Kommentar Ein Ladenhüter namens Leitkultur

Innenminister de Maizière hat ein Thema aufgewärmt, dass zu Beginn des Jahrtausends schon mal für Furore gesorgt hat: die deutsche Leitkultur. Doch das ist überflüssig. Kultur eignet sich nicht als Integrations-Keule.

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Der Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist überflüssig wie ein Kropf. Quelle: dpa

Berlin Die Debatte über die deutsche Leitkultur ist zurück. Innenminister de Maizière präsentiert per Medien einen Zehn-Punktekatalog. Als Reaktion schlägt ihm massive Kritik entgegen – aus allen politischen Lagern außer dem eigenen. FDP-Chef Christian Lindner dürfte mit seiner Einschätzung ziemlich nah bei der Wahrheit liegen. Er unterstellt dem Bundesinnenminister zwei Motive für seinen aktuellen Vorstoß in Sachen deutsche Leitkultur: Thomas de Maizière wolle ablenken von der chaotischen Zuwanderungspolitik der CDU und er fürchte um seinen Job angesichts des möglichen Wechsels des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann nach Berlin.

Herrmann soll nach dem Willen seines Parteichefs Horst Seehofer CSU-Spitzenkandidat der Bayern bei der Bundestagswahl werden und könnte ihm folglich nach einem Wahlerfolg der CSU den Ministerjob streitig machen. Aber Kritik gibt es auch von SPD und Grünen. Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin nannte es gar „pure rechte Stimmungsmache“.

In der Tat ist dieser Vorstoß in der Sache überflüssig wie ein Kropf. Die zehn Eigenschaften, die de Maizière zur deutschen Leitkultur zählt, vom Handschlag als Ausdruck der Höflichkeit (statt Burka) bis zu den christlichen Feiertagen und dem Lob der deutschen Konsensdemokratie und deutscher Rechtsstaatlichkeit, stehen in der Tat allesamt für Sachverhalte und Werthaltungen, die unsere Gesellschaft auszeichnen. Das gilt auch für den aufgeklärten „Verfassungspatriotismus“, dem der Innenminister das Wort redet.

Nur ist „Leitkultur“ nicht der passende Oberbegriff für diese Eigenschaften. Das war er schon nicht, als der CDU-Politiker Friedrich Merz um die Jahrtausendwende als Erster die Unterordnung von Zuwanderern unter eine „deutsche Leitkultur“ forderte. Denn wer die deutsche Kultur zur Integrations-Keule macht, verkennt nicht nur, dass sie für viele Flüchtlinge gerade der Grund war, warum sie vor Krieg und Verfolgung ausgerechnet nach Deutschland geflohen sind.

Er nimmt ihr auch ihre Strahlkraft. Es geht in der Tat darum, Zuwanderer für unsere Kultur zu gewinnen. Sie sollen hier Erfahrungen machen, die sie motivieren, von sich aus ein vollwertiger Teil der Gesellschaft zu werden. Auch hier fand Lindner treffende Worte: Grundlage dafür sei das liberale, bunte und weltoffene Grundgesetz – und eben keine dumpfe Leitkultur.

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