Kriminalität Deutschlands Zollbeamte rüsten auf

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel um Milliarden Euro. Deutschlands Zollbeamte verstärken den Kampf gegen organisierten Betrug – und können doch nie gewinnen.

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Ein Zollbeamter beobachtet in Hamburg an der Freihafengrenze die vorüberfahrenden Fahrzeuge. Quelle: dpa

Um 22 Uhr landen die ersten Maschinen. 56 Airbusse und Boeings steuern in dieser Nacht den Leipziger Flughafen an. Lastkarren schaffen die rund 2000 Tonnen Fracht ins 413 Meter lange, 97 Meter breite und 16 Meter hohe Verteilzentrum, auf kilometerlangen Laufbändern rattern Pakete und Briefsäcke zu den nächsten Transportcontainern. Im DHL-Luftfrachtkreuz geht alles express, damit die ersten Flugzeuge schon um ein Uhr in der Früh wieder abheben können – nach Amsterdam, Brüssel oder Mailand genauso wie nach Cincinnati, Hongkong oder Sharjah.

Doch in der Zeit dazwischen muss alles noch durch den Zoll. Der residiert in einem kleinen Gebäude am Rande des Leipziger Flughafens. Zwei Dutzend Beamte blicken dort auf ihre Monitore. Jede Sendung erscheint in grüner Schrift, und zwar sobald sie an einem DHL-Schalter in Istanbul oder Shanghai aufgegeben wird – also lange bevor sie Leipzig ankommt. So gewinnen die Zöllner die Zeit, die sie brauchen, um Frachtpapiere zu prüfen und verdächtige Sendungen gegebenenfalls abzufangen.

Auf einem Bildschirm taucht die Lieferung von Elektroschaltern aus China auf, 34 Kilogramm für 283 Euro. Der Zöllner stutzt. Viel zu billig, vermutet er und fordert einen Zahlungsnachweis. Sofort benachrichtigt DHL den Empfänger. Kurz darauf erscheinen 2818 Euro auf dem Monitor, der Wert der Ware hat sich mal eben verzehnfacht. Ein typischer Fall von versuchter Unterfakturierung, um Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zu sparen. Statt 67,22 Euro muss der Empfänger nun 626,43 Euro zahlen, freut sich der Leipziger Zolldienststellenleiter Hans-Peter Rabenau.

Das Geld wandert in die Kasse von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. 48,5 Milliarden Euro Einfuhrumsatzsteuer kassierten seine 39 000 Zollbeamten im vergangenen Jahr, außerdem 4,2 Milliarden Euro Einfuhrzoll. Daneben achten sie darauf, dass die Importeure von Tabakwaren, Kaffee oder Benzin auch die fälligen Verbrauchsteuern entrichten; 66 Milliarden Euro kamen dabei 2013 bundesweit zusammen.

Der Zoll und die organisierte Kriminalität

Da ist die Versuchung groß, dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen. Von einzelnen schwarzen Schafen kann bei den Kontrollen nicht die Rede sein. „Es gibt Nächte, da ist jede zehnte Lieferung, die bei uns ankommt, unterfakturiert“, schätzt Rabenau. Bei den Sendungen aus China sind es nach seinen Angaben sogar rund 90 Prozent.

Das Netz weiter spannen

Importeure verschleiern den wahren Warenwert, chinesische Hersteller fälschen die Herkunft, um Antidumpingzölle zu umgehen, Touristen schleusen türkischen Goldschmuck ein, Spediteure schmuggeln ukrainische Zigaretten. An den Grenzen und Kontrollstellen findet Tag und Nacht ein Katz-und-Maus-Spiel statt – mit organisierten Kriminellen, halbseidenen Händlern und Gelegenheitsgaunern. Schäubles Abfangjäger üben sich in der Kunst, ihr Netz zwar eng genug zu knüpfen und weit aufzuspannen, damit Täter und Taten hängen bleiben. Doch gleichzeitig soll der unendliche Fluss von Warenlieferungen in die Handels- und Industrienation Deutschland nicht zum Erliegen kommen.

Frau wird mit 70.000 Dollar im Magen festgenommen
Geld in KapselnIn der Dominikanischen Republik hat sich eine Frau mit umgerechnet über 55.000 Euro im Magen an Flughafenbeamten vorbeistehlen wollen. Die 40-Jährige sei jedoch festgenommen worden, sagte der Sprecher der nationalen Drogenkontrollbehörde, Dario Medrano, am Freitag. Demnach war das Geld in jeweils 16 Kapseln im Bauch der Frau versteckt gewesen. Zudem hätten Beamte 69.000 Dollar in bar sichergestellt, die sie in ihrem Koffer verborgen habe. Das Geld stammt den Angaben zufolge vermutlich aus Drogengeschäften. Quelle: dpa
ElfenbeinIn einer als Cashew-Nüsse deklarierten Ladung aus Afrika hat der Zoll in Vietnam knapp 60 Elefantenstoßzähne entdeckt. Die illegale Elfenbein-Ladung wurde am Wochenende am Flughafen in Ho-Chi-Minh-City konfisziert, wie der Zoll am Montag berichtete. Seit Anfang des Jahres seien 300 Kilogramm geschmuggeltes Elfenbein im Wert von fast 650.000 Euro entdeckt worden. Der Elfenbeinhandel ist seit 1989 verboten. Der Schmuggel blüht aber, vor allem in China ist Elfenbein für Schmuck und Ornamente gefragt. Wilderer schlachten in Afrika nach Schätzungen im Jahr mehr als 20.000 Elefanten ab. Quelle: dpa
Die Zoll-Hauptstellen haben ihre Jahresbilanz gezogen. Ergebnis: Wer Drogen oder andere Dinge am Zoll vorbei schmuggeln will, lässt sich einiges einfallen. In Bezug auf Drogen haben die Fahnder festgestellt, dass im vergangenen Jahr mehr synthetische Drogen geschmuggelt wurden. Auf dem Frankfurter Flughafen beispielsweise wurden mit 963 Kilogramm rund 30 Prozent weniger Betäubungsmittel beschlagnahmt, der Anteil von neuen synthetischen Drogen war mit 21 Kilogramm aber doppelt so groß wie im Vorjahr. Geschätzter Schwarzmarktwert der Funde: 22 Millionen Euro. Quelle: dpa
AmphetamineVon der als "Pepp" oder "Speed" bekannten Droge wurden im vergangenen Jahr Deutschlandweit 319 Kilogramm sichergestellt. Im Brett dieses Skateboards waren allein 200 Gramm Amphetamine versteckt - durch den Verkauf hätten sich Preise von bis zu 4000 Euro erzielen lassen. Quelle: dpa
HeroinEin weiteres Beispiel für den Ideenreichtum der Drogendealer: in den Teppich eingewebte Heroin-Schnüre. Mit 128 Kilogramm wurden in 2013 nur knapp 32 Prozent der im Vorjahr sichergestellten Menge aus dem Verkehr gezogen. Quelle: dpa
Zigaretten147 Millionen Zigaretten wurden 2013 vom Zoll beschlagnahmt - verglichen mit rund 80 Milliarden legal verkauften Zigaretten eine eher geringe Menge. Damit hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht viel geändert - 2012 waren es 146 Millionen beschlagnahmte Zigaretten. Zwar wird zunehmend weniger geraucht, die Menge von konsumierten Feinschnitt ist seit den Neunzigern jedoch gestiegen. Auch hier sind Schmuggler kreativ... Quelle: dpa
Wie diese mit Tabak gefüllte Garnrolle zeigt. Quelle: dpa

„Wenn DHL auch nur die verdächtige Ware zum Zoll bringen müsste“, sagt Rabenau, „dann gäbe es keinen Expressdienst mehr.“ Also leisten seine Zöllner am Leipziger Flughafen „einen inhouse custom service – direkt im DHL-Gebäude“, preist der Beamte die Kooperation zwischen Zoll und Wirtschaft. Was zu funktionieren scheint. Im Weltbank-Ranking der effizientesten Zollbehörden kommt Deutschland auf Platz zwei, hinter Norwegen und vor Singapur. Von einem „großen Standortvorteil“, spricht Schäubles Parlamentarischer Finanzstaatssekretär Michael Meister.

Dabei geht es nicht nur um Steuern und Zollabgaben. Drogen, Waffen und spaltbares Material stehen genauso auf der Fahndungsliste des Zolls wie Produktfälschungen oder illegale Medikamente. In einer abgesperrten Ecke des Leipziger Verteilzentrums stehen Kisten mit Prada-Plagiat-Täschchen, aus einer anderen quellen Turnschuhe mit imitiertem Nike-Emblem, daneben stapeln sich CD-ROMs mit raubkopierter Microsoft-Software. „Das sind die aktuellen Hits der Fälscher“, sagt Rabenau.

Am DHL-Drehkreuz Leipzig war es auch, wo Kokain in Kondomen auffiel, das im Transit aus Südamerika in Richtung Vatikan unterwegs war. Die Zöllner ließen den Stoff kontrolliert weitertransportieren; man wollte die Abnehmer ermitteln. Doch im Vatikan wurde die postlagernde Ware nicht mehr abgeholt, hieß es später in den Medien. Dafür musste aber ein verdächtiger Schweizergardist den Dienst still und leise quittieren.

Auf dem Monitor im Leipziger Zollkontrollraum ploppt eine weitere verdächtige Lieferung auf. 21 Kilo Rollos für 96 Euro inklusive Versandkosten – ungewöhnlich billig. Versender ist eine Privatperson mit Vorsteuerabzug – ebenfalls merkwürdig. Der Zoll nimmt die Anmeldung so nicht an. DHL muss einmal mehr mit dem Empfänger Kontakt aufnehmen. Offenbar handelt es sich um einen weiteren Fall von Unterfakturierung. Strafen sind hier nicht zu befürchten. Oft ist der Absender nicht auffindbar und die Absicht einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung schwer nachweisbar. Der Kampf gegen die millionenfachen Klein-Klein-Delikte im Frachtverkehr erinnert an das Steinerollen von Sisyphos.

Unterdessen rüstet der Zoll insbesondere gegen gewerbsmäßige Hinterzieher kräftig auf. Alle Einfuhranmeldungen laufen über das elektronische Zollsystem Atlas. Verdächtige Lieferungen merkt sich das System. Eingeloggt ist Zora. So heißt die Zentralstelle Risikoanalyse, die in Münster sitzt. 48 Spezialisten durchsuchen hier Atlas nach kriminellen Lieferungen. Eine Art elektronische Rasterfahndung.

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