Krisenjahr 2014 Was die Finanzkrise und die des Islam verbindet

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Religion herrscht über Politik

Mit Kopftuch Fußball spielen zu müssen, scheint harmlos. Ernster, nämlich tödlich wird die Gefahr für jeden, der nicht nur kicken, sondern dem Islam entsagen möchte. Und zwar längst nicht nur im IS oder bei den Taliban. Wenige Tage bevor US-Präsident Obama sein Bündnis mit Saudi-Arabien beschwor, wurden in dessen Hauptstadt Riad mehrere Menschen öffentlich mit dem Schwert geköpft . Todeswürdig sind im Saudi-Reich nicht nur der Abfall vom Islam, sondern auch „Verbrechen“ wie „Verderbtheit auf Erden“, Hexerei und Ehebruch. Im Internet kann man diese Justizmorde des Verbündeten der USA übrigens genauso sehen wie die Morde des IS.

Fakten zum Terror im Irak

Spätestens der katastrophale Ausgang des arabischen Frühlings hat gezeigt, dass die Tendenz eindeutig ist: Die halbherzige Säkularisierung durch den Import westlicher Ideen wie Nationalismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert war nur eine Zwischenphase. In fast allen islamischen Ländern erobert die Religion die absolute Vorherrschaft zurück. Das Parteienspektrum orientiert sich dementsprechend – wenn es überhaupt eines gibt - entweder wie im Irak und im Libanon an der Konfession der Schiiten und Sunniten oder an der religiösen Radikalität.

Mit sachlichen Wirtschaftsfragen mobilisiert man keinen arabischen Wähler, das zeigte der Wahlsieg der Muslimbrüder in Ägypten 2012. Auch General al-Sisi, der den gewählten Muslimbruder-Präsidenten Mursi wegputschte, scheint sich für die Verbesserung der Produktivität der maroden Wirtschaft kaum zu interessieren, sondern profiliert sich vor allem mit einer Anti-Schwulen- und Anti-Atheisten-Politik als ebenso guter Muslim wie die Muslimbrüder.

Was in den islamischen Ländern die Religion, ist im Westen die Ökonomie: oberste und eigentlich einzige Kategorie des politischen Lebens. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“. Als der deutsche Außenminister Walter Rathenau das 1922 verkündete, klang es noch anmaßend. Heute glauben wir im Westen genauso tief und fest an ewig wachsende und erfüllbare Bedürfnisse, wie man zwischen Rabat und Jakarta an Allah glaubt. Und daher richtet sich unser Parteienspektrum fast nur noch an den wirtschafts-und sozialpolitischen Ansichten aus. Die einen glauben, dass etwas mehr staatliche Eingriffe, die anderen, dass etwas mehr Marktfreiheit Not tut. Gemeinsam beten sie das Wachstum der Wirtschaft als Quelle unbegrenzten Heils an.

So wie in islamischen Ländern kein Gesellschaftsbereich frei ist von der Religion, dominiert im Westen das ökonomische Prinzip: Die Wissenschaft und das Bildungswesen rechtfertigen sich fast nur noch durch wirtschaftliche Zwecke. Sie haben marktfähige Innovationen und arbeitsames Humankapital zu liefern. Die Kunst ist zu einem Spekulationsgegenstand für Anleger und der Leistungssport zu einem Zweig der Unterhaltungsindustrie geworden. Sogar die Religion ist in dem einzigen westlichen Land, in dem sie noch eine größere Rolle spielt, ökonomisiert: In den Vereinigten Staaten werden Kirchengemeinden mittlerweile wie Dienstleistungsunternehmen geführt – inklusive dynamischen Logos zu Marketingzwecken.

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