Krankenhäuser am Limit „Das System der Fallpauschalen funktioniert bei Kindern besonders schlecht“

Krankenhäuser in Not: Die Betten in Kinderkliniken sind voll und die Grippesaison hat gerade erst begonnen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Kinderkrankenhäuser schlagen Alarm: Schon zu Beginn der Saison für Atemwegserkrankungen ist ihr Limit erreicht. Die Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, erklärt, was hinter der Misere steckt – und was die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprochene Millionenspritze bringt.

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Im Bundestag wird an diesem Freitag ein Gesetz beschlossen, mit dem Kinderkliniken und Geburtshilfestationen 2023 und 2024 mit zusätzlichem Geld unterstützt werden sollen. Krankenhäuser in fast allen Bundesländern schlagen Alarm, weil oft keine Normal- und Intensivbetten mehr frei sind. Die Zahl der Fachabteilungen für Kinderheilkunde ist seit 1995 von 416 auf 334 gesunken. 1995 gab es noch knapp 26.000 Betten in Kinderabteilungen, 2020 waren es noch knapp 18.000. Die Marburger-Bundesvorsitzende Susanne Johna vertritt gut 130.000 Krankenhausärzte im Land.

WirtschaftsWoche: Frau Johna, warum sind die Kinderkliniken so voll und in manchen Orten auf Normal- und sogar Intensivstationen kein Bett mehr zu finden?
Susanne Johna: Im Herbst und Winter ist es immer deutlich voller auf diesen Stationen, jetzt ist es besonders ausgeprägt. Kinder haben derzeit viele Atemwegserkrankungen, teilweise mit schwerem Verlauf. Vor allem sehr kleine Kinder unter vier Jahren sind besonders vom Respiratorischen Synzytial-Virus, dem RS-Virus, betroffen. Die Kinder hatten in den letzten Jahren durch die Corona-Schutzmaßnahmen eher weniger Kontakt mit solchen Infektionen. Auch echte Grippeerkrankungen nehmen deutlich zu.

Wie sind die Krankenhäuser darauf vorbereitet?
In den Kinderkliniken können auf den Intensivstationen im Moment nur noch 60 Prozent der Betten tatsächlich betrieben werden. Das Personal fehlt. Das liegt daran, dass die Beschäftigten derzeit selbst häufiger krank sind, auch mit Corona. Es hängt vor allem aber daran, dass die Fachkräfte in der Pflege fehlen. Diesen Mangel gibt es überall, besonders stark ist er in der Kinderkrankenpflege. Die finanzielle Ausstattung der Kliniken ist hier seit Jahren völlig unzureichend, entsprechend schwierig sind die Arbeitsbedingungen. Die Leute wandern ab.

Im Krankenhaus wird nach Fallpauschalen bezahlt. Eine Diagnose bringt eine bestimmte Bezahlung. Warum reichen die für Kinder vorgesehenen Summen nicht aus?
Der Aufwand wird vollkommen unzureichend berücksichtigt. Kinderkliniken haben weniger planbare Behandlungen als andere Krankenhäuser, dafür aber häufiger unvorhersehbare Notfälle und kurzfristige Erkrankungen mit hohem Personalaufwand. Hinzu kommt: Die Pädiatrie muss immer die Eltern mit in die Behandlung einbeziehen, Kinder und Eltern sind bei einer akuten Erkrankung oft auch psychisch mitgenommen. Etwas Einfaches wie eine Blutabnahme kann durchaus zehnmal länger dauern als bei Erwachsenen. Was bei denen schnell geht, braucht Geduld in der Behandlung verunsicherter und verständlicherweise auch ängstlicher Kinder.

Relativ leere Stationen im Sommer, Überfüllung im Herbst und Winter. Wie lösen Ärztinnen und Pfleger die akute Situation jetzt?
Es ist wirklich schwierig, wenn man nun Eltern in der Notaufnahme sagen muss, dass man das kranke Kind nicht aufnehmen kann. Dann muss ein Bett in erreichbarer Entfernung aufgetrieben werden. In Bundesländern wie Hessen gibt es dafür ein Meldesystem. Heute haben von 16 Kinderkliniken im Land fünf noch ein Bett oder mehr in einer Normalstation als frei gemeldet. Bei Intensivbetten waren es nur vier von 16 Kliniken. Eine Verlegung mit dem Rettungswagen kann dann weite Entfernungen bedeuten.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach will in den nächsten zwei Jahren Geld zusätzlich geben. Für die Pädiatrie in einem Krankenhaus soll es zum Beispiel zusätzlich eine Million Euro pro Jahr geben. Hilft das?
Es hilft, aber es reicht nicht. Das System der Fallpauschalen funktioniert bei Kindern besonders schlecht. Das zusätzliche Geld kann also nur Überbrückung sein. Gerade in der Kindermedizin muss die Vorhaltung von Betten bezahlt werden, die im Sommer häufiger leer sind. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden. Sonst lassen sich in der Pflege keine neuen Leute finden. Aber auch unter Ärztinnen und Ärzten wollen viele zu Beginn in die Pädiatrie und entscheiden sich dann um – wegen der Arbeitsbedingungen. Und schließlich brauchen wir gute regionale Planung. Dort wo höhere Geburtenraten sind, müssen wir bei der Versorgung reagieren. In manchen Regionen, wo die Bevölkerung altert und weniger Bedarf da sein wird, bedeutet das vielleicht auch, dass weniger Pädiatrie nötig ist. Das setzt eine aktive Planung der Länder voraus.

Die Zahl der Infektionen und schweren Erkrankungen dürfte noch steigen. Was kann ganz akut in diesem Winter helfen?
Wir müssen schnell bessere Möglichkeiten zum Transport bekommen. Der Rettungsdienst ist ein Engpass, Krankenwagen sind oft schwer verfügbar. Jetzt in der Krise würde den Kliniken auch helfen, wenn zumindest zeitweise Bürokratie ausgesetzt wird. Zu Beginn der Coronapandemie wurden Abstriche gemacht bei der Dokumentation von Qualitätskriterien und bei Daten für Überprüfungen durch den Medizinischen Dienst. Ein kurzzeitiger Bürokratie-Stopp würde schnell helfen und viel Arbeitszeit von Ärzten und Pflegenden freisetzen.

Lesen Sie auch: Gesundheitsminister Karl Lauterbach will mit einem Hilfsfonds den unter der Energiekrise ächzenden Kliniken beispringen. Das sei dringend nötig, heißt es aus der Gesundheitsbranche. Doch das Geld lässt auf sich warten.

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