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Kolumne Tauchsieder

Au weia, Thilo Sarrazin!

WirtschaftsWoche-Chefreporter Dieter Schnaas taucht den Kopf in den Nachrichtenstrom und blubbert mit. Heute: Thilo Sarrazin und seine Angst vor Kopftüchern. Himmel, hilf!

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Die kruden Immigrations-Thesen Quelle: dpa

Vor fast einem Jahr hat Thilo Sarrazin, Sozialdemokrat und Vorstand der Bundesbank, gesagt: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ Das waren drei Aussagen, die sich gegen alle antriebsschwachen, bildungsfernen, politikverachtenden Profiteure der bundesrepublikanischen Sozialstaatsexpansionen richteten – und eine Aussage, die dezidiert auf muslimische Migranten gemünzt war. Jetzt hat Thilo Sarrazin diesen Satz 450 Seiten lang variiert – und es wird klar, dass dieser Satz vor einem Jahr doch etwas anders gemeint war.

Thilo Sarrazin hat Angst vor muslimischen Ausländern. Er ist in seinen Berliner Jahren als Finanzsenator offenbar xenophob bis an die Grenze des Pathologischen geworden - und wild entschlossen, einer munter herbeihalluzinierten islamischen Überfremdung Deutschlands die Stirn zu bieten. Dabei scheut Sarrazin auch keine biologistischen Argumente, macht auf die  „genetische Komponente von Intelligenz“ aufmerksam, ja: auf „genetische Belastungen“ bei „Migranten aus dem Nahen Osten“.

Sarrazins Hauptargument geht dabei so: Die Lendenkraft der Türken und der Araber bedrohe die „kulturelle Identität“ Deutschlands im „Europa der Vaterländer“ – und der „Volkscharakter“ der Deutschen sei „Fäulnisprozessen“ ausgesetzt, weil „Bildungsgrad und erbliche Intelligenz in einem befruchtenden Verhältnis stehen“ und „die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten“ zwangsläufig dazu führen werde, dass der Tagesrhythmus hierzulande in 100 Jahren „vom Ruf der Muezzine bestimmt wird“. Anders gesagt: „Deutschland schafft sich selbst ab“ – so der Titel des Buches, das am nächsten Montag erscheint -, weil wir (Deutsche?!) durch die Fertilität kognitiv benachteiligter Muslime (und den Gebärstreik deutscher Akademikerinnen) auf gleichsam natürliche Weise immer dümmer und weniger werden.

Tja – was soll man dazu sagen? Hätte Thilo Sarrazin es doch bei einem anderen Satz in seinem Buch belassen, von dem er selber sagt, dass er eigentlich nicht ergänzungsbedürftig sei: „Es reicht aus, dass Muslime unsere Gesetze beachten, ihre Frauen nicht unterdrücken, Zwangsheiraten abschaffen, ihre Jugendlichen an Gewalttätigkeiten hindern und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.“ Und wenn Sarrazin dann auch noch „Muslime“ durch „alle Einwohner Deutschlands“ ersetzt hätte – vielleicht wäre aus alledem sogar noch das passable Buch eines konservativen Provokateurs geworden.

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