Es ist eine große, heikle Operation mit komplizierten Details: es geht um Deutschlands gut 1800 Krankenhäuser, für die die Krankenkassen jeden dritten Euro ausgeben. Nun sind Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seine Länderkollegen ein gutes Stück vorangekommen. Lauterbach verzichtet auf die strikte Qualitäts-Einstufung von Häusern. Künftig soll aber einheitlich vorgegeben werden, welche Ausstattung Kliniken für bestimmte Leistungen haben müssen. Das könnte mittelfristig das Aus für einige kleinere Häuser bedeuten. Was die Reform bringen dürfte, erklärt die Vorsitzende des größten deutschen Ärzteverbandes, die Chefin des Marburger Bundes, Susanne Johna.
WirtschaftsWoche: Frau Johna, Deutschlands Kliniken sind teuer, nicht alle gut, das Personal ist knapp und oft überlastet. Was bleibt von der Klinikreform von Minister Lauterbach? Was bessert sich?
Susanne Johna: Auf die Schnelle ändert sich noch nichts für die Häuser, die ja auch durch Inflation und hohe Energiepreise in schwieriger Lage sind. Die Länder haben immerhin entdeckt, dass sie seit Jahren nicht genug investieren in die Häuser, wie es ihre Aufgabe wäre. Da fehlen jährlich mindestens drei Milliarden Euro. Allerdings sind weder Länder noch Bund bisher bereit, mehr zu zahlen.
Die Reform soll die Qualität der Versorgung verbessern. Die Häuser dürfen nicht mehr alles anbieten, sondern müssen sich per Ausschreibung bewerben und Bedingungen erfüllen. Führt das dazu, dass sich die Zahl der Kliniken verringert?
Mittelfristig wird das schon so sein. Beispiel Urologie: Da werden sich Krankenhäuser in einem Versorgungsgebiet bewerben müssen, um die Leistungen weiter anzubieten. In Hessen gibt es sechs solcher Regionen. Bei benachbarten Krankenhäusern wird das den Zuschlag bekommen, das die bessere Ausstattung an Personal und Technik hat.
NRW dient als Vorbild, dort wird seit drei Jahren umgebaut. Was hat sich da geändert?
Dort zeigt sich, dass Häuser Bestand haben, die insgesamt eine gute Ausstattung vorweisen können. Es spielt eine Rolle, ob einzelne Häuser mehrere Leistungsgruppen abdecken und mehrere Abteilungen haben. Manche Krankenhäuser werden in der bisherigen Form nicht weiterexistieren können. Einzelne Träger überlegen schon jetzt, bestimmte Häuser nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das muss die Politik bei ihren Planungen im Blick behalten.
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Wie lange dauert der Umbruch – von heutigen Kliniken, die alles Mögliche anbieten, bis zur gewünschten Situation, dass nur noch Häuser nach vorgegebenen Standards arbeiten?
Wenn es im Januar 2024 losgeht, wie Gesundheitsminister Lauterbach will, dann muss erstmal in den Ländern neu geplant werden. Vor 2025 kann es in der Fläche kaum losgehen . Der Planungsprozess vor Ort dauert. Es werden Standorte geschlossen werden und anderswo mehr Kapazität dazukommen. Auch Ärzte und Pflegekräfte werden sich umorientieren – aber sicher nicht eins zu eins verschieben lassen.
Die könnten mit den Füßen abstimmen und eine Schließung beschleunigen, wenn absehbar ist, dass ein Haus nicht bestehen kann….
Schon heute schließen Häuser, weil sie keine Mitarbeiter mehr finden. Sobald eine Schließung Thema in der Betriebsversammlung ist, werden sich viele nach etwas Neuem umschauen. Manche könnten aber auch ganz aufhören und früher in Rente gehen.
Karl Lauterbachs Reformpläne im Überblick
Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld soll laut Entwurf zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie die Beträge für Sachleistungen. Pflegegeld gibt es als Unterstützung, wenn Pflegebedürftige nicht in Einrichtungen leben. Sie können es frei nutzen, etwa für Betreuung. Je nach Pflegegrad sind es zwischen 316 und 901 Euro im Monat. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz monierte, die mehr als vier Millionen daheim versorgten Menschen würden weiter im Stich gelassen. Ein Pflegegeld-Plus von nur fünf Prozent stehe „nicht ansatzweise im Verhältnis zur Kostenexplosion” in den vergangenen fünf Jahren, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Bewohnerinnen und Bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen dann auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.
Der Pflegebeitrag liegt aktuell bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Zum 1. Juli soll er erhöht werden, und zwar in Kombination mit Änderungen wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Demnach muss mehr danach unterschieden werden, ob man Kinder hat oder nicht. Alles in allem soll der Beitrag für Kinderlose damit auf 4 Prozent steigen und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der darin enthaltene Arbeitgeberanteil soll von nun 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent herauf. Lauterbach sagte, damit komme man durch diese Legislaturperiode. Es könne so jedoch nicht weitergehen. Daher soll sich eine Kommission mit Überlegungen für ein längerfristiges Finanzkonzept befassen.
Konkret soll der Pflegebeitrag für größere Familien für die Dauer der Erziehungsphase bis zum 25. Geburtstag des jeweiligen Kindes deutlicher gesenkt werden – und zwar schrittweise je Kind. Ab zwei Kindern müsste damit – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil von derzeit 1,525 Prozent – weniger gezahlt werden als heute. Bei zwei Kindern soll der Arbeitnehmeranteil künftig 1,45 Prozent betragen, bei drei Kindern 1,2 Prozent, bei vier Kindern 0,95 Prozent und bei fünf und mehr Kindern 0,7 Prozent. Ist ein Kind älter als 25 Jahre, entfällt „sein” Abschlag. Sind alle Kinder aus der Erziehungszeit, gilt dauerhaft der Ein-Kind-Beitrag, auch wenn man in Rente ist.
Die mitregierenden Grünen meldeten für die Beratungen im Bundestag prompt Nachbesserungsbedarf an. Man müsse feststellen, dass der Finanzminister verhindert habe, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in notwendiger Höhe entlastet werden, kritisierten die Fachpolitikerinnen Maria Klein-Schmeink und Kordula Schulz-Asche. Im Koalitionsvertrag vereinbarte Steuermittel für gesellschaftliche Aufgaben stünden nicht bereit. Unions-Experte Tino Sorge (CDU) warnte vor einem Finanzkollaps. Seit Monaten blockierten sich Lauterbach und FDP-Finanzminister Christian Lindner. Die Pflegekassen beklagten, mit dem vorliegenden Entwurf springe die Regierung deutlich zu kurz.
Um Ausfälle wichtiger Arzneimittel zu vermeiden, will Lauterbach bestimmte Preisregeln lockern. Das soll Lieferungen nach Deutschland attraktiver machen. Bei Kindermedikamenten sollen Hersteller den Preis um bis zu 50 Prozent heraufsetzen dürfen. Zudem sollen europäische Hersteller – angefangen bei Antibiotika – stärker zum Zug kommen. Geplant sind auch Vorgaben zu mehrmonatigen Vorräten als Sicherheitspuffer. Mit anderen Maßnahmen dürfte das Gesetz die gesetzlichen Kassen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag mehr kosten, wie der Minister schätzte. Die Linke kritisierte, er knicke vor der Pharma-Lobby ein. Engpässe gab es zuletzt im Winter etwa bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder.
Die politisch Verantwortlichen wollen nicht sagen, wo und wie viele Krankenhäuser werden schließen müssen. Ist schon absehbar, wo das passiert?
Wir brauchen eine Grundversorgung in der Fläche. Deshalb wird man Schließungen in sehr ländlichen Gebieten vermeiden müssen. Es geht aber darum zu planen und auszuschreiben, was in einer Region gebraucht wird. Größere Häuser haben einen gewissen Vorteil: Nachtdienste, Krankheitsausfälle oder Urlaubszeiten lassen sich dort leichter bewältigen. Wir als Ärztegewerkschaft sagen, dass es knapp acht Ärztinnen und Ärzte braucht, um den Bereitschaftsdienst in einer Abteilung zu organisieren.
Wie können Patienten überzeugt werden, längere Wege auf sich zu nehmen?
Es ist auch für Patientinnen und Patienten oft sinnvoll, wenn Abteilungen größer sind und die Ausstattung besser ist. Beispiel Krebsbehandlung: Hier braucht es eine spezialisierte Versorgung und Betreuung. Die Erfolgsaussichten sind höher in onkologischen Zentren und in Krankenhäusern, die mit den Zentren kooperieren. Da ist es weniger wichtig, dann 50 Kilometer statt bisher 20 Kilometer fahren zu müssen.
Sind ungeplante Schließungen und Pleiten nun abgewendet, die es seit einiger Zeit gibt?
Die Häuser werden weiter vom Markt gehen, wenn es nicht zusätzlich eine Finanzierung im Übergang gibt. Aber auch die Schließung und die Neuorganisation in den Häusern wird Geld kosten. Ein Fonds von 100 Milliarden Euro ist realistisch, um den Umbau bundesweit zu bewältigen. Das wäre umgerechnet auf uns in etwa vergleichbar mit dem, was Dänemark für den Krankenhausumbau investiert hat. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass ein Umbau nur funktioniert, wenn wir endlich entbürokratisieren und Ärzte wie Pflegekräfte entlasten. Und ohne Digitalisierung werden wir weiter Doppeluntersuchungen haben, werden wir Patienten nicht zum besten Krankenhaus lotsen können.
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