Die Wirtschaftsweisen halten die Stabilität der Finanzmärkte vor dem Hintergrund der jüngsten Turbulenzen im Bankensektor nicht für gefährdet. Die Lage sei eine ganz andere als bei der Finanzkrise 2008, sagte Ulrike Malmendier vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung am Mittwoch in Berlin. Der Interbanken-Markt funktioniere gut, die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten sei gesichert.
Zwar sei die Unsicherheit an den Finanzmärkten durch die Schließung der Silicon Valley Bank und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zuletzt gestiegen. Anders als in der globalen Finanzkrise 2008 basierten die Schwierigkeiten einzelner Banken aber nicht auf weitgehend wertlosen Finanzprodukten.
Deutschland rutscht doch nicht in die Rezession
Insgesamt hat die deutsche Wirtschaft die befürchtete Rezession nach Ansicht der Wirtschaftsweisen gerade noch abgewendet. Besonders wegen der stabileren Energieversorgung habe sich der Ausblick leicht aufgehellt, teilte das Gremium am Mittwoch in seiner aktualisierten Konjunkturprognose mit. Insgesamt bleibe die Lage aber angespannt. Für das laufende Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt nach Ansicht der Wirtschaftsweisen um 0,2 Prozent wachsen. Zuvor waren sie davon ausgegangen, dass es um denselben Wert schrumpfen wird. Für das kommende Jahr rechnen sie mit einem Wachstum von 1,3 Prozent. „Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust, die schlechteren Finanzierungsbedingungen und die sich nur langsam erholende Auslandsnachfrage verhindern einen stärkeren Aufschwung in diesem und im kommenden Jahr“, sagt Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates.
Eine merkliche Entspannung bei den Verbraucherpreisen ist nach Einschätzung des Gremiums erst im kommenden Jahr zu erwarten. Grund dafür ist, dass steigende Löhne und hohe Erzeugerpreise die Teuerung vorerst stützen dürften, wie Gremiumsmitglied Martin Werding sagte. „Die Inflation kommt zunehmend in der Breite der Wirtschaft an“, so Werding. Im laufenden Jahr rechnen die Wirtschaftsweisen mit einer Teuerungsrate von 6,6 Prozent. Im kommenden Jahr werde sie dann auf 3,0 Prozent fallen.
Entwicklungen in Energie-, Finanz- und Arbeitsmarkt
Vor allem wegen der drohenden Gasmangellage hatten die Sachverständigen im Herbst noch vor erheblichen Abwärtsrisiken gewarnt. In ihrem Jahresgutachten sagten sie der deutschen Wirtschaft deshalb eine Rezession voraus. Allerdings hat sich die Lage an den Energiemärkten seitdem entspannt. Auch die EU-Kommission hatte ihre Erwartungen an die deutsche Wirtschaft zuletzt nach oben geschraubt und geht ebenso wie die Bundesregierung von einem minimalen Wachstum aus. In der aktualisierten Prognose warnte das Gremium, auch mit Blick auf den kommenden Winter bestünden „erhebliche Risiken“ bei der Energieversorgung. „Um die Gasspeicher wieder vollständig aufzufüllen und eine Gasmangellage im kommenden Winter zu verhindern, müssen wir weiterhin umfangreich Energie sparen“, sagte die Sachverständige Veronika Grimm. Das gelte selbst dann, wenn Deutschland seine Importe ausweite.
Schneller schlau: Rezession
Der Begriff Rezession bedeutet Rückgang und stammt aus dem Lateinischen. Es handelt sich um eine Rezession, wenn die Wirtschaft nicht wächst, sondern schrumpft – sich also in einem Abschwung beziehungsweise Rückgang befindet. Für die Bemessung der Konjunktur dient das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Offiziell tritt eine sogenannte technische Rezession ein, wenn das BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahresquartalen nicht wächst, sondern zurückgeht.
Die Rezession ist eine der vier Phasen, die der Konjunkturzyklus einer Volkswirtschaft durchlaufen kann. Sie folgt auf die Phase der Hochkonjunktur und kann im schlimmsten Fall in eine Depression übergehen. Auf eine Depression folgt dann früher oder später ein Aufschwung.
Eine Rezession zeichnet sich durch unterschiedliche Merkmale aus. Dazu gehören unter anderem:
- Rückgang der Nachfrage
- überfüllte Lager
- Abbau von Überstunden und beginnende Kurzarbeit
- Entlassung von Arbeitskräften
- ausbleibende Investitionen
- teilweise Stilllegung von Produktionsanlagen
- stagnierende oder sinkende Preise, Löhne und Zinsen
- fallende Börsenkurse
Zu den Ursachen einer Rezession gehören unterschiedliche Punkte, die sich nur schwerlich verallgemeinern lassen. Aktuell wirkt sich etwa der Krieg in der Ukraine erheblich auf die Konjunktur in Europa und den USA aus.
In einer Rezession halten Unternehmen und private Haushalte ihr Geld in der Regel beisammen. Zu den Folgen einer Rezession zählen steigende Arbeitslosenzahlen, außerdem arbeiten mehr Menschen in Kurzarbeit. Beides führt zu geringerer Nachfrage. Denn wenn die Bürger weniger Geld verdienen, konsumieren sie auch weniger. Dies ist wiederum schlecht für Unternehmen, die dadurch weniger verkaufen und auf ihren Lagerbeständen sitzen bleiben. Die fehlenden Einnahmen können zu weiteren Entlassungen führen, sodass die Arbeitslosigkeit weiter steigt.
Auch Menschen, die auf der Suche nach einem neuen Job sind, stehen in einer Rezession vor Problemen. Denn wer sich um eine neue Stelle bewirbt, dürfte während einer Rezession Schwierigkeiten haben eine entsprechende Stelle zu finden – denn geht es Unternehmen wirtschaftlich schlechter, stoppen sie Neueinstellungen.
Durch eine steigende Inflation sinkt die Kaufkraft der Menschen. Durch eine sinkende Kaufkraft sinkt wiederum die Konsumbereitschaft der Menschen, da sie ihr Geld beisammen halten, statt es für Waren und Güter auszugeben.
Die straffere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verschlechtere die Finanzierungsbedingungen, was sowohl die Konsumnachfrage als auch die Investitionen dämpfe. Dies dürfte sich aber erst im Verlauf des Jahres merklich auf die Inflation auswirken und deren Entwicklung spürbar bremsen. „Die Inflation ist noch weit vom Ziel der EZB von zwei Prozent entfernt, daher dürften weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr erforderlich sein“, sagte die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. „Die hohe Unsicherheit an den Finanzmärkten der vergangenen Wochen erschwert allerdings die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken.“
Trotz des mauen Wachstums dürfte sich der Arbeitsmarkt in Deutschland stabil entwickeln. Die Erwerbstätigkeit etwa sollte bis Ende 2024 leicht zunehmen. Allerdings droht 2023 das vierte Jahr in Folge mit sinkenden Reallöhnen. „Zumindest für das Jahr 2023 ist der Lohnanstieg niedriger als die erwartete Inflation“, sagte der Wirtschaftsweise Achim Truger. „Mit einem Anstieg der Reallöhne ist erst im kommenden Jahr zu rechnen.“ Dies dürfte dann den privaten Konsum beleben.
Wirtschaftsweise erwarten Wachstum für 2023
Deutlich optimistischer blicken die Regierungsberater auf die Staatsfinanzen. Insbesondere die erwarteten Ausgaben für die Energiepreisbremsen fallen deutlich niedriger aus als zuvor angenommen. Der Sachverständigenrat erwartet ein Staatsdefizit von 1,6 Prozent im laufenden Jahr, das 2024 auf 0,4 Prozent schrumpfen soll. Der Schuldenstand soll von 67,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im vergangenen Jahr auf 63,5 Prozent im kommenden Jahr sinken.
Lesen Sie auch: Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnt vor dem Nachlassen bei der Inflationsbekämpfung.