Mit Kopftuch Fußball spielen zu müssen, scheint harmlos. Ernster, nämlich tödlich wird die Gefahr für jeden, der nicht nur kicken, sondern dem Islam entsagen möchte. Und zwar längst nicht nur im IS oder bei den Taliban. Wenige Tage bevor US-Präsident Obama sein Bündnis mit Saudi-Arabien beschwor, wurden in dessen Hauptstadt Riad mehrere Menschen öffentlich mit dem Schwert geköpft . Todeswürdig sind im Saudi-Reich nicht nur der Abfall vom Islam, sondern auch „Verbrechen“ wie „Verderbtheit auf Erden“, Hexerei und Ehebruch. Im Internet kann man diese Justizmorde des Verbündeten der USA übrigens genauso sehen wie die Morde des IS.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Spätestens der katastrophale Ausgang des arabischen Frühlings hat gezeigt, dass die Tendenz eindeutig ist: Die halbherzige Säkularisierung durch den Import westlicher Ideen wie Nationalismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert war nur eine Zwischenphase. In fast allen islamischen Ländern erobert die Religion die absolute Vorherrschaft zurück. Das Parteienspektrum orientiert sich dementsprechend – wenn es überhaupt eines gibt - entweder wie im Irak und im Libanon an der Konfession der Schiiten und Sunniten oder an der religiösen Radikalität.
Mit sachlichen Wirtschaftsfragen mobilisiert man keinen arabischen Wähler, das zeigte der Wahlsieg der Muslimbrüder in Ägypten 2012. Auch General al-Sisi, der den gewählten Muslimbruder-Präsidenten Mursi wegputschte, scheint sich für die Verbesserung der Produktivität der maroden Wirtschaft kaum zu interessieren, sondern profiliert sich vor allem mit einer Anti-Schwulen- und Anti-Atheisten-Politik als ebenso guter Muslim wie die Muslimbrüder.
Was in den islamischen Ländern die Religion, ist im Westen die Ökonomie: oberste und eigentlich einzige Kategorie des politischen Lebens. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“. Als der deutsche Außenminister Walter Rathenau das 1922 verkündete, klang es noch anmaßend. Heute glauben wir im Westen genauso tief und fest an ewig wachsende und erfüllbare Bedürfnisse, wie man zwischen Rabat und Jakarta an Allah glaubt. Und daher richtet sich unser Parteienspektrum fast nur noch an den wirtschafts-und sozialpolitischen Ansichten aus. Die einen glauben, dass etwas mehr staatliche Eingriffe, die anderen, dass etwas mehr Marktfreiheit Not tut. Gemeinsam beten sie das Wachstum der Wirtschaft als Quelle unbegrenzten Heils an.
So wie in islamischen Ländern kein Gesellschaftsbereich frei ist von der Religion, dominiert im Westen das ökonomische Prinzip: Die Wissenschaft und das Bildungswesen rechtfertigen sich fast nur noch durch wirtschaftliche Zwecke. Sie haben marktfähige Innovationen und arbeitsames Humankapital zu liefern. Die Kunst ist zu einem Spekulationsgegenstand für Anleger und der Leistungssport zu einem Zweig der Unterhaltungsindustrie geworden. Sogar die Religion ist in dem einzigen westlichen Land, in dem sie noch eine größere Rolle spielt, ökonomisiert: In den Vereinigten Staaten werden Kirchengemeinden mittlerweile wie Dienstleistungsunternehmen geführt – inklusive dynamischen Logos zu Marketingzwecken.