Vermutlich könnte Angela Merkel (CDU) nachts um drei Uhr gefragt werden, wie viele KI-Kompetenzzentren es in Deutschland gibt – und sie hätte die Antwort sofort parat (es sind sechs). Doch so sehr sich die Kanzlerin in solchen Detailfragen ihrer Digitalpolitik auskennt, so schwer tut sich ihre Regierung teils mit der Vermittlung in die Wirtschaft. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen gehen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) nur zaghaft an, fast jedes vierte Unternehmen (28 Prozent) sieht sie sogar als Gefahr für den eigenen Betrieb, wie eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom von 2020 zeigt.
Doch mit einer solchen Zurückhaltung kann Deutschland kaum im Wettbewerb mit China und den USA mithalten. Gelingt es Politik und Regierung künftig nicht besser, den Mittelstand beim Einsatz neuer Technologien zu fördern, bleibt das Skalieren von innovativen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) „wirtschaftspolitisches Wunschdenken“, warnt Tobias Wangermann, Experte für Digitalisierung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Die Firmen bleiben künftig nur ,hidden‘ und nicht ,Champion‘“.
Wie eine solche Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen bei der Datennutzung aussehen kann, hat er in einer Studie untersucht, die heute veröffentlicht wird und der WirtschaftsWoche bereits vorliegt.
Großen Aufholbedarf sieht er bereits bei grundlegenden Voraussetzungen für die Anwendung von KI. So gebe es in den Unternehmen oft „nur geringe Kenntnisse“, welche Daten im eigenen Betrieb überhaupt vorhanden seien. „Die Daten liegen als ,Datenpfützen‘ verstreut an verschiedenen Stellen“, erklärt Wangermann. Den Firmen fehle es an der notwendige Fachexpertise, um die Daten zu analysieren. Welche Daten verfügbar seien und welchen Zugang es zu Daten von Dritten gebe, werde „unzureichend“ eingeschätzt.
Hinzu kämen rechtliche Unsicherheiten im Wettbewerbsrecht, beim Datenschutz, der Datensicherheit und bei der Frage nach dem Dateneigentum. Auch treibe die Unternehmen die Sorge um, dass sie Wettbewerbern „zu tiefe Einblicke in die eigenen Betriebszusammenhänge gewähren“, wenn sie Daten teilen.
Um die Potenziale zu heben, müssten die Unternehmen aber zunächst selbst tätig werden und sich erschließen, welche Daten ihr Unternehmen erzeugt, in welcher Qualität und Verfügbarkeit. Diese Schritte seien „Voraussetzung für den Einsatz von passgenauen KI-Anwendungen“, betont Wangermann. Sie müssten jedoch integriert sein in einen strategischen Ansatz, „der nicht allein nach dem Einsatz von KI-Anwendungen im Unternehmen sucht“. Sondern die Herausforderungen der Digitalisierung müssten insgesamt thematisiert werden. Keinesfalls dürften die Unternehmen dies als „Zukunftsthema“ vertagen, sondern sie müssten jetzt engagiert handeln, „um die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu erhalten“.
Use-Cases mit Maschinen- und Umweltdaten anbieten
Nach der Analyse komme die Anwendung. Hier könnte den Unternehmen mit konkreten Anwendungsfällen der Nutzen von KI-Anwendungen plausibel gemacht werden, sagt Wangermann. Herangezogen werden sollten dafür aber nicht Beispiele, die auf personenbezogene Daten angewiesen seien, sondern vielmehr KI-Anwendungen, die auf Maschinen- oder Umweltdaten basierten und besonders hilfreich sein könnten bei Produktionsprozessen oder der Qualitätssicherung dienen. Das erleichtere den Einstieg, vermieden werde eine „reflexartige Abwehr“ mit Verweis auf den Datenschutz, betont Wangermann.
Doch Schuld an den bestehenden Defiziten sind nicht allein die zaghaften Unternehmen selbst, betont Wangermann: „Es bedarf in Deutschland einer grundlegenden Debatte über die Nutzung von Daten. Nicht nur, weil dieses Thema generell noch immer eher risikobehaftet als chancenorientiert aufgegriffen wird“, erklärt er. Sondern die daraus entstehenden Nachteile seien „immer weniger zu vermitteln“.
Unzureichender Datenzugang begrenzt die Wirtschaft
In der Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und im Gesundheitswesen seien die Möglichkeiten „maßgeblich begrenzt durch den unzureichenden Zugang zu Daten“, dadurch könne nicht im Raum der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen „adäquat agiert“ werden“, kritisiert Wangermann. Er fordert einen „Paradigmenwechsel von Datensparsamkeit zu Datensorgfalt“, der „nach wie vor Datensicherheit und Datenschutz priorisiert, aber als Zielsetzung den Zugang zu Daten hat und nicht ihre Vermeidung.“
Zwar thematisiere auch die Regierung in ihrer Datenstrategie eine „neue Datenkultur“, sie widme sich mit Projekten wie Gaia-X Fragen nach Interoperabilität und wertebasierten Standards, doch fehle es in Deutschland an einer Institution wie dem Open Data Institut (ODI) in Großbritannien, das Forschungskompetenz, Vermittlungs- und Beratungsauftrag zur Nutzung von Daten „konsequent bündelt“ und mit ihren Impulsen den Diskurs begleite.
Pläne für ein solches Institut gibt es auch hierzulande, doch fehlt es in der Politik bisher noch an breiter Unterstützung. Das könnte sich ändern in der kommenden Legislaturperiode, denn in allen bisher veröffentlichten Programmen und Programmentwürfen sind Digitalisierung und der Umgang mit Daten ein zentrales Thema. Bislang hat es allerdings auch nicht an der Erkenntnis gemangelt – sondern an der zügigen Umsetzung.
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