Konzept gegen Arbeitslosigkeit Wenn Peter Hartz könnte wie er wollte

Sein Name ist Programm: Peter Hartz gilt als Erfinder der Arbeitsmarktreformen der frühen 2000er Jahre. Jetzt meldet sich der Vordenker der Hartz-Reformen mit einem Konzept gegen Langzeitarbeitslosigkeit zurück.

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Die Agenda 2010 soll nach Meinung des früheren VW-Managers weiterentwickelt werden. Quelle: dpa

Berlin Einer seiner größten Fehler sei gewesen, Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen mit seinem Namen zu verknüpfen, hat Peter Hartz einmal gesagt. Immer, wenn über Langzeitarbeitslose diskutiert wird, über Familien, die mit Hartz IV nur schwer über die Runden kommen, oder über zu viel Papierkram in den Jobcentern, fällt bis heute der Name des früheren VW-Managers.

Von Hartz selbst, der im Sommer 2002 als Leiter einer Expertenkommission der rot-grünen Regierung seine Reformvorschläge für den Arbeitsmarkt  vorgelegt hatte, war dagegen lange nichts zu hören. Doch nun, da die SPD über Korrekturen an der Agenda 2010 diskutiert und Kanzlerkandidat Martin Schulz ein Arbeitslosengeld Q vorgeschlagen hat, meldet sich auch der Vordenker wieder zu Wort. Und so sitzt Peter Hartz am Dienstag vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz in Berlin und präsentiert seine eigenen Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Hartz-Gesetze.

Keine Frage, die Agenda-Reformen seien „unter dem Strich ein Erfolg“ gewesen, diktiert der 75-Jährige den Hauptstadtjournalisten in den Block. Zwar habe die Politik nicht alles so umgesetzt wie von ihm vorgeschlagen. Den Mindestlohn hätte es nach seiner Vorstellung schon viel früher gegeben, auch bei der Trennung von Arbeitsagenturen und Jobcentern oder bei der Höhe des Arbeitslosengelds II sei die Regierung damals nicht seinen Empfehlungen gefolgt. Doch die Massenarbeitslosigkeit ist Geschichte, die Reformen haben Wirkung gezeigt.

Doch der Erfolg habe auch seinen Preis. Jeder Vierte, der heute seinen Job verliere, lande direkt in der nach ihm benannten Grundsicherung, bemängelt Hartz. Außerdem gebe es immer noch knapp eine Million Langzeitarbeitslose und 250.000 arbeitslose Jugendliche in Deutschland. Wer Artikel 1 des Grundgesetzes ernst nehme, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist, der dürfe sich mit dieser Situation nicht abfinden. Denn die Würde lasse sich durch Arbeit eher wahren als durch „prekäre Transferleistungen“, sagt der langjährige Arbeitsdirektor von Volkswagen. „Es sind unkonventionelle Ideen nötig, die einen Perspektivwechsel auf neue Wege eröffnen.“

Seine eigenen unkonventionellen Ideen hat der gebürtige Saarländer zusammen mit Wissenschaftlern in einem Arbeitskreis der Stiftung Saarländer helfen Saarländern (SHS Foundation) erarbeitet. Statt Langzeitarbeitslose zu alimentieren oder in einem sozialen Arbeitsmarkt zu parken, will Hartz ihnen einen regulären Job bei Privatunternehmen, sozialen Einrichtungen oder Kommunen verschaffen. Die Arbeitgeber zahlen marktfähige Löhne, die dann vom Staat bis auf Höhe des Mindestlohns aufgestockt werden. Positiver Nebeneffekt: Die Jobcenter, die heute vor allem damit beschäftigt sind, die Bedürftigkeit zu prüfen und Hartz-IV-Bescheide zu erstellen, würden entlastet. Der Preis dieses Modells hänge von der konkreten Ausgestaltung ab. Aber er sei überzeugt, dass es sich – gemessen an den heutigen Hartz-IV-Zahlungen – mit einer „unwesentlichen Mehrbelastung, wenn nicht sogar kostenneutral“ umsetzen ließe, sagt Hartz.


Jugendarbeitslosigkeit bleibt ein Problem

In Gruppen von rund 20 Personen sollen Langzeitarbeitslose von Trainern lernen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. „Minipreneure“ nennt Hartz sie. Dank neuer digitaler Möglichkeiten gelinge es heute viel besser, verborgene Talente zu entdecken  und neue Dienstleistungen zu entwickeln, in denen auch Langzeitarbeitslose eine Chance haben. Nach Hartz‘ Vorstellungen sollen die Jobcenter entscheiden, wer in das Netzwerk wechseln darf und dort ein intensives Gesundheitscoaching und einen persönlichen Entwicklungsplan bekommt. Zur Teilnahme gezwungen werden kann aber kein Langzeitarbeitsloser. Fördern ja, fordern nein.

Ähnliche Modelle schweben Hartz auch zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor. Deutschland rühme sich hier zwar einer niedrigen Quote. Doch gemessen an der absoluten Zahl liege die Bundesrepublik unter den 28 EU-Staaten auf Rang fünf. Und in der Europäischen Union seien noch immer vier Millionen Jugendliche ohne Job – trotz der vor einigen Jahren aufgelegten Jugendgarantie. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker müsse seine Hausaufgaben machen: „Er hat die Macht, er hat die Mittel und die Ideen liegen vor“, sagt Hartz. Der frühere Personalchef bringt auch sein „Zeitwertpapier“ wieder ins Spiel, das er schon in seiner Zeit bei VW vorgeschlagen hatte. Unternehmen sollen angehalten werden, über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden, und dafür aus einem Fonds entschädigt werden.

Bei der Politik ist Hartz mit seinen Ideen bisher nicht auf Gehör gestoßen, die hat längst eigene Pläne. So ziehen Arbeitsministerin Andrea Nahles und auch der neue Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, inzwischen einen sozialen Arbeitsmarkt für den harten Kern von 100.000 bis 200.000 Langzeitarbeitslosen in Betracht. Das „Zeitwertpapier“, mit dem sich eine Ausbildung oder der Vorruhestand finanzieren lässt, findet sich in Ansätzen auch in den Vorstellungen von einem „Bildungskonto“ bei SPD und CSU.

Dass sein Rat nach der Bundestagswahl noch einmal gefragt sein und er sogar eine neue Arbeitsmarktkommission anführen könnte, erwartet Hartz aber nicht mehr. Das sei aber auch nicht schlimm, denn er habe ja inzwischen ein Alter, in dem man nicht mehr unbedingt Karriere machen müsse.    

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