Kommentar zu Krippenplatzurteil Rechtsanspruch ist Rechtsanspruch

Fehlende Krippenplätze können für die Kommunen teuer werden. Es gibt aber keinen Grund deshalb nun in das große Wehklagen über finanziell angeblich überforderte Kommunen auszubrechen und Richterschelte zu üben.

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Noch immer fehlen in Deutschland laut Schätzungen rund 100.000 Krippenplätze. Quelle: dpa

Berlin Als 2008 mit dem Kinderförderungsgesetz der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Lebensjahr eingeführt wurde, war dies der vorläufige Endpunkt einer langen Grundsatzdebatte wie in Deutschland Familienpolitik gemacht werden müsse. Die Modernisierer, die die Auffassung vertraten, der Staat sei verpflichtet, Frauen die Möglichkeit zu geben, Kind und Berufskarriere unten einen Hut zu kriegen, hatten gegen die Anhänger eines traditionellen Familienbildes den Sieg davon getragen. Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz schuf dabei erst die Voraussetzung dafür, dass dieser Paradigmenwechsel auch überall in Deutschland in der sozialen Wirklichkeit Fuss fasste.

Kein Bundesland und keine Kommune konnte sich verweigern. Die Gerichte haben diesen Prozess von Anfang an unterstützend begleitet. So entschied das Bundesverwaltungsgericht schon 2013, dass Eltern, die wegen fehlenden Krippenangebots, die Betreuung ihres Kleinkindes privat organisieren müssen, Anspruch auf Erstattung der Kosten haben. Vergangene Woche hat der Bundesgerichtshof noch einen drauf gesetzt. Er stellte fest, das Väter oder Mütter die, weil es keinen Krippenplatz gibt, nicht wie geplant in den Beruf zurückkehren können, dann Anspruch auf Ausgleich des Verdienstausfalls haben, wenn die Kommune schuldhaft oder grob fahrlässig gehandelt hat.

Im entschiedenen Fall einer Familien aus Leipzig geht es um Beträge zwischen 2200 und 7330 Euro. Das Urteil könnte mithin für die Kommunen teuer werden. Sie stehen nun vor der Frage, ob sie Geld für den Krippenausbau in die Hand nehmen oder es lieber darauf ankommen lassen wollen, des Eltern die ohne Betreuungsplatz bleiben, am Ende doch vor einem Gerichtsverfahren zurückschrecken. Laut Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes fehlen derzeit bundesweit noch 100 000 Krippenplätze, um den Rechtsanspruch flächendecken zu gewährleisten.
Es gibt aber keinen Grund deshalb nun in das große Wehklagen über finanziell angeblich überforderte Kommunen auszubrechen und Richterschelte zu üben. Der mit dem Einführung des Rechtsanspruchs auf einem Krippenplatz vollzogene Paradigmenwechsel in der Familienpolitik hat nämlich einen harten ökonomischen Kern: Er soll zusammen mit dem parallel eingeführten Elterngeld Beruf und Familie besser vereinbar machen. Dies sollte jungen Paaren die Entscheidung erleichtern, eine Familie zu gründen. In der Tat steigt seit einigen Jahren die Geburtenrate an. Frauen sollten die Chance erhalten, trotz Mutterschaft Karriere im Beruf zu machen. Unter dem Strich bedeutet das mehr Familien mit Kindern in ökonomisch guter Lage. Familien, in denen Vater u n d Mutter im Beruf reüssieren, zahlen aber auch mehr Steuern und Sozialabgaben. Sie steuern mithin selbst mehr Geld zur Finanzierung von Krippen, Kindergärten und Schulen bei. Die Aufgabe vor allem der Bundesländer besteht nun darin, dass diese ökonomische Rendite auch bei den Kommunen ankommt, ihnen also das Geld zur Verfügung steht, dass sie für den Krippenausbau brauchen.

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