„Künftig die Uhr wieder nach der Bahn stellen“ Wissing macht Sanierung des Bahn-Netzes zur Chefsache

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (rechts) und Bahn-Chef Lutz (l.) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.

„So wie es ist, kann es nicht bleiben“: Deshalb will Verkehrsminister Wissing (FDP) die Sanierung des Bahn-Netzes selbst in die Hand nehmen. Die Arbeiten sollen 2024 beginnen und bis 2030 andauern.

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Nach jahrelangem Aufschub will der Bund das marode Schienennetzes der Bahn grundlegend sanieren. Die ersten Arbeiten an überlasteten Strecken sollen 2024 starten und 2030 in einem Hochleistungsnetz münden, erklärten Bahn-Chef Richard Lutz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagte Wissing.

„Ich will die Probleme angehen und lösen, indem ich sie zur Chefsache mache.“ Ein besserer Schienenverkehr sei unerlässlich auch für die Klimaziele der Regierung. Diese seien aber mit dem aktuellen Zustand der Bahn nicht zu schaffen. Wie viel Geld der Bund in die Hand nimmt, verriet der Wissing nicht. Die Finanzierung sei aber sichergestellt und mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) abgestimmt.

Überlastetes Netz, kaputte Weichen, lange Baustellen, überaltere Stellwerke, viele Verspätungen: Die Bahn hat zuletzt verstärkt für negative Schlagzeilen gesorgt. Wissing sagte, die Infrastruktur sei jahrelang vernachlässigt und durch Unterfinanzierung und politische Versäumnisse an ihre absolute Grenze gebracht worden. Die Nutzungsintensität auf dem Schienennetz hat sich seit der Bahnreform 1994 bis 2021 um mehr als 60 Prozent erhöht.

„Im Moment ist auf unseren Netzen so viel los wie nie zuvor“, sagte Bahn-Chef Lutz. Rund 51.000 Personen- und Güterzüge fahren heute täglich durch Deutschland. 2010 waren es noch 47.000, bis 2030 dürften es gut 59.000 Züge sein.

Mehr Verkehr auf einer ohnehin schon knappen und durch Baustellen noch zusätzlich eingeschränkten Infrastruktur führe zu Staus und Verspätungen im Personen- und Güterverkehr, erläuterte Lutz. Wissing kritisierte, dass derzeit 200 Güterzüge stillständen. „Das ist dramatisch, das kann sich nicht fortsetzen.“

Das hochbelastete Netz, rund zehn Prozent des Gesamtnetzes, erstreckt sich derzeit über rund 3500 Streckenkilometer und ist bereits ohne Baumaßnahmen im Schnitt zu 125 Prozent ausgelastet. Dieser Teil soll bis etwa 2030 auf rund 9000 Kilometer wachsen.

Um die Einschränkungen für Güter- und Personenverkehr zu minimieren, soll nun intelligenter gebaut und saniert werden. Als Zauberwort dabei gilt „kund:innenfreundliches Bauen“ und die Bündelung von Maßnahmen. Künftig sollen Schwellen und Schotter, Gleise und Weichen, Signale und Stellwerke komplett saniert werden.

Also eine Baustelle für alles gleichzeitig statt mehrere Baustellen nacheinander. Sperrungen könnten mehrere Wochen oder einige Monate dauern, sagte Lutz. „Einen schmerzfreien Weg der Gesundung wird es nicht geben.“ Man wolle innovative und kapazitätsschonende Bauverfahren einsetzen.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) kündigte an, mitanzupacken und will dazu möglichst früh in die Planung miteinbezogen werden. Kundenfreundliches Bauen dürfe aber nicht dazu führen, das vor allem an Wochenenden, Feiertagen oder nachts gebaut werden, „da die Arbeitsbedingungen unserer Beschäftigten nicht überstrapaziert werden dürfen“, erklärte HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller.

„Künftig die Uhr wieder nach der Bahn stellen“

Wissing betonte, er werde die Interessen des Bundes als Bahn-Eigentümer künftig stärker durchsetzen - gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand der Bahn. Er nehme die Unzufriedenheit der Bürger mit dem Zustand des Konzerns sehr ernst. Ab Juli soll im Verkehrsministerium eine Steuerungsgruppe eingerichtet werden, in der alle Fäden zusammenlaufen.

Zudem soll eine gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte der Bahn zum 1. Januar 2024 starten und als Frühwarnsystem für Probleme dienen. Bahn-Vorstand Berthold Huber soll Branchenkreisen zufolge künftig die Aufgaben eines Infrastrukturvorstands übernehmen. Die Entscheidung dürfte am Donnerstag im Aufsichtsrat fallen.

Lutz hat bereits Ende Mai eingeräumt, die Bahn werde ihr Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent im Fernverkehr klar verfehlen. Wissing sagte dazu: „Ich erwarte, dass wir in Zukunft wieder die Uhr nach der Bahn stellen können und ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.“

Die Eisenbahngewerkschaft EVG sieht bei der Bahn derzeit einen Sanierungsrückstau von mehr als 60 Milliarden Euro. „Deshalb muss jetzt schnell eine konkrete Zustandsbeschreibung der Infrastruktur gemacht werden“, sagte der EVG-Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel zu Reuters. Er kritisierte zudem, dass „es heute gar nichts zur Finanzierung gab“.

Der Fahrgastverband Pro Bahn begrüßte die Pläne. „Das Netz auf Vordermann zu bringen, ist die richtige Maßnahme“, sagte der Verbands-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann zu Reuters. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) warnte, eine zukunftsfähige Schiene könne es nur geben, wenn der Streckenausbau für den Güterverkehr einen ebenso hohen Stellenwert bekomme wie die politisch gewünschte Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030.

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