Einem Flüchtling aus Syrien, Afghanistan oder anderen gescheiterten Staaten dürfte ziemlich bekannt vorkommen, was Thomas Hobbes als Situation der Menschen ohne Staat beschrieb: „In einer solchen Lage findet sich kein Fleiß, weil kein Vorteil davon zu erwarten ist; es gibt keinen Ackerbau, keine Schifffahrt, keine bequemen Wohnungen, keine Werkzeuge höherer Art, keine Länderkenntnis, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine gesellschaftlichen Verbindungen; statt dessen ein tausendfaches Elend; Furcht gemordet zu werden, stündliche Gefahr, ein einsames, kümmerliches Leben, roh und kurz.“
Für Hobbes war „klar, dass die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird“. Dieser „Krieg eines jeden gegen jeden“ ist für Hobbes der Naturzustand, der „nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen besteht, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist.“ Die Macht, die diesen omnipräsenten Dauerkrieg überwindet, ist der Staat, auf den sich die Menschen aus Angst voreinander einigen – Hobbes nennt ihn (und sein berühmtes Hauptwerk von 1651) „Leviathan“ nach einem biblischen Monster.
Hobbes gilt ähnlich wie Macchiavelli als dunkler, pessimistischer Denker. Im Gegensatz zu Rousseau glaubt er nicht, dass der Mensch von Geburt an eigentlich lieb und gut ist. Ohne Staat ist nach Hobbes berühmter Metapher der „Mensch des Menschen Wolf“. Vermutlich ist dies auch dadurch zu erklären, dass Hobbes im Gegensatz zu Rousseau einen Bürgerkrieg, nämlich den englischen (1642-49), miterlebt hat. Solch eine Erfahrung prägt das Menschenbild.
Die meisten deutschen Hobbes-Leser haben den Krieg aller gegen alle als theoretisches Konstrukt aufgefasst. Allein, wer zu der wachsenden Gruppe jener Bürger gehört, die einmal unkontrollierte Gewalt am eigenen Leib erlebten, wer sich zum Beispiel in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof aufhielt, oder wer zu den 167.136 Einbruchsopfern des Jahres 2015 (plus 9,9 Prozent gegenüber 2014) oder zu den 127.395 Opfern „schwerer Körperverletzung“ (plus 1,3 Prozent) gehört, die die aktuelle „Polizeiliche Kriminalitätsstatistik“ ausweist, der wird den Leviathan des Thomas Hobbes vermutlich mit anderen Empfindungen lesen. Neben schwerer Körperverletzung ist auch Diebstahl keine Bagatelle. Jeder Diebstahl bedeutet ein Scheitern des Rechts auf Eigentum. Auf diesem beruht unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.