Kriminalität und Innere Sicherheit Der Staat muss wieder lernen, Zähne zu zeigen

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Ein Staat, der keine Zähne mehr zeigt

Die meisten Deutschen haben, das zeigte die Silvesternacht, keine Erfahrung, wie man sich in solchen Grenzsituationen benimmt, wenn der Staat unsichtbar ist. Das unterscheidet sie von einem großen Teil der Zuwanderer vielleicht noch stärker als Kultur und Religion. Die jungen Männer, die in Millionenstärke ins gewaltentwöhnte Mitteleuropa drängen, kommen zum großen Teil aus einer Erfahrungswelt, in der man sich nicht auf den Schutz eines mächtigen Leviathans verlassen kann, der Frieden, Freiheit und Eigentum garantiert. Sie kommen aus von Gewalt zersetzten Gesellschaften, in denen das Recht des Stärkeren herrscht. In denen der „Mensch des Menschen Wolf“ ist. Den „Willen zum Kampf“ zu demonstrieren, ist da unter Umständen eine unverzichtbare Überlebensstrategie.     

Zollbilanz

Die deutschen Männer haben in jener gewalttätigen Nacht die Gewalt der meist arabischen Täter nicht erwidert. Sie vertrauten auf Leviathan in Person der Polizei – wie das für den zivilisierten Bürger eines funktionierenden Staates normal ist.

Doch Leviathan zog den Schwanz ein. Die Polizei hielt sich zurück, griff nicht mit der Härte ein, die notwendig gewesen wäre, um die massenhafte sexuelle Gewalt und den massenhaften Raub zu verhindern. Die Opfer, hauptsächlich junge Frauen, berichteten später von ihrer Verzweiflung angesichts des totalen Ausgeliefertseins an die Täter.

Definitionen sicherheitstechnischer Begriffe

In den drei vergangenen Jahrhunderten haben die Menschen im Westen sich so sehr an den funktionierenden Staat gewöhnt, dass dessen Scheitern völlig aus dem Erwartungshorizont verschwand. Statt der Hobbes’schen Staatslosigkeit wurde besonders uns Deutschen der übermächtige und schließlich verbrecherische Staat zur prägenden Erfahrung. Die Lehre aus dem europäischen Totalitarismus schien zu sein, dass individuelle und auch unternehmerische Freiheit gegen den Staat erkämpft werden musste. Die Freiheit durch den Staat, also die weitgehende Sicherheit des Lebens und des Eigentums, erschien als selbstverständliche und auf ewig gesicherte zivilisatorische Errungenschaft.

Die Freiheit durch den Staat droht verloren zu gehen

Doch diese Gewissheit beginnt zu wanken. Einerseits durch den Blick nach außen, auf die zunehmende Zahl gescheiterter Staaten, deren Bewohner in wachsender Zahl zu uns drängen – mitsamt ihrer Prägungen aus den heimatlichen Kriegen „eines jeden gegen jeden“. Andererseits aber auch durch immer mehr hautnahe eigene Erfahrungen der Einheimischen mit dem schwächelnden Leviathan.  

Die wichtigsten Fragen rund um Einbrüche

„Die Ereignisse in der Silvesternacht haben gezeigt, was es bedeutet, wenn der Staat zwar präsent ist, aber keine Zähne mehr zeigt", sagt der Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski. "Wir vertrauen den Institutionen des Staates. Wenn sie aber nicht tun, was wir von ihnen erwarten, sind wir verunsichert und wissen nicht, wie wir mit Gewalt umgehen sollen.“ Das Ergebnis ist die schleichende, noch verhaltene Rückkehr der Angst unserer Vorfahren vor dem Wolf in Menschengestalt.

Sie hat weite Teile der deutschen Gesellschaft bereits ergriffen. Da der Staat „seine Bürger allein“ lässt, wie "Der Spiegel" jüngst feststellte, versuchen diese notgedrungen allein oder in selbst gesuchten Gruppen für ihre Sicherheit zu sorgen: mit Pfefferspray oder durchschlagenderen Waffen, mit Alarmanlagen, durch die Gründung von Bürgerwehren.  

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