
Berlin Große Durchbrüche bei Konfliktthemen hat es bisher bei den Koalitionsverhandlungen von SPD und Union nicht gegeben. Das gilt auch für die wichtigen Themen Rente, Pflege und Gesundheit. Für alle drei Bereiche zeichnet sich lediglich ab, dass man sich nun quasi endgültig auf das verständigen wird, was bereits bei den Sondierungsverhandlungen beschlossen worden ist.
So teilte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer heute zum Thema Pflege eigentlich nur Altbekanntes mit. Ziel ist es demnach, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in der Krankenhaus- und Altenpflege zu verbessern. Gelingen soll das unter anderem dadurch, dass für die Pflege in Zukunft flächendeckend Tarifverträge zur Anwendung kommen. Die Krankenhäuser sollen verpflichtet werden, die jährlichen Tariferhöhungen für das Pflegepersonal voll gegenzufinanzieren. Bislang gilt das nur für den halben Erhöhungssatz. Allerdings müssen die Kliniken nachweisen, dass sie ihre Mitarbeiter auch nach Tarif bezahlen. Das machen viele vor allem private Klinikketten bisher nicht.
In der medizinischen Behandlungspflege soll es quasi als Sofortprogramm 8.000 neue Fachkräfte in Pflegeeinrichtungen geben. Das hört sich jedoch nach mehr an, als es tatsächlich ist. Denn die Einigung in der Pflege ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. „Das sogenannte Sofortprogramm mit 8.000 zusätzlichen Altenpflegekräften bedeutet weniger als eine zusätzliche Fachkraft pro Pflegeheim – und das auf Kosten der Heimbewohner, die die medizinische Behandlungspflege überwiegend selbst aufbringen müssen“, kritisierte denn auch die Pflegeexpertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche. „Das ist unverantwortlich und zeigt, dass die Verhandler der GroKo den Pflegenotstand nicht verstanden haben.“ Die Vorschläge der Grünen sähen insgesamt 50.000 zusätzliche Stellen im Krankenhaus und in der Altenpflege vor. Das sei jetzt zu tun.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Pläne von Union und SPD als „Silvesterfeuerwerk“. Denn 8.000 Pflegekräfte zusätzlich bedeuteten für die Pflegekassen Mehrausgaben von 280 Millionen Euro. Das stehe in deutlichem Missverhältnis zu den drei Milliarden Euro, die die Pflegeheimbewohner jährlich aus eigener Tasche für die Behandlungspflege aufbringen müssten, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.
Für Krankenhäuser besteht bereits die Verpflichtung, Personaluntergrenzen für pflegeintensive Bereiche festzulegen. Diese sollen nun auf alle Abteilungen ausgedehnt werden, in denen Betten stehen. Geplant ist zudem, das Schuldgeld für alle Heilberufe abzuschaffen. Mit der Pflegeberufereform wurde dieses Ziel bereits für die Altenpflege erreicht. Dagegen müssen Physiotherapeuten und Egotherapeuten ihre Ausbildung zum großen Teil weiterhin selbst finanzieren – trotz eher schlechter Verdienstaussichten im späteren Berufsleben. Eine wichtige, bereits in den Sondierungsverhandlungen erreichte Neuerung ist auch, dass die Kinder von pflegebedürftigen Eltern in Zukunft kaum noch von den Sozialämtern zur Kasse gebeten werden können, wenn die Pflegebedürftigen die Pflegekosten nicht aus eigener Tasche bezahlen können. Das Sozialamt darf in Zukunft erst ab einem Einkommen von 100.000 Euro im Jahr auf diese Möglichkeit zurückgreifen.
Im Kapitel Gesundheit bleibt es bei der Verabredung, dass in Zukunft die Arbeitgeber wieder die Hälfte des Zusatzbeitrags tragen müssen. Für die Arbeitnehmer bedeutet das eine Entlastung von zunächst sieben Milliarden Euro. Unternehmen und Rentenversicherung, die den Arbeitgeberanteil für Beschäftigte beziehungsweise Rentner zahlen müssen, werden entsprechend zusätzlich zur Kasse gebeten. Allerdings ist zu erwarten, dass der Vorteil für die Versicherten nur vorübergehender Natur ist. Denn die Unternehmen werden bestrebt sein, sich das Geld für den höheren Arbeitgeberbeitrag bei künftigen Lohnverhandlungen zurückzuholen.
Wichtig für die Krankenkassen ist auch, dass der Bund in Zukunft schrittweise die Beiträge, die er für Hartz-IV-Empfänger bezahlt, erhöhen will. Derzeit sind das rund 90 Euro pro Monat. Das Geld reicht bei weitem nicht, um die Gesundheitskosten der Langzeitarbeitslosen zu decken. Nach einer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten Studie fehlen den Krankenkassen deshalb derzeit über neun Milliarden Euro im Jahr.
Noch gar nicht aufgerufen wurden in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege die Forderungen der SPD nach einheitlichen Arzthonoraren für gesetzliche und privat Versicherte. Diese Forderung wurde auf dem SPD-Parteitag beschlossen. Die SPD-Linke sieht darin einen Einstieg in die Bürgerversicherung. In Verhandlungskreisen wurde nicht ausgeschlossen, dass am Ende die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD über dieses Thema entscheiden werden.
Ein Schwerpunkt der heutigen Verhandlungen dürfte dagegen eine bessere medizinische Versorgung auf dem Land sein. Hier liegen dem Vernehmen nach unterschiedliche Vorschläge von SPD und Union auf dem Tisch, über die sich die Verhandler bisher nicht einigen konnte.
In der Rentenpolitik bleibt es eins zu eins bei den verabredeten Projekten. Dies bedeutet, dass trotz der massiven Kritik aus der Wirtschaft das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent stabilisiert werden soll. Was in der Zeit danach mit dem Rentenniveau passieren wird, soll eine Rentenkommission entscheiden. Das ist jedoch kein großes Versprechen – nach allen bisherigen Prognosen wird das Rentenniveau wegen der guten Beschäftigungsentwicklung bis 2024 auch ohne jede Rechtsänderung stabil bleiben.
Auch bei der in den Sondierungen vereinbarten Grundrente für langjährig Versicherte soll es bleiben, ebenso beim vier Milliarden Euro teuren Ausbau der Mütterrente. Dabei schweigen sich aber die Unterhändler bisher über die Gretchenfrage zu ihren Rentengeschenken aus: Es bleibt bisher offen, ob diese aus Steuern finanziert werden – wie es die Rentenversicherung, die Wirtschaft, die Gewerkschaften und alle Experten fordern –, oder ob allein die Beitragszahler damit belastet werden sollen.