Kriminalität Deutschlands Zollbeamte rüsten auf

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Starker Zuwachs

Marko Stolle, der beim Zollkriminalamt das System weiterentwickelt, spricht lieber von „Risikomanagement“. Das klingt besser als der Begriff aus der Zeit der Terroristenfahndung. Überdies eröffnet das digitale Zeitalter auch für den Zoll bisher ungeahnte Möglichkeiten, Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zu sammeln und gezielt auszuwerten.

Als besonders hilfreich erweist sich die von Schäuble vorangetriebene und 2012 verabschiedete Geldwäschenovelle. Seit Finanzinstitute verschärft verdächtige Kontobewegungen melden müssen, ist es „zu einem starken Zuwachs der Verdachtsmeldungen“ gekommen, heißt es beim Zollkriminalamt. Die Zahl der Mitteilungen wegen möglicher Geldwäsche ist 2013 gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf 3810 gestiegen. Dabei wurden in 3242 Fällen Strafverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche eingeleitet, womit die Zahl von 2012 sogar um 24 Prozent übertroffen wurde. Auf diese Weise lassen sich oft Straftaten aufdecken, die der Geldwäsche vorausgehen. Das betrifft nicht allein Terrorismus und Drogenhandel – worauf die Verschärfung der Geldwäschegesetze in erster Linie zielte –, sondern jede Form der organisierten Kriminalität.

Hohe Margen mit Fälschungen und Schmuggelware
Wodkaflaschen und Ginflaschen Quelle: REUTERS
Ein Mann steckt sich eine Zigarette an Quelle: dpa
Kaffeebohnen Quelle: dpa
Diesel18.000 Euro pro Tankfüllung eines 38-Tonners spart, wer Diesel als „technisches Öl“ importiert. Die Energiesteuer beträgt 48,6 Cent pro Liter. Auch Heizöl (6,1 Cent Steuer) kommt entfärbt als Diesel in den Tank. Quelle: dpa
Schuhplagiate Quelle: dpa
Kassenbon Quelle: dpa
Gefälschte und echte Viagra-Pillen Quelle: AP

Ins elektronische Netz ging etwa die sogenannte Chinazelle, eine polnisch-vietnamesische Tätergruppe, die Textilien aus dem Reich der Mitte weit unter Wert importierte und damit 32 Millionen Euro Einfuhrumsatzsteuer, 17 Millionen Euro Zölle und 565 000 Euro Antidumpingzölle hinterzog. Zwei Jahre lang wickelte die Bande mehr als 2000 Lieferungen ab. Die Container kamen per Schiff in Hamburg an, konnten aber – der EU-Binnenmarkt macht es möglich – anderswo verzollt werden.

Zunächst meldete die Bande die Textilien über ihre Speditionsfirma P+M China beim Zollamt Celle an. Als die Beamten dort Verdacht wegen der niedrigen Einfuhrpreise schöpften, schleuste die Chinazelle – so der spätere Codename der Ermittler für die Bande – die Container über die Zollämter Velten, Neuruppin und Marzahn. Als den Zöllnern hier ebenfalls Zweifel kamen, benannte die Bande ihre Transportfirma kurzerhand in MP China Import um und lenkte die Ware über das Zollamt Wuppertal. Auch der (fiktive) Lieferant aus Ho-Chi-Minh-Stadt erhielt einen neuen Namen, um die Zollfahnder abzuschütteln. Mit ständig wechselnden Abnehmeradressen versuchten die Gauner zusätzliche Haken zu schlagen.

Zu viel in Cash abgewickelt

Richtig ins Rollen kamen die Ermittlungen, als eine Verdachtsanzeige wegen Geldwäsche eintrudelte. Die Speditionsfirma hatte Rechnungen nicht per Überweisungen beglichen und stattdessen in Cash abgewickelt. Der Hausbank fiel der mickrige Zahlungsverkehr auf. Auf deren Geldwäscheverdachtsmeldung hin übernahm das Zollfahndungsamt Hannover den Fall, filzte die Geschäftsunterlagen und überwachte die Gruppe. Der deutsche Zollverbindungsbeamte in Peking konnte schließlich über seine Kontakte ermitteln, dass die Textilien in Wirklichkeit aus China stammten; wegen der Antidumpingzölle auf chinesische Produkte wurde die Ware einfach vietnamisiert. Am Ende des Katz-und-Maus-Spiels verurteilte das Landgericht Stade die beiden Haupttäter zu vier und drei Jahren Haft.

Der Fall Chinazelle zeigt den immensen Aufwand auf beiden Seiten. Für die Ermittler, um die Bande hieb- und stichfest zu überführen; für die Täter mit ihrem eigenen Risiko- und Krisenmanagement, um unverzüglich auf Verfolger zu reagieren, verräterische Spuren zu verwischen und verbleibende staatliche Schwachstellen konsequent auszunutzen.

Es ist ein Wettrüsten. Mit Paris (Pre Arrival Risk Analysis) peppt Schäubles Truppe seit Neuestem ihre IT-gestützte Risikoanalyse auf. Paris analysiert die Daten aller Sendungen – zusätzlich zum risikoprofilbasierten Ansatz – auch nach unbekannten Risiken. In Weiden in der Oberpfalz scannen 85 Beamte 2,5 Million Lieferungen monatlich auch auf sicherheitsrelevante Verdachtsmomente. Auslöser hierfür waren die Jemen-Pakete. Absender aus dem arabischen Land schickten als Geschenke deklarierte Paketbomben via Köln/Bonn nach London-Heathrow. Am Adenauer-Flughafen wollten die Zöllner eine dieser Sendungen kontrollieren, doch UPS hatte sie schon weiter nach London verladen. „Mit den elektronischen Sicherheitsanalysen gewinnen wir im Express-Zeitalter mehr Vorlaufzeit“, erklärt der Zollabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, Julian Würtenberger, die IT-Aufrüstung.

Als Generalzolldirektor, so sein offizieller Titel, bereist Schäubles Abteilungsleiter regelmäßig europäische und außereuropäische Länder, um Allianzen mit anderen Zollbehörden zu schmieden. 17 Verbindungsbeamte sind bereits an deutschen Botschaften im Einsatz, darunter in China, Dubai, Kolumbien, Polen, der Ukraine und den USA. Der persönliche Kontakt über Grenzen hinweg ist auch im digitalen Zeitalter wichtig. Gerade mit China, woher 80 Prozent der Produktfälschungen (einschließlich Hongkong) und ein Großteil der unterfakturierten Waren stammen, habe sich eine erstaunlich gute Kooperation entwickelt, lobt Würtenberger.

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