Konjunktur in Deutschland Brexit-Schock bleibt aus

Der Einkaufsmanagerindex für Deutschland erklimmt trotz des Brexit-Votums ein Jahreshoch. Dabei hatten Ökonomen mit einem Rückgang gerechnet. Anders sieht es in der Euro-Zone und in Großbritannien aus.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Nach dem Referendum in Großbritannien fielen die Aktienkurse in Europa. Doch der jüngste Einkaufsmanagerindex für Deutschland ist gestiegen. Quelle: Reuters

Berlin Die deutsche Wirtschaft steckt den Brexit-Schock bislang überraschend gut weg. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft kletterte im Juli um 0,9 Punkte auf das Jahreshoch von 55,3 Zählern. Das teilte das Institut IHS Markit am Freitag zu seiner Umfrage unter 1000 Dienstleistungs- und Industrieunternehmen mit. Von Reuters befragte Ökonomen hatten hingegen mit einem Rückgang auf 53,7 Punkte gerechnet.

Während der Index für Deutschland stieg, fiel das entsprechende Konjunkturbarometer für die Euro-Zone. In Großbritannien brach der Einkaufsmanagerindex sogar auf 47,7 Punkte ein – nach 52,4 Zählern im Vormonat. Damit lässt das Brexit-Votum die britische Wirtschaft so scharf abstürzen wie seit dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise Anfang 2009 nicht mehr. „Im Juli hat sich die Konjunktur dramatisch verschlechtert“, sagte Markit-Chefökonom Chris Williamson. Die Abkühlung zeige sich bei Auftragsstornierungen, weniger Neugeschäft, dem Verschieben oder Beenden von Projekten. Der Index zeigt ab der Schwelle von 50 Punkten Wachstum.

In der deutschen Wirtschaft ist dagegen der Wachstumskurs auch zu Beginn des zweiten Halbjahrs 2016 „ungebrochen“ geblieben, wie IHS-Markit-Ökonom Oliver Kolodseike sagte. „Von den Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen, zeigen sich die Unternehmen jedenfalls bislang unbeeindruckt.“ Für Rückenwind sorgten der intakte Arbeitsmarkt und die insgesamt gute Nachfrage. Die Unternehmen meldeten das höchste Stellenplus seit fünf Jahren.

Einen zumindest kleinen Dämpfer musste die Industrie hinnehmen. Deren Einkaufsmanagerindex fiel um 0,8 auf 53,7 Punkte. Er hielt sich damit aber klar über der Marke von 50. „Etlichen Industrieunternehmen zufolge hat besonders die Auslandsnachfrage nach Industrieerzeugnissen 'Made in Germany' angezogen, weshalb es in diesem Sektor zum zweithöchsten Zuwachs an Exportbestellungen seit knapp zweieinhalb Jahren kam“, erklärte das Institut. Die Produktion wurde so kräftig gesteigert wie seit fast zweieinhalb Jahren nicht mehr.

Der Einkaufsmanagerindex für die Dienstleister kletterte um 0,9 auf 54,6 Punkte. Sie bewerteten die Aussichten aber weniger optimistisch als in den vergangenen acht Monaten.


„Erstaunliche Widerstandskraft“ der Euro-Zone

Die Wirtschaft der Euro-Zone signalisiert nach dem Brexit-Votum der Briten das schwächste Wachstum seit anderthalb Jahren. Der gemeinsame Einkaufsmanagerindex für Industrie und Dienstleister fiel im Juli um 0,2 auf 52,9 Punkte, wie das Institut IHS Markit zu seiner Umfrage unter 5000 Unternehmen bekanntgab. Von Reuters befragte Ökonomen hatten allerdings mit einem stärkeren Rückgang auf 52,5 Zähler gerechnet. Das Barometer hält sich seit mehr als drei Jahren über der Marke von 50, ab der es Wachstum anzeigt.

„Die Euro-Zone hat angesichts der Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen, und eines weiteren Terrorangriffs in Frankreich erstaunliche Widerstandskraft bewiesen“, sagte Markit-Chefvolkswirt Chris Williamson. „Besonders ermutigend ist, dass der Stellenaufbau kontinuierlich weitergeht - die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen hat unter der Brexit-Abstimmung jedenfalls nicht gelitten, vor allem in Deutschland nicht.“ Deutschland meldete das kräftigste Wachstum im bisherigen Jahresverlauf, in Frankreich stabilisierte sich die Konjunktur. In den anderen Ländern ließ die Dynamik dagegen nach.

Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie verlor 0,9 auf 51,9 Punkte. „Begünstigt vom schwachen Euro profitierte die Industrie zwar abermals vom Zuwachs beim Auslandsgeschäft“, erklärte IHS Markit. „Dieser fiel jedoch wegen der abgeschwächten Verkäufe nach Großbritannien infolge des dortigen EU-Referendums und des niedrigeren Außenwerts des Pfunds etwas niedriger aus als im Juni.“

Das Barometer für die Dienstleister verlor 0,1 auf 52,7 Zähler. „Allerdings sind die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist im Servicesektor auf den tiefsten Wert seit knapp über einem Jahr gesunken, ausgelöst von der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit infolge des Referendums in Großbritannien“, sagte Williamson. „Dies birgt für die ohnehin nur vor sich hindümpelnde Euro-Zone kurzfristig Abwärtspotenzial.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%