Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker „Sie ist keine Politikerin“

Sie ist parteilos, sieht sich nicht als Politikerin – trotzdem hat Henriette Reker gute Chancen, zur ersten Oberbürgermeisterin Kölns gewählt zu werden. Wer ist die Frau, die CDU, FDP und Grüne hinter sich vereint?

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Henriette Reker (parteilos) wirbt für ihre Wahl als Oberbürgermeisterin. Quelle: dpa

In ihrer Wahlkampfzentrale hängen keine Plakate, draußen prangt kein großes Logo – auch sonst erinnert der Co-Working-Space, den Henriette Reker in Sichtweite des Kölner Doms angemietet hat, kaum an ein klassisches Parteibüro. Im Gegenteil. Unter all den Start-up-Gründern und Freelancern, die hier üblicherweise zwischen Kaffee und Macbook am „Next Big Thing“ feilen, wirkt ein Wahlkampfbüro geradezu erfrischend unkonventionell. Vielleicht passt es deshalb irgendwie zu seiner Mieterin.

Henriette Reker ist die aussichtsreichste Herausforderin des SPD-Landtagsabgeordneten Jochen Ott im Rennen um das Kölner Oberbürgermeister-Amt. Obwohl sie keiner Partei angehört, weiß sie bei der Wahl am 18. Oktober die Unterstützung der Kreisverbände von CDU, FDP und den Grünen hinter sich – dreier Parteien also, „die von inhaltlicher Übereinstimmung oft weit entfernt sind“, wie sie selbst einräumt.

Die Kölner kennen die 58-Jährige seit 2010 als Beigeordnete für Soziales, Integration und Umwelt. Es waren die Grünen, die sie damals aus der gleichen Position in der Gelsenkirchener Stadtverwaltung abwarben. Inzwischen dürften die größten Hoffnungen auf Rekers Schultern allerdings aus der Union kommen: Seit 1956 durften die Kölner Christdemokraten bloß zwei Oberbürgermeister stellen – von denen einer nach einer Amtszeit von knapp einem halben Jahr überraschend verstarb.

Tatsächlich gibt CDU-Fraktionsgeschäftsführer Niklas Kienitz gegenüber dem „Handelsblatt“ unumwunden zu: „Wir wollten die aussichtsreichste Kandidatin unterstützen.“ Und mit Reker habe man jemanden in den Wahlkampf geschickt, der „in der Sache unterwegs“ sei – auch ohne CDU-Parteibuch.

In diesen Städten stehen Sie am längsten im Stau
Platz 10: Freiburg im BreisgauFreiburg ist bei Radfahrern beliebt, es gibt aber auch viele Autos in der Stadt im Breisgau – oftmals zu viele. Im vergangenen Jahr verschwendeten die Freiburger 37 Stunden im Stau. Das sind fünf Stunden mehr als noch 2013. Diese Zahlen hat zumindest das Technologieunternehmen Inrix für sein "Traffic Scoreboard" ermittelt. Gefühlt mag es für so manchen Autofahrer deutlich mehr gewesen sein. Quelle: dpa
Platz 9: NürnbergDas Stauaufkommen ist in ganz Deutschland im vergangenen Jahr gestiegen. Die Stau- und Reise-Experten von Inrix führen das auf die gute Konjunkturlage zurück: Die Haushalte haben mehr Geld, zudem habe "die große Anzahl an Bauprojekten einen signifikatnen Einfluss auf das Verkehrsaufkommen". In 17 der 22 untersuchten Ballungsräumen stieg das Verkehrsaufkommen. So standen die Nürnberger etwa sechs Stunden länger im Stau als noch 2013 und treffen so mit 38 Stunden beinahe den bundesdeutschen Schnitt, der noch eine Stunde darüber liegt. Quelle: dpa
Platz 8: RuhrgebietRelativ konstant hingegen blieb das Stauaufkommen im Ruhrgebiet – Autobahnen wie die A40 und A52 sind chronisch baustellen- und staugeplagt. Zu den 40 Stunden 2013 kamen im vergangenen Jahr noch zwei weitere hinzu. Quelle: dpa
Platz 7: BonnSo beschaulich geht es in Bonn nicht immer zu. Wie im Ruhrgebiet verschwenden die Autofahrer 42 Stunden in den Blechkolonnen in und um die ehemalige Bundeshauptstadt. Da Bonn aber nicht nur um zwei, sondern um vier Stunden zugelegt hat, wird die Stadt im Traffic Scoreboard einen Platz vor dem Ruhrgebiet gewertet. Quelle: Michael Sondermann/Bundesstadt Bonn
Platz 6: MünchenDie staureichste Strecke Deutschlands liegt in München: Auf der Bundesstraße 2R, einem 28 Kilometer langen Teilstück des Münchner Innenstadtrings, verbringen Autofahrer 68 Stunden pro Jahr im Stau. Für das Ballungsgebiet München ist die Situation aber etwas entspannter – dort sind es nur 48 Stunden, vier mehr als 2013. Quelle: dpa
Platz 5: HamburgWie im Süden, so im Norden: Die Hamburger stehen mit 48 Stunden genauso lange im Stau wie die Münchner. Nur war bei den Nordlichtern das Verkehrsaufkommen auch in der Vergangenheit schon hoch: Im vergangenen Jahr kam in Hamburg als einzige Stadt der Top Ten keine weitere Stunde hinzu. Quelle: dpa
Platz 4: DüsseldorfDieses Foto stammt aus der Zeit des Lokführerstreiks, als unzählige Arbeitnehmer mangels Zügen mit dem Auto zum Büro pendelten. Aber auch ohne Bahnstreik ist in und um Düsseldorf viel los. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt stehen die Autofahrer im Schnitt 53 Stunden im Stau – vier mehr als 2013. Quelle: dpa

Doch es geht um mehr. In Großstädten ist die CDU traditionell schwach, wenngleich das für Köln nur bedingt gilt. Bei den letzten Kommunalwahlen im Frühling 2014 verfehlten die Christdemokraten ihr Wahlziel denkbar knapp: Nur ein Sitz, genau acht Wählerstimmen, fehlten der Union damals, um die rot-grüne Regierungsmehrheit zu brechen.

Nach einem langen Rechtsstreit mit anschließender Neuauszählung eines Wahlbezirks im Mai der Skandal: Die Wahlhelfer hatten offenbar zwei Stapel vertauscht, die CDU somit einen weiteren Bezirk gewonnen – woraufhin die rot-grüne Stadtregierung unter Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) ihre knappe Mehrheit nach nur einem Jahr schon wieder verlor.

Mit Reker als Kandidatin, seit 2000 Sozialdezernentin in Gelsenkirchen, ergibt sich für die Union so anderthalb Jahre nach der Kommunalwahl plötzlich eine überraschende Machtoption. Denn die Jamaika-Koalition, die sich zumindest für die OB-Wahl hinter Henriette Reker zusammengeschlossen hat, käme mit den Ergebnissen von 2014 auf eine Mehrheit.

Die Schnittmenge sei groß, so Kienitz. „Ihre Inhalte sind auch CDU-Inhalte.“ Reker spreche mit ihrem Themenmix aus Sozialem, Wirtschaft und Bürgerbeteiligung verschiedene Wählermilieus an und biete der CDU etwas, was ihr oft abgesprochen werde: „Vielfalt.“

Wovon Reker profitieren könnte

Gleichzeitig knarzt es im rot-grünen Gebälk: Das Verhältnis zwischen der Grünen-Fraktion im Stadtrat und dem SPD-Kandidaten Ott scheint zerrüttet. Der Kölner Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Jörg Frank, warf Ott zuletzt Wählermanipulation vor, als dieser im Namen der Partei Wahlwerbung mit dem offiziellen Logo der Stadt verschickte.

Offenbar nahm selbst der aktuelle Bürgermeister Roters die Aktion seines Parteifreunds mit Befremden zur Kenntnis. Jedenfalls ließ er tags darauf eine Mitteilung herausgeben, in der sich die Stadt von dem Schreiben distanzierte. Für Jörg Frank von den Grünen ist der Fall eindeutig: „Das ist eine indirekte Zurechtweisung der SPD und Jochen Ott durch die von Roters geführte Verwaltung.“

Wer derartige Geschichten aus dem Kölner Parteiengeplänkel hört, versteht schnell warum Henriette Reker so viel Wert darauf legt, trotz überparteilicher Unterstützung als unabhängige Kandidatin wahrgenommen zu werden. „Ich führe meinen eigenen Wahlkampf“, erklärt sie dann zum Beispiel. Oder: „Politik muss die richtige Reihenfolge haben: Erst kommt die Stadt, dann die Partei.“

Da wundert es ein wenig, dass ausgerechnet drei profilierte Parteipolitiker an vorderster Front Stimmung für die Parteilose machen: Neben der ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins und jetzigen Düsseldorfer Bezirksregierungspräsidentin Annemarie Lütkes (Grüne),und Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU), der die Domstadt von 2000 bis 2009 regierte, ist auch die linksliberale Parteigröße Gerhart Baum an der „Wählerinitiative Henriette Reker“ beteiligt. Bei der Gründungsfeier im Mai dankte der FDP-Bundesinnenminister a. D. und Wahl-Kölner der Sozialdezernentin persönlich für ihre Kandidatur – und fügte in Richtung Publikum hinzu: „Sie ist ein Glücksfall!“

Oberbürgermeister und Regierungschefs in den 10 größten deutschen Städten (nach Einwohnerzahl)

In ihrem Büro wirkt die studierte Juristin trotz des Lobes bescheiden. Spricht sie aber von Köln, wird Reker euphorisch: „Ich erinnere mich an die erste Art Cologne, eine Kunstmesse, die 1967 in Zelten stattfand. Das war unwahrscheinlich gut.“ Um dann in einem Nebensatz ihren Stolz für die Stadt aufblitzen zu lassen: „Da ist Köln auf Augenhöhe mit New York besprochen worden.“

Es sind typisch urbane Themen, mit denen Reker punkten will – verbesserter Fahrradverkehr, Förderung freier Kulturprojekte, Wohnungsbau und Klimaschutzkonzepte. Gleichzeitig bleibt sie anschlussfähig für die Union: „Ökologie und Ökonomie sind für mich ein Paar, keine Gegensätze.“

Ähnliches gelte für den Sozialbereich: „Es wird Sie vielleicht wundern, aber als Sozialdezernentin verantworte ich den zweitgrößten Einzelhaushalt dieser Stadt. Das sind rund 900 Millionen Euro.“ Sie wisse daher sehr genau, wie wichtig es sei, dass die Wirtschaft funktioniert: „Nur Wirtschaft schafft Wohlstand.“

Doch neben ihrem Sinn für die Einnahmenseite ist es noch etwas anderes, das der Kölner CDU-Fraktionsgeschäftsführer Niklas Kienitz an Henriette Reker schätzt – überraschenderweise: „Sie ist keine Politikerin. Das macht ihren Charme aus.“

Warum sie mehr Unterstützung von Land und Bund fordert

Auch Reker selbst bezeichnet sich nicht als Politikerin, sondern als Verwaltungsfachfrau – ihren Stil als „Professionalisierung der Verwaltung“. Dass diese nötig sei, zeige die aktuelle Posse um die verschobene Wahl: Weil die Parteinamen auf dem Wahlzettel rund zweieinhalb Mal so groß gedruckt waren als die der Kandidaten, kassierte die Düsseldorfer Bezirksregierung die fehlerhaften Stimmzettel ein. Da rund 53.000 Briefwähler ihre Stimme bereits abgegeben hatten und nun erneut abstimmen müssen, ist die Wahl um einen Monat verschoben worden. Angesichts erneuter Verwerfungen bei einer SPD-geführten Wahl sagt Reker: „Dass man die Chance nicht genutzt hat, nach dem Wahldebakel Anfang des Jahres verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, zeigt, dass sich etwas verändern muss.“

Ihre eigenen Verwaltungsfähigkeiten stellte die Juristin bis zum Wahlkampfauftakt als Flüchtlingsbeauftragte unter Beweis: Als im angespannten Kölner Wohnungsmarkt Platz für ankommende Flüchtlinge knapp war, zögerte sie nicht, Unterkünfte in 37 Kölner Pensionen und Hotels für rund 2000 Flüchtlinge anzumieten. Und schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe: „Wir haben Betriebe, ganz überwiegend kleine, die es schwer haben im Konkurrenzdruck mit neuen Hotels.“ Da überlege man sich, ob nicht ein anderes Geschäftsmodell gewinnträchtiger sei – „und das darf man natürlich auch. Uns sind die Hotels angeboten worden, darüber war ich froh.“

Auf einem drängenden Gebiet – in diesem Jahr rechnet NRW mit dem Zuzug von rund 200.000 Flüchtlingen – hat Reker damit schon einmal Erfahrung gesammelt. Ihre Antwort auf die Zukunft: „Köln ist eine wachsende Stadt – aber nicht alle Einwohner werden hier geboren.“ Viele wandern zu – mit ihren Kulturen und Lebensvorstellungen. „Da wird man aushandeln müssen, wie wir uns die Stadt und das Zusammenleben darin vorstellen.“

Tag der Weltmarktführer in Köln
WirtschaftsWoche-Redakteur Franz W. Rother begrüßte die Gäste beim Weltmarktführer-Treff in Köln am 23. und 24. April 2015. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Ute Berg Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Zum Thema "Singapur - Ihre bessere Hälfte in Asien" referierten Tobias Ang, Centre Director des Singapore Economic Development Board... Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
... und Dr. Andreas Hecker, Vice President Global Research & Development bei Leica Microsystems. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Beim Kaminabend am Donnerstag stand Alexander Wehrle, der Geschäftsführer des 1. FC Köln, zum Interview bereit. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Am Freitagmorgen begrüßte Jürgen Roters, Oberbürgermeister der Stadt Köln, die Gäste. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Roters und Dezernentin Ute Berg posieren für eine Aufnahme am Rande der Veranstaltung. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche

Würde sie im Oktober oder November gewählt, wäre sie nicht nur die erste Parteilose, sondern auch die erste Frau, die eine Millionenstadt regiert. Für „ihren“ Fachbereich hat sie in diesem Fall einen umfassenden „Masterplan“ im Sinn: „Bei den Flüchtlingen ist es mit der Unterbringung nicht getan. Viele dieser Menschen werden hierbleiben.“

Deshalb müssten Flüchtlingswohnungen bei Neubaugebieten eingeplant werden – ändere sich die Situation, seien diese bei der prognostizierten Zuzugsrate auch anderweitig nutzbar, so Reker. Wie viele Kommunalpolitiker fordert auch sie mehr Unterstützung von Land und Bund: „Wir können nicht den Menschen, die hier ein neues Zuhause finden wollen, vorwerfen, dass sie kein Deutsch können – und dann keine Deutschkurse anbieten.“

Angesichts der geänderten Sitzkonstellation im Stadtrat könnte den Kölnern bei einem Wahlsieg Rekers dreienhalb Jahre vor der nächsten Kommunalwahl 2019 wieder ein Regierungswechsel bevorstehen. Sowohl die Wählerinitiative „Deine Freunde“ sowie die Freien Wähler unterstützen Reker. Die Piraten haben sich für keinen Kandidaten ausgesprochen, eine Koalition mit der AfD oder den Anti-Islamisten von Pro Köln ist auf beiden Seiten unwahrscheinlich. Bleibt Rot-Rot-Grün, was angesichts des Verhältnisses zwischen Grünen und SPD derzeit ebenfalls unwahrscheinlich scheint – oder eben Jamaika.

Bei der Gründung zur Wählerinitiative sprach Altpolitiker Gerhart Baum denn auch eine politische Weisheit aus: „Für Politiker an der Macht ist nichts gefährlicher als Wechselstimmung.“ Bei rund einer Million Kölnern, deren Wahlgang zum zweiten Mal von heftigen Turbulenzen begleitet wird, könnte die nun aufkommen – zum Vorteil von Henriette Reker.

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