Konsum Die Berechnung der Inflationsrate

Wie Testkunden und Statistiker jeden Monat aus über 300 000 Einzelpreisen die Inflationsrate in Deutschland ermitteln.

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Testkäufer und Statistiker tummeln sich Quelle: ZB

Antje Häring* trägt den offiziellen Titel „Interviewer Nr.11“ und ist so etwas wie eine ökonomische Detektivin. Ihr Auftrag: die Jagd nach der Inflation. Heute ist die 42-Jährige in Düsseldorf-Flingern unterwegs, genauer: in einem Textilmarkt in der Birken-straße. Akribisch prüft sie die Preisschilder von Herrenunterhemden, Damenblusen und Kinderhosen, auch die an der Kasse ausliegenden Batterien entgehen nicht ihrem Blick. Gut eine Stunde dauert der Rundgang durch den Laden; am Ende wird Häring rund 40 Preise gecheckt haben. Beim Italiener um die Ecke muss sie dann noch den Preis der „Pizza Mista“ recherchieren und in der nahen Imbissbude schauen, was der Ouzo und die Bratwurst mit Pommes kosten. Und all das geht ein in die Berechnung einer Zahl, die das Statistische Bundesamt am kommenden Mittwoch bekannt gibt – die aktuelle Inflationsrate in Deutschland.

Preistester schwärmen aus

Häring ist eine von 55 Preisermittlern, die für die nordrhein-westfälische Statistikbehörde IT NRW unterwegs sind – und sie ist Teil eines allmonatlichen statistischen Kraftakts. Bundesweit tingeln 600 Preiserheber durch die -Läden der Republik. Es sind Angestellte der Länder, aber auch Hausfrauen, Rentner, -Nebenjobber. Insgesamt erfassen die Behörden mit ihrer Hilfe rund 700 Güterarten und ermitteln monatlich in 188 Kommunen über 300 000 Einzelpreise. Die Preistester gehen in Discounter, SB- und Supermärkte, in Kaufhäuser und Fachgeschäfte, zu Kiosken und Tankstellen.

Bunte Konsumwelt

Der Warenkorb enthalte „sämtliche Waren und Dienstleistungen, die für die Konsumwelt in Deutschland relevant sind“, verspricht das Statistische Bundesamt. Die Faustregel lautet: Sobald die Konsumenten 1,0 Promille ihres Einkommens für ein Gut ausgeben, kommt es in die Inflationsstatistik. Was darunter liegt, fliegt raus. Auf diese Weise sind zuletzt zum Beispiel USB-Sticks und -Speicherkarten in den Warenkorb gerutscht, während Videokassetten und Kleinbildfilme eliminiert wurden.

Wohnung

Die meisten Artikel gilt es im Lebensmittelbereich zu zählen. Darunter sind auch Dinge, die nicht jeden Tag auf dem Teller landen, wie Schweinebraten und Pralinen, tiefgefrorener Spinat und Sauerkrautkonserven. Die Rechercheure erfassen die Preise von Autos und Acrylfarbe, von Bügelbrettern und Bratpfannen, Pauschalreisen und Wettgebühren, Möbeln und Mieten, Kondomen und Gitarren. Besonders detailliert sind die Suchvorgaben im Kleidungsbereich: Da gibt es das „Herrenbusinessoberhemd“ ebenso wie den „Badeanzug, auch zweiteilig“, die „Knabenhose“ und die „Kleinkinderhalbschuhe“. Auch kommunale Gebühren fließen ein, die Kosten für Müllabfuhr, Wasser und Parkhäuser etwa oder die Fahrt mit der Straßenbahn. Gleiches gilt für Dienstleistungen des täglichen Lebens wie den Besuch beim Friseur, beim Arzt oder im Restaurant.

Auch Änderungen der Verpackungsgrößen werden gemeldet

Wie aber wird daraus die offizielle Inflationsrate? Diese ist ein gewichteter Mittelwert der Bruttopreise. Die Rechercheure melden ihre Daten an die Statistikbehörden der Länder. Diese bündeln die Informationen und senden sie weiter nach Wiesbaden zum Statistischen Bundesamt. Um Preisveränderungen über den ganzen Monat zu erfassen, gibt es sogenannte „Frühmelder“, „Normalmelder“ und „Spätmelder“. Hinzu kommen zentral erfasste Preise etwa für Versandartikel. Verringert ein Anbieter die Verpackungsgröße bei gleichbleibendem Preis, verbucht die Statistik dies als Preiserhöhung. Auch Qualitätssprünge schlagen sich in der Inflationsrate nieder.

Keine willkürliche Entscheidung

Um die allgemeine Teuerung gegenüber dem Vormonat und Vorjahr zu ermitteln, gewichten die Statistiker die durchschnittliche Preisentwicklung einer jeden Güterart mit dem Ausgabenanteil, den die Haushalte im Schnitt für diese Warengruppe ausgeben. Welche Güter mit welchem Anteil in die Inflationsrate eingehen (das sogenannte Wägungsschema), ist keine willkürliche Entscheidung, sondern folgt den Ergebnissen einer groß angelegten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Dabei notieren rund 60 000 Haus-halte ihre Einnahmen und Ausgaben bis auf den letzten Cent. Die Ergebnisse werden anschließend mit Daten aus der amtlichen Verbrauchsteuerstatistik verfeinert. Die Gewichtung verändert sich alle fünf Jahre.

Preisprüfern wie Antje Häring kann das egal sein, denn ihr -Honorar bleibt immer gleich: Pro ermittelten Preis gibt es für sie zwischen 50 und 75 Cent.

* Name geändert

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