Krisenkonferenz der Union Bei den CDU-Mitgliedern hat Friedrich Merz die besten Chancen

Wird Friedrich Merz neuer Parteichef? Quelle: imago images

Die CDU-Mitglieder sollen ihren neuen Vorsitzenden bestimmen. Das Votum der Basis zeichnet sich bereits ab: gegen Jens Spahn und Norbert Röttgen.

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Die Kreisvorsitzenden der CDU dürften heute Morgen mit Wut im Bauch nach Berlin gereist sein. Die Niederlage bei der Bundestagswahl und der Absturz in der Wählergunst steckt den Christdemokraten noch tief in den Knochen. Das Bedürfnis, die Ursachen des Desasters zu analysieren, ist so groß wie der Schmerz über den Machtverlust. Für den scheidenden Parteivorsitzenden Armin Laschet und seinen Generalsekretär Paul Ziemiak war die ganztägige Veranstaltung im Hotel Berlin Central District deshalb eine heikle Angelegenheit – schließlich gilt die Wahl von Laschet zum Kanzlerkandidaten der Union als eine der Hauptursachen für die Niederlage. Und die vom Adenauerhaus und von Ziemiak gesteuerte Kampagne hat die programmatischen Schwächen der ewigen Regierungspartei CDU ebenso offengelegt wie die teils haarsträubenden Mängel in der Organisation des Wahlkampfs.

Kein Scherbengericht über Laschet

Doch die Konferenz der über 300 Kreisvorsitzenden sollte kein Scherbengericht über Laschet sein; die Vertreter der Basis wissen, dass die Wahl nicht nur wegen der teilweise unglücklichen Auftritte des Aacheners verloren wurde. Die CDU hat sich in den 16 Regierungsjahren unter Angela Merkel in einen politischen Pragmatismus geflüchtet, der zwar die im Alltag notwendigen Kompromisse ermöglichte, aber auch zu einer inhaltlichen Entkernung, ja sogar zu einer gewissen programmatischen Beliebigkeit der Partei führte. Dass Laschet und sein Team vor diesem Hintergrund nicht mehr in der Lage waren, mit klaren Botschaften überzeugend für einen neuen Kurs zu werben, kann da nicht verwundern. Zumal der Abtritt einer so dominanten Führungsfigur wie Merkel ein Machtvakuum in der Partei hinterlassen hat, dass ihre Nachfolger nicht ausfüllen konnten. Die Grabenkämpfe um den Parteivorsitz, das Gerangel mit der CSU um die Kanzlerkandidatur, das ständige Nachtreten des unterlegenen Markus Söder und Negativereignisse wie Maskenskandal, Impfchaos und Flut taten ein Übriges.

Es war klar, dass die Basisvertreter heute in Berlin kein neues Kursbuch für den Aufbruch schreiben – der Prozess für ein neues Grundsatzprogramm ist mit dem Rückzug der Kurzzeitvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer schon vor geraumer Zeit zum Erliegen gekommen.

Wohin steuert die CDU?

Muss die CDU wieder konservativer werden, wirtschaftsfreundlicher und wertegebundener als zuvor? Oder muss der Prozess der Modernisierung fortgesetzt werden, der unter Merkel begann und der Partei neue und zuvor verschlossene Wählerschichten eröffnete?

Viel spricht dafür, dass mit der Oppositionsrolle im Bund vor allem die Suche nach Unterschieden verbunden sein wird. Man will weg vom mittigen Einheitsbrei, weg von der Gleichförmigkeit des politisch korrekten Mainstreams, raus aus dem Alltagskonsens der Großen Koalition. Allerdings sollen bei allem Bedürfnis nach einer Profilierung die neuen gesellschaftlichen Realitäten nicht aus den Augen verloren werden. Der Berliner CDU-Politiker Thomas Heilmann, einer der Treiber für den „Neustart“ der Partei, weist darauf hin, dass inzwischen rund acht Prozent der Bevölkerung zur Queer-Community zählen, wohingegen die Gruppe der regelmäßigen Kirchgänger auf ein Prozent geschrumpft sei. Darauf müsse gerade eine christliche Volkspartei eine Antwort finden, sagt Heilmann. Und auch die immer unionstreue Gruppe der Senioren bestehe heute nicht mehr aus der Kriegsgeneration, sondern aus den alt gewordenen 68ern, die ganz andere Wertvorstellungen haben.

Kernwählerschaft nur noch zehn Prozent

Abschied nehmen muss die CDU nicht zuletzt von der alten Gewissheit, dass die Wähler das Kreuz im Zweifel bei ihr machen, weil eine feste Gruppe von Menschen der Union immer noch die höchste Lösungskompetenz zuschreibt. Die Kernwählerschaft der Union ist jedoch nach den bisherigen Analysen der Demoskopen auf zehn Prozent geschrumpft. Dafür steigt die Bereitschaft, von Wahl zu Wahl anders zu entscheiden. So haben jetzt bei der Bundestagswahl 47 Prozent der Wähler für eine andere Partei gestimmt als 2017.

Eng mit diesen Richtungsentscheidungen ist natürlich die Frage verbunden, wer als Vorsitzender die CDU in ihrer neuen Position am besten in die kommenden Jahre führen kann. Die Kreisvorsitzenden haben sich mit überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen, eine Mitgliederabstimmung zu veranstalten.

Die Basis war nicht bereit, die Auswahl von Vorsitz und Kanzlerkandidat noch einmal dem Vorstand zu überlassen. CDU-Insider berichteten vorab, dass sich in den Bezirken und Kreisen der Partei eine starke Bewegung dafür einsetzt, den Mitgliedern mehr Mitbestimmung einzuräumen, ja ihnen sogar die Auswahl des künftigen CDU-Chefs ganz zu überlassen.

Der Bundesvorstand und das Präsidium der CDU sind durch die Niederlage extrem geschwächt – zeitgleich mit dem Rückzug von Laschet geben auch die Gremienvertreter ihre Ämter auf. Es ist also ein Vorstand auf Abruf, der am kommenden Dienstag in Berlin zusammentreffen und über die Empfehlungen der heutigen Kreisvorsitzendenkonferenz beraten wird. Zwar sieht die Satzung der CDU keinen bindenden Mitgliederentscheid und keine Direktwahl des Vorsitzenden vor. Nach der eindeutigen Forderung der Parteibasis am Samstag dürfte der Vorstand kaum noch in der Lage sein, sich dem zu verschließen. Kaum vorstellbar, dass dann der nächste CDU-Bundesparteitag, dessen Delegierte per Satzung zur Wahl des Vorsitzenden berechtigt sind, etwas anderes tun werden als dem Votum der Mitglieder zu folgen.



Das Verfahren entscheidet die Wahl

Mit dem Verfahren für die Neuwahl des CDU-Chefs werden wichtige Weichen für die einzelnen Kandidaten gestellt. Zwar hat bis jetzt nur Friedrich Merz erklärt, sich einem Votum der CDU-Basis stellen zu wollen. Aber es gibt kaum Zweifel, dass auch Norbert Röttgen und Jens Spahn antreten werden. Wie sich Fraktionschef Ralph Brinkhaus und MIT-Chef Carsten Linnemann verhalten, ist noch offen; es gibt aber eine Tendenz, dass beide nicht für den CDU-Vorsitz kandidieren werden. Allerdings laufen derzeit hinter den Kulissen noch zahlreiche Gespräche; denkbar sind „Teamlösungen“, wobei sich das kaum auf den Fraktionsvorsitz erstrecken dürfte. Wen die frei gewählten Abgeordneten des Bundestags zum Fraktionsvorsitzenden wählen, lassen sie sich nicht von den Parteimitgliedern der CDU vorschreiben, zumal die CSU-Parlamentarier in der gemeinsamen Bundestagsfraktion ja auch noch ein Wort mitzureden haben.

Friedrich Merz werden übereinstimmend die besten Chancen eingeräumt. Die Mitgliedschaft der CDU ist männlich und deutlich älter als der Durchschnitt der Bevölkerung – und bei dieser Klientel wird der Wirtschaftsanwalt aus dem Sauerland ganz besonders geschätzt. Zumal es Merz überwiegend zugetraut wird, der CDU in der Opposition Profil und eine differenzierende Schärfe zu geben. Merz ist nicht unbedingt ein Integrator, aber der wird im Moment so wenig gesucht wie ein Kanzlerkandidat in vier Jahren.

Keine Regionalkonferenzen

Zwar hat sich auch Norbert Röttgen in der Partei viel Anerkennung erworben, aber die letzten Abstimmungen zeigten deutlich, dass der profilierte Außenpolitiker kaum mit einer Mehrheit rechnen kann. Das gilt auch für Jens Spahn, mit 42 Jahren der Jüngste im Kreis der potenziellen Bewerber. Spahn ist energiegeladen, pointiert und ein rhetorisches Talent; allerdings hat ihm sein Amt als Bundesgesundheitsminister in der Pandemie auch viel Kritik eingebracht.

Offen ist die Frage, wie schnell es gehen muss. Oder anders gesagt: Sollen wieder Regionalkonferenzen und Bewerbungstourneen veranstaltet werden? Die Mehrheit der CDU-Funktionäre sieht einer Neuauflage dieses Formats skeptisch entgegen. Zum einen kostet es viel Zeit und Geld, zum anderen sind die Kandidaten bekannt und brauchen sich nach den innerparteilichen Auswahlprozessen der Vergangenheit nicht erneut vorzustellen. Die CDU will wieder rasch handlungsfähig sein. Der Neuaufbau kann eben nicht gelingen, so lange die Führungsfrage nicht geklärt ist.

Mehr zum Thema: Der Nachfolger von Armin Laschet als Ministerpräsident von NRW steht: Er ist forsch, konservativ und erinnert viele an den jungen Friedrich Merz: Hendrik Wüst übernimmt das Ministerpräsidentenamt von Armin Laschet in NRW. Er ist Favorit des Mittelstands, übernimmt aber zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

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