
Nach dem Treffen der Kanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy ist etwas klarer, wie ein Kompromiss auf dem EU-Gipfel am Ende der Woche aussehen könnte. Nach dem, was bekannt wurde, wäre es eine vertretbare Einigung: Angela Merkel bekommt die gewünschte Vertragsänderung mit automatischen Sanktionen gegen Staaten mit übermäßigem Defizit und die Verankerung von nationalen Schuldenbremsen. Dafür verzichtet sie auf ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Sünder und akzeptiert, dass die Notenbanken auf dem Umweg über den Internationalen Währungsfonds die Staatshaushalte stützen.
Das fünfte Element ist ein Zugeständnis an die Finanzmärkte: Künftig soll es keine "wilden" Schuldenschnitte mehr geben in der Euro-Zone. Das fällt den Politikern umso leichter, als sie mit dem erzwungenen griechischen Hair-Cut mehr sich selber als die Banken geschoren haben: Die geprellten Anleger traten in einen Käuferstreik gegen Staatsanleihen und verschärften damit die Schuldenkrise.
Ein sechstes Element taucht überhaupt nicht auf, doch kann man sicher sein, dass Merkel und Sarkozy auch darüber gesprochen haben: zusätzliche Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB. Da die Euro-Krise nicht pausieren wird, bis die langwierige Vertragsänderung wirksam wird und das Vertrauen der Anleger stärkt, muss eine Notlösung her, um den in den nächsten Wochen drohenden Zerfall der Gemeinschaftswährung zu verhindern. Man kann annehmen, dass die EZB einspringen wird, denn niemandem wäre mit einem wunderschönen Vertrag für eine Stabilitätsunion gedient, wenn der Euro vorher explodiert.
Warum die irische Regierung flucht
Der Kompromiss ist vertretbar, doch die nächste Frage ist, ob ihn alle europäischen Partner akzeptieren und ob die Änderung der Verträge rasch genug Wirklichkeit wird. Gestern klang Sarkozy so, als hätte er auf ein Einspruchsrecht der Regierungschefs gegen die Suspendierung unsolider Haushalte verzichtet. Damit würde ein Teil der finanzpolitischen Souveränität nach Brüssel wandern. Je sichtbarer das ist, desto lauter wird in Frankreich - und nicht nur dort - der Ruf nach einem Referendum werden.
Die irische Regierung flucht schon jetzt, dass ihr die deutsch-französischen Euro-Retter ein Kuckucksei ins Nest legen, weil sie wohl zu einer Volksbefragung gezwungen werde. Dieses Ei müsste allerdings auch in Berlin ausgebrütet werden, will sagen: Mit Volksabstimmungen wird die Vertragsänderung langwierig und ihr Ausgang unberechenbar.
Deutschland und Frankreich stehen vor einer ähnlichen Aufgabe wie beim Lissabon-Vertrag: Sie müssen eine wesentliche Änderung der europäischen Geschäftsgrundlage verwirklichen und dabei so tun, als gehe es um eine Petitesse. Damals hat es nur geklappt, weil Merkel und Sarkozy zusammenhielten. Auch jetzt ist Deutschland auf Frankreich angewiesen - sonst wird es keine Stabilitätsunion geben.
Der Autor leitet das Ressort Meinung und Analyse. Sie erreichen ihn unter: hanke@handelsblatt.com