zu erreichen seien.
„Es kann nicht sein, dass die Politik sehenden Auges toleriert, dass die Ortskrankenkassen (AOK) seit Jahren erheblich mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds erhalten, als sie zur Versorgung ihrer Versicherten benötigen, andere Krankenkassen dagegen zu wenig.“ Diese sogenannte Überdeckung liege mittlerweile bei rund 1,5 Milliarden Euro. Die Ortskrankenkassen erhielten dadurch systematische Wettbewerbsvorteile. Sie könne mit niedrigeren Zusatzbeiträgen um Versicherte werben, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.
Die Politik sollte sich für schnelle gesetzgeberische Maßnahmen zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen einsetzen. Dies sei wichtig, um die Vielfalt der Krankenkassen zu erhalten, und eine gute medizinische Versorgung für alle Versicherten sicherzustellen. Die Reform des Finanzausgleichs dürfe nicht länger auf die lange Bank geschoben werden, fordern die Kassenverbände. Knieps warnte vor einer Einführung der „Einheitskasse durch die Hintertür“, sollte die Politik nicht handeln.
Genau das scheint nach Informationen aus Verhandlungskreisen aber bisher der Plan zu sein. Allenfalls werde es einen Hinweis im Koalitionsvertrag geben, dass der Finanzausgleich weiterzuentwickeln sei, heißt es. Formal wird das damit begründet, dass derzeit noch einige Gutachten zum Finanzausgleich in Arbeit sind. So wird im Auftrag des Gesundheitsministeriums untersucht, auf welche Weise die hohen regionalen Kostenunterschiede, die es in Deutschland bei der Gesundheitsversorgung gibt, besser ausgeglichen werden können. Es soll erst im April vorliegen.
Die Koalitionäre stehen offenbar auch auf dem Standpunkt, dass derzeit noch keine Gefahr im Verzug ist. Grund sind die hohen Überschüsse, die das Gesundheitssystem derzeit insgesamt erzielt. Sie führen dazu, dass auch eher im Finanzausgleich benachteiligte Krankenkassen wie die Barmer, die DAK und die KKH ihre Rücklagen ein wenig auffüllen konnten. Doch gelingt das den Kassen bereits heute auch nur dadurch, dass sie überdurchschnittliche Zusatzbeiträge vom ihren Versicherten fordern.
So verlangen die DAK und die KKH einen Zusatzbeitrag von 1,5 Prozent. Bei der Barmer sind es 1,1 Prozent. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag liegt derzeit bei einem Prozent. Dagegen glänzt die AOK Sachsen-Anhalt mit 0,3 Prozent Zusatzbeitrag. Insgesamt fordern die Ortskrankenkassen, von denen wenige wie die AOK Bayern auch im Ausgleich eher benachteiligt sind, im Durchschnitt 0,95 Prozent Zusatzbeitrag.
Knieps Befürchtung ist nun, dass in dem Moment, in dem in Folge einer Konjunkturdelle die Beschäftigung und mit ihr die Einnahmen der Krankenkassen einbrechen, die im Finanzausgleich benachteiligten Kassen sehr schnell unter Wasser geraten könnten. Sie müssten dann ihre Zusatzbeiträge in kurzer Zeit deutlich erhöhen. Da ihre Versicherten dann ein Sonderkündigungsrecht hätten, würden sie in der Folge massiv Mitglieder verlieren. Ein Teufelskreis, den es in Deutschland zuletzt 2011 gegeben hat.
Damals musste die City BKK Konkurs anmelden. Schuld war schon damals die bis heute bestehende Unwucht im Finanzausgleich, auch wenn das Bundesversicherungsamt das damals nicht wahrhaben wollte. Da sie nicht genug Geld aus dem Ausgleich erhielt, um die Behandlungskosten ihrer vor allem in teuren Ballungsräumen lebenden Versicherten zu decken, musste sie schon 2010 einen Zusatzbeitrag von acht Euro einführen. Daraufhin kündigten bereits etliche Mitglieder. 2011 war sie auch deshalb gezwungen, den Zusatzbeitrag zu verdoppeln, woraufhin die Versicherten die Kasse in Massen verließen. Das Bundesversicherungsamt schloss die Kasse daraufhin zum 1.Juli 2011, weil die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kasse auf Dauer nicht mehr gesichert sei“.
In der Folge standen weit mehr als 100.000 Versicherte auf der Straße, darunter sehr viele Kranke und alte Versicherte. Sie hatten in der Folge große Probleme bei einer anderen Kasse Unterschlupf zu finden. Es gab unschöne Bilder von gebrechlichen Menschen, die Schlange standen vor den Servicestellten von AOK und Barmer. Nicht wenige waren von anderen Kassen abgewimmelt worden, die Angst vor den schlechten Risiken hatten. Solche Bilder könnte es wieder geben, warnt Knieps.