In diesen Tagen haben Crashpropheten mal wieder Hochkonjunktur. Krieg, Energiekrise, Pandemie, Inflation, Lieferkettenchaos: Angesichts dieses toxischen Gemisches baut sich für nicht wenige Ökonomen konjunkturell gerade der perfekte Sturm auf. Für Deutschland taxiert das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung die Rezessionswahrscheinlichkeit in den kommenden drei Monaten auf über 50 Prozent. Jamie Dimon, Chef der größten US-Bank JPMorgan, unkt mit Blick auf die Weltwirtschaft: „Machen Sie sich auf etwas gefasst“.
Unabhängig davon, ob ein Absturz tatsächlich bevorsteht – die Auftragsbücher sind noch immer prall gefüllt – drängt sich die Frage auf, ob eine Rezession per se ein Übel ist. Sicher: Eine Rezession, also ein über mindestens zwei Quartale laufendes Schrumpfen der Wirtschaftsleistung, hat oft hässliche Folgen. Umsätze, Gewinne und Steueraufkommen sinken, Konkurse und Entlassungen steigen.
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Doch ein (auch bisweilen scharfer) Abschwung ist normaler Bestandteil des Konjunkturzyklus und kann mittel- und langfristig sogar produktive Folgen haben. Rezessionen wirken oft wie ein reinigendes Gewitter und machen die gesamte Volkswirtschaft resilienter. Es kommt zu einer „Neu-Allokation der Ressourcen“, wie es in der Ökonomensprache heißt: Unproduktive Zombieunternehmen, die sich zuvor gerade über Wasser halten konnten, scheiden aus dem Markt aus. Das erstaunlich geringe Produktivitätswachstum der deutschen Volkswirtschaft führen Ökonomen nicht zuletzt auf die hohe Zahl scheintoter Betriebe zurück.
Zugleich hilft eine Rezession gegen die Inflation. Da die Nachfrage zurückgeht, können Unternehmen höhere Kosten schlechter überwälzen. Zugleich sinkt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Die Gewerkschaften schrauben mit Blick auf die Jobsicherheit in schlechten Zeiten ihr Anspruchsniveau zurück. Fast alle großen Lohn-Preis-Spiralen der jüngeren Vergangenheit endeten erst, als die Rezession durchs Fabriktor kam.
Auch der Hinweis auf Joseph Alois Schumpeter (1883 – 1950) kann in diesen Tagen nicht schaden. Für den Österreicher, einen der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, war die Grundlage und der Motor des Fortschritts ein fortwährender Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, bei dem Produkte und Produktionsverfahren ständig durch neue und innovativere ersetzt werden. Doch diese dynamische Abfolge von Aufstieg und Untergang hat es gerade in Deutschland schwer: „In den vergangenen Jahren haben Nullzinsen und staatliche Rettungspakete den Mechanismus der schöpferischen Zerstörung weitgehend außer Kraft gesetzt“, warnt der Mannheimer Ökonomieprofessor Friedrich Heinemann. Statt Rezessionshysterie zu verbreiten, sollten viele Konjunkturauguren vielleicht lieber mal wieder Schumpeter lesen.
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