Kommt das Ende der Grundsteuer? Jahrzehntelanges Verwaltungsversagen wird offensichtlich

Neubaugebiet für Eigenheimbesitzer

Verstößt die Grundsteuer gegen das Grundgesetz? Das Bundesverfassungsgericht hat Zweifel an der Basis zur Erhebung der Grundsteuer. Für die Kommunen und 35 Millionen Haushalte geht es um viel Geld.

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Das Bundesverfassungsgericht hat die Berechnungsgrundlage der für Kommunen wichtigen Grundsteuer auf den Prüfstand gestellt. Nach Überzeugung des Bundesfinanzhofs verstoßen die Einheitswerte für die mehr als 35 Millionen Grundstücke und Immobilien in Deutschland gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Bis zu einer Entscheidung dauert es in der Regel mehrere Monate. Der Ausgang der am Dienstag in Karlsruhe verhandelten fünf Verfahren hat große Bedeutung für Immobilienbesitzer, Mieter und Kommunen. Der deutsche Durchschnittshaushalt zahlt monatlich 16,50 Euro Grundsteuer bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 91,6 Quadratmetern, hat das Bundesfinanzministerium gerade errechnet. Gut möglich ist, dass sich Otto und Erna Normalbürger die 16,50 Euro – aufs Jahr gerechnet immerhin fast 200 Euro – bald wieder zurück ins eigene Portemonnaie stecken können, wenn das Bundesverfassungsgericht verhandelt die Rechtmäßigkeit dieser Kommunalsteuer anzweifelt. Das Gericht lud an diesem Dienstag zu einer öffentlichen Anhörung. Anlass sind mehrere Klagen gegen die Rechtmäßigkeit der Grundsteuererhebung, die der Fiskus in Westdeutschland auf Basis von  Daten aus dem Jahr 1964 und im Osten sogar aus 1935 berechnet. Die alten Zahlen würden wegen der starken und vor allem unterschiedlichen Wertveränderungen schon lange nicht mehr den wahren Wert der Immobilien wiedergeben und damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Besteuerung verstoßen, lautet der Vorwurf.

Nun befürchtet die Finanzverwaltung, das Bundesverfassungsgericht könnte die Grundsteuer ganz kippen – so wie schon 1995 die Vermögensteuer, die eben wegen der ungleichmäßigen Besteuerung von Bar- und Bodenvermögen seither nicht mehr erhoben wird. Dann wären die Kommunen, denen die Steuer zufließt, mit einem Schlag um 13 Milliarden Euro jährlich ärmer.

Ein Großteil der Städte und Gemeinden, warnt das Bundesfinanzministerium, würde dann tief und tiefer in die roten Zahlen geraten. Und das wegen schlapper 16,50 Euro pro Haushalt und Monat, lautet die warnende Botschaft des Bundesfinanzministeriums vor der Anhörung in Karlsruhe.

Grundsteuerhebesätze deutscher Städte (Beispiele)

Versagen wird deutlich

Ob die Bundesverfassungsrichter sich davon beeindrucken lassen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wenn sie ihr Urteil fällen. An diesem Dienstag stellten die Richter zunächst Fragen an die geladenen Kläger, Beklagten und Sachverständigen, um sich ein Bild über die Grundsteuer zu verschaffen. Und dieses sieht nicht gerade lupenrein verfassungskonform aus.

Ein jahrzehntelanges Versagen der Finanzverwaltung und des Gesetzgebers wird jetzt offensichtlich. Denn seit der Erhebung der Einheitswerte Anfang der Sechzigerjahre sind Wohnungen, Häuser und Grundstücke in der Bundesrepublik nie wieder neu bewertet worden. Dabei sollte dies eigentlich alle sieben Jahre geschehen.

Deutschlands Städte mit glänzender Zukunft
Immer mehr Menschen leben in Münster Quelle: dpa
Nürnberg wird auch gerne von Touristen besucht Quelle: dpa
Auf Platz 10 befindet sich Düsseldorf Quelle: dpa
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Bei Bildung, Innovationsfähigkeit und Erreichbarkeit kann Hamburg punkten Quelle: dpa
Wiesbaden lockt Unternehmen Quelle: dpa
Köln wird ein hohes Bevölkerungswachstum vorausgesagt Quelle: dpa

Der Aufwand für eine regelmäßige Ermittlung der Immobilienwerte sei zu groß, hieß es danach, und so blieben die einmal festgelegten Einheitswerte ungeachtet jeder Entwicklung am Immobilienmarkt über Jahrzehnte unverändert. Im Finanzamt begnügten sich die Beamten ersatzweise damit, die alten Einheitswerte Jahr für Jahr mit einer Grundsteuermesszahl nach Gefühl anzupassen und dann mit einem Hebesatz zu multiplizieren.

Damit sei die Grundsteuer „in doppelter Hinsicht willkürlich berechnet“, kritisiert Hans-Joachim Lehmann, Eigentümer einer kleinen Immobilie in Berlin und einer der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht. Tatsächlich verweigerte ihm das Finanzamt auf seine Anfrage hin Einblick in die Berechnung seiner Grundsteuerschuld, woraufhin dieser sich vom Finanzgericht Cottbus bis zum Verfassungsgericht in Karlsruhe klagte.

Die Immobilienbranche läuft Sturm

Dort müssen sich Bund und Länder auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, warum sie seit mehr als 20 Jahren – als die Vermögensteuer schon als verfassungswidrig erklärt wurde – keine Reform der Grundsteuer zustande gebracht haben. Schließlich war damals schon klar, dass auch die Grundsteuer eigentlich gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen müsste.

Zwar gab es wenige zaghafte Reformansätze, doch zuckten die Länder immer wieder zurück, und der Bund wollte sich nicht die Finger verbrennen für eine komplizierte Reform, an der er selbst nichts verdient. Immerhin haben sich die Länder im Jahr 2016 nach zähen Verhandlungen zu einem neuen Berechnungsmodell durchgerungen, wenn auch gegen den heftigen Widerstand von Bayern und Hamburg. Verabschiedet wurde vom Gesetzgeber noch nichts.

Nach dem 2016 vereinbarten Kostenwert sollen Immobilien realitätsnäher bewertet werden. Das dürfte zu einer Verteuerung gegenüber dem Einheitswert um den Faktor zehn führen, rechnete der Eigentümerverband „Haus und Grund“ aus. Damit wäre einer dramatischen Erhöhung der Grundsteuer Tür und Tor geöffnet, befürchtet nicht nur „Haus und Grund“.

Wo die meisten von Eigentum nur träumen können
10. Platz Düsseldorf Quelle: dpa
9. Platz: Erlangen Quelle: dpa
8. Platz: Regensburg Quelle: dpa
7. Platz: Hamburg Quelle: dpa
6. Platz: Rosenheim Quelle: dpa
5. Platz: Frankfurt Quelle: dpa
4. Platz: Ingolstadt Quelle: dpa

Auch die Immobilienindustrie läuft seither Sturm gegen den Reformplan. Niemand will hier so recht glauben, dass die Kommunen bei höheren Immobilienwerten im Gegenzug ihre Hebesätze reduzieren und damit für die versprochene Aufkommensneutralität bei der Grundsteuer sorgen.

Steigerungen auf 460 Prozent

Die Entwicklung der Grunderwerbsteuer gilt als warnendes Beispiel. Seit diese nicht mehr bundesweit einheitlich festgelegt ist, haben die meisten Bundesländer den Grunderwerbsteuersatz von 3,5 Prozent immer wieder erhöht, einige binnen zehn Jahren auf inzwischen 6,5 Prozent. Auch bei der Grundsteuer selbst wird ständig an der Schraube gedreht, die Hebesätze sind in den vergangenen zehn Jahren von durchschnittlich 400 auf 460 Prozent gestiegen.

Die Kritiker der Grundsteuerreform hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht nun nicht nur über die noch geltende Grundsteuer urteilt, sondern gleich auch die Reformpläne mitverurteilt. Hinweise darauf möchten die Teilnehmer der öffentlichen Anhörung aus der Art der Fragen von den Robenträgern interpretieren. Umgekehrt bemühen sich die Vertreter von Bund, Ländern (mit Ausnahme von Bayern und Hamburg) und Gemeinden, jeden Zweifel am ausgehandelten Kostenwertmodell zu zerstreuen, das das Einheitswertmodell in einigen Jahren ersetzen soll.

Dabei fragt niemand, ob die Grundsteuer überhaupt noch in die Zeit passt, in der Wohnen immer teurer wird und Politiker ständig nach neuen Mitteln und Wegen suchen, damit das Dach über dem Kopf bezahlbar bleibt. 

Städte und Gemeinden mit den höchsten Grundsteuerhebesätzen

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