Kritik an de Maizières Plänen „Einstieg in einen autoritären Polizeistaat“

Der Bundesinnenminister plädiert angesichts der Terrorgefahr in Deutschland für einen starken Staat. Dem Föderalismus erteilt de Maizière eine Absage. Die Pläne des CDU-Politikers lösen eine heftige Debatte.

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Der Bundesinnenminister plädiert für einen Umbau der Sicherheitsarchitektur. Quelle: dpa

Berlin/Düsseldorf/München Zwei Wochen nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin sorgt Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit seiner Forderung nach mehr Kompetenzen des Bundes bei der Gefahrenabwehr sowie in der Flüchtlingspolitik für Diskussionen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hält die Vorschläge von de Maizière für einen Umbau der Sicherheitsarchitektur nicht für praxistauglich. „Herr de Maizière macht einen Vorschlag, der nichts anderes bedeutet als eine große Föderalismuskommission, wo Bund und Länder zusammensitzen und über Behörden beraten“, sagte der Vizekanzler am Dienstag in Goslar. „Ich glaube, das ist keine richtige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen des Terrorismus“, fügte Gabriel hinzu.

CDU und CSU hätten den Staat arm gespart, und jetzt werde nach dem starken Staat gerufen, sagte der Wirtschaftsminister. So seien etwa Tausende Stellen unter Unions-Innenministern bei der Bundespolizei abgebaut worden, und nun werde auf einmal nach mehr Bundespolizei gerufen. Es sei die SPD gewesen, die in den letzten Haushalten 300 neue Stellen dort durchgesetzt habe. Die CDU müsse aufpassen, was sie eigentlich wolle. So wolle sie 35 Milliarden Euro an Steuersenkungen und gleichzeitig mehr Polizei und mehr Lehrer. Die Dinge seien nicht richtig durchdacht. „Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten schneller handeln, als dass wir es einfach so in eine Föderalismuskommission vertagen.“

Hart ins Gericht ging Gabriel etwa mit der Forderung nach Transitzonen. Damit verweigere sich die Union der Realität, denn dadurch ließen sich keine Terroristen aufhalten. Alle, die nach Deutschland gekommen seien und Anschläge verübt hätten, hätten sich während ihres Aufenthaltes radikalisiert, sagte Gabriel, der selbst einen Vorschlag zur Stärkung der inneren Sicherheit vorgelegt hat. Notwendig seien vielmehr Prävention, die Schließung salafistischer Moscheen, die Zusammenarbeit mit normalen Moscheegemeinden, mehr Aufklärung, Jugend-Sozialarbeit und es müsse der Propaganda etwas entgegengesetzt werden.

Auch aus Sicht des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD) bringen die Vorschläge des Bundesinnenminsiters keine Vorteile im Kampf gegen Terror. „Die Landesämter für Verfassungsschutz abzuschaffen, um sie durch eine riesige Bundesbehörde zu ersetzen, macht uns im Kampf gegen den Terrorismus nicht besser, sondern bürokratischer und behäbiger“, sagte Jäger am Dienstag in Düsseldorf der Deutschen Presse-Agentur. „Es wäre völlig verkehrt, jetzt den Föderalismus zu zerfleddern.“

Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke kritisierte de Maizières Vorschläge als „Frontalangriff auf das föderale Prinzip der Bundesrepublik“. „Dieses Prinzip sollte als Lehre aus dem verbrecherischen Naziregime eine zentralstaatliche Machtkonzentration verhindern“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. „Der Bundesinnenminister will nun das Rad der Geschichte zurückdrehen und ist damit zu einer Gefahr für die demokratische Grundordnung geworden.“

Die Vorschläge des Ministers stellten nichts weniger dar „als den Einstieg in einen autoritären Polizeistaat mit deutschen FBI und zentralisiertem Inlandsgeheimdienst außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle“. De Maizière nutze das Attentat von Berlin, „um seinen Law-and-Order-Phantasien freien Lauf zu lassen“.

Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele lehnt in der aktuellen Sicherheitsdebatte neue Gesetze ab. „Man soll doch erstmal genau gucken, ob die bestehenden Gesetze angewandt worden sind, und das ist ganz eindeutig nicht der Fall“, sagte er am Dienstag im Bayerischen Rundfunk.

Auf die Frage, wie viel mehr Sicherheit neue Gesetze in Deutschland nach dem Anschlag von Berlin bringen können, antwortete der Grünen-Bundestagsabgeordnete: „Überhaupt keine.“ Die Kommunikationsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden würden in Europa untereinander zu wenig genutzt.

Bei CDU und CSU beobachte er einen „Wiederholungszwang“, immer wieder „kastenweise alte Forderungen“ auf den Tisch zu legen, „obwohl, nach meiner Überzeugung, sie selber der Meinung sind, dass das überhaupt nichts hilft.“

De Maizière hatte in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Dienstag) eine Stärkung des Bundeskriminalamts (BKA), eine Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bundesverwaltung sowie den Ausbau der Bundespolizei zu einer „echten Bundes-Polizei“ gefordert. „Um unser Land, aber auch Europa krisenfest zu machen, halte ich Neuordnungen für erforderlich“, heißt es in dem Beitrag des CDU-Politikers.


Polizeigewerkschaft: Viele Köche verderben den Brei

Bayern lehnt die von de Maizière gemachten Vorschläge für mehr Kompetenzen des Bundes im Anti-Terror-Kampf strikt ab. „Eine derartige Debatte zum jetzigen Zeitpunkt lenkt nur von den eigentlichen Problemen und Herausforderungen zur raschen Bekämpfung des Terrorismus ab“, sagte Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in München. Dass die Bundespolizei zusätzliche Aufgaben zu einem Zeitpunkt übernehmen solle, wo sie nach eigenem Bekunden nicht genug Leute habe, um überall in Deutschland die Grenzen wirksam zu kontrollieren, „ist geradezu abwegig“.

Bei Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) stößt vor allen die Forderung nach einem zentralen Verfassungsschutz beim Bund auf Widerstand. Die Landesbehörden für Verfassungsschutz würden lokale extremistische Bestrebungen früher erkennen und könnten „darauf schneller reagieren als eine tendenziell unbeweglichere Zentralbehörde“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

Geisel sagte, mit einer Zentralbehörde für den Verfassungsschutz müssten zwar zwischen den Behörden keine Informationen mehr ausgetauscht werden. Die Terrorismusbekämpfung setze auch eine enge Kooperation mit anderen Behörden vor Ort voraus. Hier gebe es eine vertrauensvolle Kommunikation aus langjähriger Zusammenarbeit. „Dies kann eine Zentralbehörde nicht gewährleisten“, warnte der SPD-Politiker. Berlin hat kein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz. Der Bereich ist Teil der Innenverwaltung.

Auch in Hessen stößt der Vorstoß von de Maiziére auf deutlichen Gegenwind. Innenminister Peter Beuth (CDU) bezeichnete es am Dienstag als „Unsinn“, die bisherigen Strukturen zu zerschlagen. „Schnellschüsse dieser Art untergraben nicht nur das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat, sie stellen die gesamte föderale Sicherheitsarchitektur in Frage“, erklärte der Politiker in Wiesbaden. „Das ist keine Grundlage für eine sachgerechte Diskussion.“

Das rheinland-pfälzische Innenministerium unter Leitung des SPD-Politikers Roger Lewentz hat ebenfalls skeptisch auf die Forderungen reagiert. Vor wenigen Wochen habe die Innenministerkonferenz (IMK) eine verbesserte Zusammenarbeit und die Einführung eines Informationssystems unter Einbindung des Bundeskriminalamts (BKA) beschlossen, teilte ein Sprecher auf Anfrage in Mainz mit. „Wir sollten die bei der IMK verabredeten Schritte nun gemeinsam gehen und die Maßnahmen eine Wirkung entfalten lassen.“ Deutschland sei nach wie vor ein sicheres Land: „Das liegt daran, dass die Länder ihre Hausaufgaben erledigen (...).“

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Bundespolizei, Sven Hüber, hat die Vorschläge des Bundesinnenministers zur Neuordnung der Sicherheitsarchitektur hingegen grundsätzlich begrüßt. Er sprach sich jedoch vor allem für klarere Kompetenzen der Sicherheitsorgane aus. „Notwendig sind weniger neue gesetzliche Befugnisse, sondern vielmehr endlich klare Verantwortlichkeiten im Vollzug geltenden Rechts und bestehender Eingriffsmöglichkeiten“, erklärte er am Dienstag. Wenn weiter so viele Köche wie bisher im Bereich der Terrorverhinderung mitkochten, ohne auch die persönliche und alleinige Endverantwortung zu haben, könnten die Bürger nicht „nicht wirklich zuverlässig“ geschützt werden.

Die Forderung von Bundesinnenminister de Maizière, die Bundespolizei zukünftig auch für die Verfolgung der Straftat des unerlaubten Aufenthalts in Deutschland zuständig zu machen, sei überfällig. Sie kann nach Auffassung der GdP aber nur funktionieren, wenn der Bund vor allem die Bahnpolizei und die Ermittlungsdienste dafür zusätzlich personell aufstocken würde. Dies sei bisher aber nicht vorgesehen.

Nach Ansicht der GdP müssen sich auch die Ausländerbehörden und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), aber auch die kommunalen Behörden, zukünftig als Teil der Sicherheitsarchitektur begreifen. „Die Sicherheitsbehörden können weder kriminelle Schleuserbanden bekämpfen noch 'Gefährder' oder 'Schläfer' rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen, wenn Verwaltungsbehörden strafrechtlich relevante Sachverhalte für sich behalten“, warnte Hüber.


Was de Maizière konkret kritisiert

De Maizière kritisiert in seinem Gastbeitrag, die Befugnisse des BKA seien zu eng gefasst. „Wir brauchen einheitliche Regeln und eine bessere Koordinierung, zum Beispiel bei der Kontrolle von Gefährdern“. Der Bund benötige eine „Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden“, wo Bund und Länder in Angelegenheiten der Sicherheit des Bundes zusammenarbeiten. Die Verantwortung für die Polizei müsse aber weiterhin bei den Bundesländern liegen. Auch das Verfolgen von Verdächtigen müsse künftig stärker vom Bund gelenkt werden können. „Wir brauchen wirksamere polizeiliche Fahndungsmaßnahmen“, schreibt de Maizière weiter.

Die Bundespolizei müsse „neben den Polizeien der Länder eine zentrale Verfolgungs- und Ermittlungszuständigkeit zur konsequenten Feststellung unerlaubter Aufenthalte in Deutschland erhalten“. Sie solle „zu einer echten Bundes-Polizei“ entwickelt werden.

Im Rahmen einer „gesamtstaatlichen“ Lösung spricht sich der Minister für die Übernahme der Landesämter für Verfassungsschutz in das Bundesamt aus. „Kein Gegner unserer Verfassung strebt die Beseitigung der Verfassung in nur einem Bundesland an“, argumentiert de Maizière. Zur Abwehr von Cyber-Angriffen schlägt er ebenfalls mehr Befugnisse für den Bund vor.

Auch bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber will de Maizière mehr Kompetenzen für den Bund. Er schlägt vor, „dass der Bund eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung erhält“. Abschiebungen könnten so unter der Regie des Bundes „unmittelbar vollzogen“ werden.

Abschiebungen sind Ländersache. Der Bund macht seit langem Druck auf die Länder, abgelehnte Asylbewerber oder andere ausreisepflichtige Ausländer – zum Beispiel jene, die in Deutschland straffällig geworden sind - konsequenter in deren Heimat zurückzuschicken.

Der Minister regt in dem „FAZ“-Beitrag die Einrichtung von „Bundesausreisezentren“ an. Diese sollten den Ländern „eine Verantwortungsübergabe“ für die letzten Tage oder Wochen des Aufenthalts von Ausreisepflichtigen ermöglichen. „Ausreisezentren sind gesetzlich bereits möglich und könnten vorzugsweise in der Nähe deutscher Verkehrsflughäfen errichtet werden“, heißt es.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnt nach einem Medienbericht davor, sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen zu konzentrieren. Wie das ARD-Hauptstadtstudio am Montag unter Berufung auf ein Konzeptpapier Gabriels berichtete, plädiert der Vizekanzler dafür, auch den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. „Gute und lebendige Städte und Gemeinden schaffen, Beschäftigung sichern, Kultur fördern, soziale Sicherheit gewährleisten, in Bildung investieren“ sei ebenso wichtig wie die Verbesserung der Sicherheitsarchitektur, heißt es demnach in dem Papier.

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