Kriminalität Deutschlands Zollbeamte rüsten auf

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel um Milliarden Euro. Deutschlands Zollbeamte verstärken den Kampf gegen organisierten Betrug – und können doch nie gewinnen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Zollbeamter beobachtet in Hamburg an der Freihafengrenze die vorüberfahrenden Fahrzeuge. Quelle: dpa

Um 22 Uhr landen die ersten Maschinen. 56 Airbusse und Boeings steuern in dieser Nacht den Leipziger Flughafen an. Lastkarren schaffen die rund 2000 Tonnen Fracht ins 413 Meter lange, 97 Meter breite und 16 Meter hohe Verteilzentrum, auf kilometerlangen Laufbändern rattern Pakete und Briefsäcke zu den nächsten Transportcontainern. Im DHL-Luftfrachtkreuz geht alles express, damit die ersten Flugzeuge schon um ein Uhr in der Früh wieder abheben können – nach Amsterdam, Brüssel oder Mailand genauso wie nach Cincinnati, Hongkong oder Sharjah.

Doch in der Zeit dazwischen muss alles noch durch den Zoll. Der residiert in einem kleinen Gebäude am Rande des Leipziger Flughafens. Zwei Dutzend Beamte blicken dort auf ihre Monitore. Jede Sendung erscheint in grüner Schrift, und zwar sobald sie an einem DHL-Schalter in Istanbul oder Shanghai aufgegeben wird – also lange bevor sie Leipzig ankommt. So gewinnen die Zöllner die Zeit, die sie brauchen, um Frachtpapiere zu prüfen und verdächtige Sendungen gegebenenfalls abzufangen.

Auf einem Bildschirm taucht die Lieferung von Elektroschaltern aus China auf, 34 Kilogramm für 283 Euro. Der Zöllner stutzt. Viel zu billig, vermutet er und fordert einen Zahlungsnachweis. Sofort benachrichtigt DHL den Empfänger. Kurz darauf erscheinen 2818 Euro auf dem Monitor, der Wert der Ware hat sich mal eben verzehnfacht. Ein typischer Fall von versuchter Unterfakturierung, um Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zu sparen. Statt 67,22 Euro muss der Empfänger nun 626,43 Euro zahlen, freut sich der Leipziger Zolldienststellenleiter Hans-Peter Rabenau.

Das Geld wandert in die Kasse von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. 48,5 Milliarden Euro Einfuhrumsatzsteuer kassierten seine 39 000 Zollbeamten im vergangenen Jahr, außerdem 4,2 Milliarden Euro Einfuhrzoll. Daneben achten sie darauf, dass die Importeure von Tabakwaren, Kaffee oder Benzin auch die fälligen Verbrauchsteuern entrichten; 66 Milliarden Euro kamen dabei 2013 bundesweit zusammen.

Der Zoll und die organisierte Kriminalität

Da ist die Versuchung groß, dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen. Von einzelnen schwarzen Schafen kann bei den Kontrollen nicht die Rede sein. „Es gibt Nächte, da ist jede zehnte Lieferung, die bei uns ankommt, unterfakturiert“, schätzt Rabenau. Bei den Sendungen aus China sind es nach seinen Angaben sogar rund 90 Prozent.

Das Netz weiter spannen

Importeure verschleiern den wahren Warenwert, chinesische Hersteller fälschen die Herkunft, um Antidumpingzölle zu umgehen, Touristen schleusen türkischen Goldschmuck ein, Spediteure schmuggeln ukrainische Zigaretten. An den Grenzen und Kontrollstellen findet Tag und Nacht ein Katz-und-Maus-Spiel statt – mit organisierten Kriminellen, halbseidenen Händlern und Gelegenheitsgaunern. Schäubles Abfangjäger üben sich in der Kunst, ihr Netz zwar eng genug zu knüpfen und weit aufzuspannen, damit Täter und Taten hängen bleiben. Doch gleichzeitig soll der unendliche Fluss von Warenlieferungen in die Handels- und Industrienation Deutschland nicht zum Erliegen kommen.

Frau wird mit 70.000 Dollar im Magen festgenommen
Geld in KapselnIn der Dominikanischen Republik hat sich eine Frau mit umgerechnet über 55.000 Euro im Magen an Flughafenbeamten vorbeistehlen wollen. Die 40-Jährige sei jedoch festgenommen worden, sagte der Sprecher der nationalen Drogenkontrollbehörde, Dario Medrano, am Freitag. Demnach war das Geld in jeweils 16 Kapseln im Bauch der Frau versteckt gewesen. Zudem hätten Beamte 69.000 Dollar in bar sichergestellt, die sie in ihrem Koffer verborgen habe. Das Geld stammt den Angaben zufolge vermutlich aus Drogengeschäften. Quelle: dpa
ElfenbeinIn einer als Cashew-Nüsse deklarierten Ladung aus Afrika hat der Zoll in Vietnam knapp 60 Elefantenstoßzähne entdeckt. Die illegale Elfenbein-Ladung wurde am Wochenende am Flughafen in Ho-Chi-Minh-City konfisziert, wie der Zoll am Montag berichtete. Seit Anfang des Jahres seien 300 Kilogramm geschmuggeltes Elfenbein im Wert von fast 650.000 Euro entdeckt worden. Der Elfenbeinhandel ist seit 1989 verboten. Der Schmuggel blüht aber, vor allem in China ist Elfenbein für Schmuck und Ornamente gefragt. Wilderer schlachten in Afrika nach Schätzungen im Jahr mehr als 20.000 Elefanten ab. Quelle: dpa
Die Zoll-Hauptstellen haben ihre Jahresbilanz gezogen. Ergebnis: Wer Drogen oder andere Dinge am Zoll vorbei schmuggeln will, lässt sich einiges einfallen. In Bezug auf Drogen haben die Fahnder festgestellt, dass im vergangenen Jahr mehr synthetische Drogen geschmuggelt wurden. Auf dem Frankfurter Flughafen beispielsweise wurden mit 963 Kilogramm rund 30 Prozent weniger Betäubungsmittel beschlagnahmt, der Anteil von neuen synthetischen Drogen war mit 21 Kilogramm aber doppelt so groß wie im Vorjahr. Geschätzter Schwarzmarktwert der Funde: 22 Millionen Euro. Quelle: dpa
AmphetamineVon der als "Pepp" oder "Speed" bekannten Droge wurden im vergangenen Jahr Deutschlandweit 319 Kilogramm sichergestellt. Im Brett dieses Skateboards waren allein 200 Gramm Amphetamine versteckt - durch den Verkauf hätten sich Preise von bis zu 4000 Euro erzielen lassen. Quelle: dpa
HeroinEin weiteres Beispiel für den Ideenreichtum der Drogendealer: in den Teppich eingewebte Heroin-Schnüre. Mit 128 Kilogramm wurden in 2013 nur knapp 32 Prozent der im Vorjahr sichergestellten Menge aus dem Verkehr gezogen. Quelle: dpa
Zigaretten147 Millionen Zigaretten wurden 2013 vom Zoll beschlagnahmt - verglichen mit rund 80 Milliarden legal verkauften Zigaretten eine eher geringe Menge. Damit hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht viel geändert - 2012 waren es 146 Millionen beschlagnahmte Zigaretten. Zwar wird zunehmend weniger geraucht, die Menge von konsumierten Feinschnitt ist seit den Neunzigern jedoch gestiegen. Auch hier sind Schmuggler kreativ... Quelle: dpa
Wie diese mit Tabak gefüllte Garnrolle zeigt. Quelle: dpa

„Wenn DHL auch nur die verdächtige Ware zum Zoll bringen müsste“, sagt Rabenau, „dann gäbe es keinen Expressdienst mehr.“ Also leisten seine Zöllner am Leipziger Flughafen „einen inhouse custom service – direkt im DHL-Gebäude“, preist der Beamte die Kooperation zwischen Zoll und Wirtschaft. Was zu funktionieren scheint. Im Weltbank-Ranking der effizientesten Zollbehörden kommt Deutschland auf Platz zwei, hinter Norwegen und vor Singapur. Von einem „großen Standortvorteil“, spricht Schäubles Parlamentarischer Finanzstaatssekretär Michael Meister.

Dabei geht es nicht nur um Steuern und Zollabgaben. Drogen, Waffen und spaltbares Material stehen genauso auf der Fahndungsliste des Zolls wie Produktfälschungen oder illegale Medikamente. In einer abgesperrten Ecke des Leipziger Verteilzentrums stehen Kisten mit Prada-Plagiat-Täschchen, aus einer anderen quellen Turnschuhe mit imitiertem Nike-Emblem, daneben stapeln sich CD-ROMs mit raubkopierter Microsoft-Software. „Das sind die aktuellen Hits der Fälscher“, sagt Rabenau.

Am DHL-Drehkreuz Leipzig war es auch, wo Kokain in Kondomen auffiel, das im Transit aus Südamerika in Richtung Vatikan unterwegs war. Die Zöllner ließen den Stoff kontrolliert weitertransportieren; man wollte die Abnehmer ermitteln. Doch im Vatikan wurde die postlagernde Ware nicht mehr abgeholt, hieß es später in den Medien. Dafür musste aber ein verdächtiger Schweizergardist den Dienst still und leise quittieren.

Auf dem Monitor im Leipziger Zollkontrollraum ploppt eine weitere verdächtige Lieferung auf. 21 Kilo Rollos für 96 Euro inklusive Versandkosten – ungewöhnlich billig. Versender ist eine Privatperson mit Vorsteuerabzug – ebenfalls merkwürdig. Der Zoll nimmt die Anmeldung so nicht an. DHL muss einmal mehr mit dem Empfänger Kontakt aufnehmen. Offenbar handelt es sich um einen weiteren Fall von Unterfakturierung. Strafen sind hier nicht zu befürchten. Oft ist der Absender nicht auffindbar und die Absicht einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung schwer nachweisbar. Der Kampf gegen die millionenfachen Klein-Klein-Delikte im Frachtverkehr erinnert an das Steinerollen von Sisyphos.

Unterdessen rüstet der Zoll insbesondere gegen gewerbsmäßige Hinterzieher kräftig auf. Alle Einfuhranmeldungen laufen über das elektronische Zollsystem Atlas. Verdächtige Lieferungen merkt sich das System. Eingeloggt ist Zora. So heißt die Zentralstelle Risikoanalyse, die in Münster sitzt. 48 Spezialisten durchsuchen hier Atlas nach kriminellen Lieferungen. Eine Art elektronische Rasterfahndung.

Starker Zuwachs

Marko Stolle, der beim Zollkriminalamt das System weiterentwickelt, spricht lieber von „Risikomanagement“. Das klingt besser als der Begriff aus der Zeit der Terroristenfahndung. Überdies eröffnet das digitale Zeitalter auch für den Zoll bisher ungeahnte Möglichkeiten, Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zu sammeln und gezielt auszuwerten.

Als besonders hilfreich erweist sich die von Schäuble vorangetriebene und 2012 verabschiedete Geldwäschenovelle. Seit Finanzinstitute verschärft verdächtige Kontobewegungen melden müssen, ist es „zu einem starken Zuwachs der Verdachtsmeldungen“ gekommen, heißt es beim Zollkriminalamt. Die Zahl der Mitteilungen wegen möglicher Geldwäsche ist 2013 gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf 3810 gestiegen. Dabei wurden in 3242 Fällen Strafverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche eingeleitet, womit die Zahl von 2012 sogar um 24 Prozent übertroffen wurde. Auf diese Weise lassen sich oft Straftaten aufdecken, die der Geldwäsche vorausgehen. Das betrifft nicht allein Terrorismus und Drogenhandel – worauf die Verschärfung der Geldwäschegesetze in erster Linie zielte –, sondern jede Form der organisierten Kriminalität.

Hohe Margen mit Fälschungen und Schmuggelware
Wodkaflaschen und Ginflaschen Quelle: REUTERS
Ein Mann steckt sich eine Zigarette an Quelle: dpa
Kaffeebohnen Quelle: dpa
Diesel18.000 Euro pro Tankfüllung eines 38-Tonners spart, wer Diesel als „technisches Öl“ importiert. Die Energiesteuer beträgt 48,6 Cent pro Liter. Auch Heizöl (6,1 Cent Steuer) kommt entfärbt als Diesel in den Tank. Quelle: dpa
Schuhplagiate Quelle: dpa
Kassenbon Quelle: dpa
Gefälschte und echte Viagra-Pillen Quelle: AP

Ins elektronische Netz ging etwa die sogenannte Chinazelle, eine polnisch-vietnamesische Tätergruppe, die Textilien aus dem Reich der Mitte weit unter Wert importierte und damit 32 Millionen Euro Einfuhrumsatzsteuer, 17 Millionen Euro Zölle und 565 000 Euro Antidumpingzölle hinterzog. Zwei Jahre lang wickelte die Bande mehr als 2000 Lieferungen ab. Die Container kamen per Schiff in Hamburg an, konnten aber – der EU-Binnenmarkt macht es möglich – anderswo verzollt werden.

Zunächst meldete die Bande die Textilien über ihre Speditionsfirma P+M China beim Zollamt Celle an. Als die Beamten dort Verdacht wegen der niedrigen Einfuhrpreise schöpften, schleuste die Chinazelle – so der spätere Codename der Ermittler für die Bande – die Container über die Zollämter Velten, Neuruppin und Marzahn. Als den Zöllnern hier ebenfalls Zweifel kamen, benannte die Bande ihre Transportfirma kurzerhand in MP China Import um und lenkte die Ware über das Zollamt Wuppertal. Auch der (fiktive) Lieferant aus Ho-Chi-Minh-Stadt erhielt einen neuen Namen, um die Zollfahnder abzuschütteln. Mit ständig wechselnden Abnehmeradressen versuchten die Gauner zusätzliche Haken zu schlagen.

Zu viel in Cash abgewickelt

Richtig ins Rollen kamen die Ermittlungen, als eine Verdachtsanzeige wegen Geldwäsche eintrudelte. Die Speditionsfirma hatte Rechnungen nicht per Überweisungen beglichen und stattdessen in Cash abgewickelt. Der Hausbank fiel der mickrige Zahlungsverkehr auf. Auf deren Geldwäscheverdachtsmeldung hin übernahm das Zollfahndungsamt Hannover den Fall, filzte die Geschäftsunterlagen und überwachte die Gruppe. Der deutsche Zollverbindungsbeamte in Peking konnte schließlich über seine Kontakte ermitteln, dass die Textilien in Wirklichkeit aus China stammten; wegen der Antidumpingzölle auf chinesische Produkte wurde die Ware einfach vietnamisiert. Am Ende des Katz-und-Maus-Spiels verurteilte das Landgericht Stade die beiden Haupttäter zu vier und drei Jahren Haft.

Der Fall Chinazelle zeigt den immensen Aufwand auf beiden Seiten. Für die Ermittler, um die Bande hieb- und stichfest zu überführen; für die Täter mit ihrem eigenen Risiko- und Krisenmanagement, um unverzüglich auf Verfolger zu reagieren, verräterische Spuren zu verwischen und verbleibende staatliche Schwachstellen konsequent auszunutzen.

Es ist ein Wettrüsten. Mit Paris (Pre Arrival Risk Analysis) peppt Schäubles Truppe seit Neuestem ihre IT-gestützte Risikoanalyse auf. Paris analysiert die Daten aller Sendungen – zusätzlich zum risikoprofilbasierten Ansatz – auch nach unbekannten Risiken. In Weiden in der Oberpfalz scannen 85 Beamte 2,5 Million Lieferungen monatlich auch auf sicherheitsrelevante Verdachtsmomente. Auslöser hierfür waren die Jemen-Pakete. Absender aus dem arabischen Land schickten als Geschenke deklarierte Paketbomben via Köln/Bonn nach London-Heathrow. Am Adenauer-Flughafen wollten die Zöllner eine dieser Sendungen kontrollieren, doch UPS hatte sie schon weiter nach London verladen. „Mit den elektronischen Sicherheitsanalysen gewinnen wir im Express-Zeitalter mehr Vorlaufzeit“, erklärt der Zollabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, Julian Würtenberger, die IT-Aufrüstung.

Als Generalzolldirektor, so sein offizieller Titel, bereist Schäubles Abteilungsleiter regelmäßig europäische und außereuropäische Länder, um Allianzen mit anderen Zollbehörden zu schmieden. 17 Verbindungsbeamte sind bereits an deutschen Botschaften im Einsatz, darunter in China, Dubai, Kolumbien, Polen, der Ukraine und den USA. Der persönliche Kontakt über Grenzen hinweg ist auch im digitalen Zeitalter wichtig. Gerade mit China, woher 80 Prozent der Produktfälschungen (einschließlich Hongkong) und ein Großteil der unterfakturierten Waren stammen, habe sich eine erstaunlich gute Kooperation entwickelt, lobt Würtenberger.

Auf den Spuren von Sherlock Holmes

Ein bisschen Sherlock Holmes hilft ebenfalls. „Wenn die EU Antidumpingzölle erhebt“, erklärt Risikoanalyst Stolle, „überlegen wir uns schon im Vorfeld, wie Lieferanten diese Zusatzabgabe umgehen könnten.“ Angesichts von Strafzöllen, die zum Teil so hoch wie der eigentliche Warenwert sind, ist die Versuchung groß, bei der Zollanmeldung einfach eine andere Warengruppe oder ein anderes Herkunftsland anzugeben.

Als Brüssel chinesische Alufelgen mit einem Antidumpingzoll von 22,3 Prozent belegte, schnellten plötzlich die Importe von Felgen aus Malaysia in die Höhe. Dabei war das südostasiatische Land hier nie zuvor in Erscheinung getreten. Bei Vor-Ort-Ermittlungen stellten Zollfahnder fest, dass die chinesische Ware im Hafen von Port Klang an der viel befahrenen Straße von Malakka umgeladen wurde und dabei neue Ursprungszeugnisse erhielt. Nebenbei erwiesen sich die angeblichen VW-, Audi-, BMW-, Mercedes- und Porsche-Felgen als Fälschungen mit zum Teil gefährlichen Produktionsfehlern.

Hinweise kommen oft von Konkurrenten, die sich ärgern, wenn sich zum Beispiel eine Baumarktkette besonders günstig mit Felgen, Schrauben oder Energiesparlampen eindeckt. Oder der Zoll wird selbst stutzig, wenn nach Verhängen von Antidumpingmaßnahmen plötzlich Newcomer am Markt auftauchen. Hinweise liefert das elektronische Zollabfertigungsregister, das alle Anmeldungen über Jahre speichert. Risikoanalysten müssen die Computer nur mit entsprechenden Parametern füttern, und schon spuckt das System eine Reihe von potenziellen Hinterziehern aus.

Für solche Verdachtsfälle hält Bundesfinanzminister Schäuble eine eigene Truppe von 1500 Betriebsprüfern bereit. Die Zoll-BPler sind erheblich besser geschult als ihre Kollegen von den Finanzämtern der Bundesländer. Und sie sind weniger kompromissbereit, berichtet Frank-Peter Ziegler, Global Trade Partner beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen EY und früher selbst Zollbetriebsprüfer. Wenn sie kommen, wird es für die betroffenen Unternehmen unangenehm.

Die Prüfer nisten sich oft über Wochen ein und durchflöhen Rechnungen, Verträge, Warenanmeldungen, Reiseunterlagen und natürlich auch die Verrechnungspreise, die in der Regel die Grundlage für den Zollwert bilden. Sie vergleichen die Betriebsunterlagen mit den Atlas-Daten, die Steuererklärungen mit den Zollanmeldungen. In 95 Prozent der Unternehmen stoßen die BPler auf Ungereimtheiten, sagt Ziegler. Meist kommt es zu steuerlichen Nacherhebungen. Manche Unternehmen geraten zwangsläufig auch in den Verdacht von Hinterziehung oder Hehlerei, wenn sie Waren zu ungewöhnlich niedrigen Preisen beziehen.

Entdecken die Prüfer strafrechtliche Hinweise, brechen sie sofort ihre Arbeit ab. Dann rücken am nächsten Morgen bis zu 100 Zollfahnder an, beschlagnahmen Computer und rekonstruieren gelöschte E-Mails. Mit wachsendem Erfolg: Schäubles Prüfer konnten im vorigen Jahr 608 Millionen Euro unterschlagene Steuern und Zölle eintreiben, ein Anstieg um mehr als 80 Prozent gegenüber 2012.

Gerade der europäische Binnenmarkt ist zum Tummelplatz für Fiskalverbrecher geworden. Während die Zollschranken gefallen sind, herrscht bei Steuern immer noch europäische Kleinstaaterei. Sowohl kleine Ganoven als auch organisierte Verbrecher nutzen die fehlenden physischen Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten konsequent aus. Bekannt sind Umsatzsteuerbetrügereien, um Vorsteuern für Geschäfte zu kassieren, die nur auf dem Papier existieren.

Eine weniger bekannte, aber ausgesprochen profitträchtige Variante sind Kaffeekarusselle. Deutschland ist davon betroffen, weil es als eines von wenigen EU-Ländern Verbrauchsteuern auf die braunen Bohnen erhebt. Pro Kilo Röstkaffee fallen 2,19 Euro Verbrauchsteuer an, bei löslichem Kaffee sind es sogar 4,78 Euro (plus 19 Prozent Umsatzsteuer in beiden Fällen). Ein einziger 25-Tonnen-Laster bringt der Zollmafia fast 55 000 Euro Gewinn ein.

Mit 166 Lkw-Fuhren kam ein Spediteur aus Jüchen binnen eines Jahres auf 7,9 Millionen Euro Profit. Die Masche ist simpel: Der Kaffee wird im deutschen Großhandel erworben und in andere EU-Länder gekarrt, wobei die deutsche Verbrauchsteuer rückerstattet wird. Anschließend fahren die Laster wieder nach Deutschland. Hier bescheinigten Zwischenhändler auf den Rechnungen fälschlicherweise „Kaffeesteuer entrichtet“. Das sind nur kurz genutzte Firmen (Missing Trader), zum Teil mit Obdachlosen als Geschäftsführern, die für ein paar Flaschen Schnaps Namen und Unterschrift hergeben.

90 Prozent der DHL Express-Lieferungen aus China, welche am Leipziger Flughafen ankommen, sind unter Wert fakturiert. Quelle: dpa

Anfälliger EU-Markt

Die so nur angeblich versteuerte Ware gelangte im Fall der Jüchen-Connection anschließend über Broker unter anderem als Jacobs Krönung in den Lebensmitteleinzelhandel bis nach Berlin, meist zu supergünstigen Preisen. Doch offenbar gab es in der Lieferkette einen Verräter, der den Behörden einen Tipp gab.

Auf diese Weise kam das Zollfahndungsamt Essen auch an 23,8 Tonnen Dallmayr-Kaffee, den Beamte in Bochum beim Entladen eines bulgarischen Sattelzuges, der aus Belgien kam, sicherstellten. Bei einer anderen international vernetzten Bande, die rund 800 Tonnen Kaffee geschmuggelt hatte, stießen die Fahnder auf ein beachtlich diversifiziertes Sortiment, das auch Wodka, Bier und Wasserpfeifentabak umfasste. Alles, was sich als gewinnträchtig erweist, bietet das organisierte Verbrechen an. Die Mafia erweist sich in dieser Hinsicht als ausgesprochen kreatives und profitorientiertes Unternehmen.

Erschreckend leicht

Bleibt die Frage, ob die legale oder die illegale Wirtschaft besser floriert? Die fortschreitende globale Vernetzung kommt jedenfalls auch dem organisierten Verbrechen zugute. Im anschwellenden Strom der Warenlieferungen suchen (und finden) kleine und große Gauner ihre Chancen. Besonders kommt ihnen dabei zugute, dass der Anteil der superschnellen Fracht rasant anwächst. „Die Überwachung von immer mehr Sendungen in äußerst knapper Zeit gelingt nur durch Nutzung moderner

Risikomanagementinstrumente“, sagt Schäubles Staatssekretär Meister. Deshalb baue der Zoll zusätzlich spezialisierte Arbeitseinheiten auf, zum Beispiel die „Zentrale Internetrecherche“ in Frankfurt/Oder.

Doch es bleibt ein ungleicher Kampf – bei dem die Betrüger immer schon einen Schritt weiter sind. Daran ändert auch die IT-Aufrüstung nichts, die eher ein Hinterherrüsten ist. In einem vertraulichen Bericht räumt das Zollkriminalamt ein, „mit welcher erschreckenden Leichtigkeit der Missbrauch des (elektronischen Zollanmelde-)Verfahrens durchgeführt werden kann“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%