Gleichzeitig erleben dieselben Bürger denselben Staat als ausgesprochen handlungsfreudig, wenn es um die Erhaltung der europäischen Währungsunion durch immer neue „Rettungspakete“ oder um die Alimentierung der Automobilindustrie durch Milliardensubventionen für Elektrofahrzeuge geht. Die Befreiung der Autokonzerne von den Investitionsrisiken beim Übergang in die Elektromobilität scheint, so könnte man meinen, mindestens ebensolche Priorität zu genießen wie die erste und wichtigste Aufgabe des Staates: der Schutz des Bürgers und seines Eigentums. Arnold Gehlen – noch so ein dunkler Denker – sah den Leviathan die „Züge einer Milchkuh“ annehmen.
Eine Partei der Sicherheit ist gefragt
Der Vertrauensverlust des Staates bedeutet für alle staatstragenden Parteien, die das Mandat zur Führung des Staates beanspruchen, einen Verlust an Legitimität. Besonders leidet darunter die Union. Jahrzehntelang waren die Deutschen überzeugt, dass die beiden Unionsparteien die Aufgabe des Leviathans besonders gut beherrschten. Ein wertvolles Pfund, mit dem die Union jahrzehntelang bei Wahlen sehr erfolgreich wuchern konnte. Mancher Wähler, dem in jungen und relativ besitzarmen Jahren andere politische Akzente wichtiger waren, verschiebt mit fortschreitendem Alter und wachsendem Eigentum seine politischen Prioritäten in Richtung Sicherheit. Das war auch stets ein Grund für den höheren Anteil an Unionswählern unter älteren Bürgern.
Kriminalstatistik
Insgesamt registrierte die Polizei 2014 rund 6,082 Millionen Straftaten, das sind zwei Prozent mehr als 2013. Die Polizei konnte 54,9 Prozent der Fälle aufklären, eine etwas bessere Quote als im Vorjahr. Über ein Viertel der Tatverdächtigen sind „alte Bekannte“, die auch wegen anderer Delikte schon im Visier waren.
Fast jeder fünfte Tatverdächtige ist nicht-deutscher Herkunft. „Das will ich nicht verschweigen“, sagte de Maizière. Allerdings hinke hier das Zahlenwerk, weil auch Touristen Straftaten begehen oder Asylbewerber auffällig werden. „Trotzdem: Die Ausländerkriminalität ist alles in allem betrachtet höher als im Durchschnitt der Bevölkerung.“
Die schwere Gewaltkriminalität mit Körperverletzungen und Raub geht seit 2009 stetig zurück. Auch die Jugendkriminalität sank im Vorjahr um 9,3 Prozent: „Man kann nicht sagen, dass die Jugendlichen immer gewalttätiger werden“, so de Maizière. Allerdings würden junge Menschen Gewalt immer intensiver ausleben.
Die Zahl der Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern, die die Behörden mitbekommen, verringerte sich um 2,4 Prozent. Auch Autodiebstähle und Sachbeschädigungen werden seltener beobachtet. 2014 gab es aber mehr Diebstähle (+2,4 Prozent), Rauschgiftdelikte (+9,2) und Taschendiebstähle (+2,5).
Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist um 1,8 Prozent auf 152 123 gestiegen, so viel wie seit rund 15 Jahren nicht mehr. De Maizière warnte, herumreisende Einbrecherbanden seien nur schwer in den Griff zu bekommen. Bund und Länder würden an neuen Ermittlungskonzepten arbeiten.
Besorgniserregend sei, dass fremdenfeindliche, antisemitische oder rassistisch motivierte Hasskriminalität im Sog von Flüchtlings- und Asyldebatte einen Höchststand erreicht habe. Kirchen, Synagogen und Moscheen werden gezielt angegriffen, auch Unterkünfte von Asylbewerbern und Flüchtlingen: „Das muss gestoppt werden“, sagte de Maizière.
Nicht hinnehmen wollen Bund und Länder, dass täglich mehr als zehn Polizisten massiv angegriffen werden. „Das ist erschütternd und zeugt von großer Brutalität und Menschenverachtung dieser Täter“, so der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow.
Umso fataler der Verlust an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit. Bei der Präsentation der Kriminalitätsstatistik versuchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Zahlenwerk wie eine naturwissenschaftliche Studie zu präsentieren, deren beängstigende Ergebnisse man als unveränderbar zur Kenntnis nehmen muss. Auch die neuen Zahlen der Polizei sind erkennbar durch den Willen zur Beruhigung des verunsicherten Bürgers geprägt. Als ob eine geschickte Kommunikation politische Taten ersetzen könnte!
Die Medien machten zumindest teilweise mit. Die "Tagesschau" etwa will uns weismachen, der Anstieg sei „nur auf den ersten Blick“ einer: „Denn verantwortlich für den Anstieg sind Vergehen, die mit der Sicherheit der Bevölkerung nichts zu tun haben.“ Konkret gemeint sind vor allem die illegale Einreise nach Deutschland oder Verstöße gegen die Residenzpflicht für Flüchtlinge.
Was ist Organisierte Kriminalität?
Zu den vielfältigen Aktivitäten von Verbrecherbanden in der Organisierten Kriminalität (OK) gehören Schmuggel, Schutzgelderpressung, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel ebenso wie Wirtschaftskriminalität, Cybercrime oder Förderung der Prostitution.
Nach einer Definition der Justiz- und Innenminister haben die OK-Banden gewerbliche oder geschäftsähnliche Strukturen und versuchen häufig, Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu nehmen - oft mit skrupelloser Gewalt. Abtrünnige, unliebsame Zeugen oder Konkurrenten werden erpresst und manchmal auch ermordet, um sie zum Schweigen zu bringen.
Für 2012 bezifferte das Bundeskriminalamt allein den materiellen Schaden durch die Organisierte Kriminalität in Deutschland auf 1,1 Milliarden Euro. Von in dem Jahr fast 8000 ermittelten Verdächtigen hatten rund 60 Prozent keinen deutschen Pass.
Diese Interpretation regten die Autoren des Polizeiberichts schon dadurch an, dass sie erstmals auch die Zahl der Straftaten ohne Verstöße gegen das Ausländerrecht ausweisen. De Maizière selbst gab als Grund dafür an, man wolle vermeiden, dass ein verzerrtes Bild entstehe. Und der Kriminologe Christian Pfeiffer lobte diese Entscheidung, „da es sonst angesichts der gestiegenen Gesamtzahl leicht zu Missverständnissen kommen kann, die dann von rechten Kreisen instrumentalisiert werden." Darum geht es also mal wieder: Die Instrumentalisierung durch „rechte Kreise vermeiden".
Tatsächlich machen die Verstöße gegen das Ausländerrecht einen großen Teil des Anstiegs der Gesamtstraftaten aus. Laut Statistik stieg ihre Zahl auf mehr als 400.000. 2014 waren noch rund 150.000 Fälle registriert worden. Aber warum sollte das irgendjemanden beruhigen? Sind Verstöße gegen das Ausländerrecht keine?