Kulturpolitik Niemand weiß, was Deutschlands Theater kosten

Kultur wird in Deutschland zum großen Teil öffentlich finanziert. Eine offene Debatte über die Subventionen der deutschen Theaterlandschaft scheitert bislang auch an fehlenden Daten.

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Blick von der Fürstenloge zur Bühne des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth. Quelle: dpa Picture-Alliance

Theaterfreunde stehen in Deutschland vor einer enormen Auswahl. Gut 140 Bühnen werden in Deutschland von der öffentlichen Hand getragen, zusätzlich bekommen 220 Privattheater in unterschiedlicher Höhe staatliche Zuschüsse. Diese Dichte und Vielfalt ist weltweit wohl einmalig. So einmalig, dass die deutsche Unesco-Kommission inzwischen den Antrag gestellt hat, sie in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen.

Die Aufwendungen von Bund, Ländern und Gemeinden für die Finanzierung von Theatern und Musik beliefen sich im Jahr 2013 auf fast 3,5 Milliarden Euro. Die Ausgaben verteilen sich dabei jedoch höchst ungleichmäßig. Während der Bund vor allem die Kultur in der Hauptstadt unterstützt, tragen die Gemeinden die finanzielle Hauptlast ihres Kulturangebots. Die Länder bezuschussen wiederum in unterschiedlichem Maße ihre Städte und Landkreise. Diese mehrstufige, sehr zersplitterte Finanzierung erschwert eine Kulturpolitik, die sich auf Daten und Fakten stützt.

Die oben genannte Zahl ist dem „Kulturfinanzbericht“ entnommen. Er wird alle zwei Jahre vom Statistischen Bundesamt herausgegeben und hat einen eklatanten Mangel. Er gibt keinen Aufschluss darüber, wie viel die einzelnen Gemeinden für ihren Kulturbetrieb ausgeben. Der Leser kann ihm lediglich entnehmen, wie viel alle Städte und Landkreise zusammen für Kultur ausgeben. Im Jahr 2013 waren das 1,86 Milliarden Euro. Doch damit ist es zum Beispiel nicht möglich, verschiedene Gemeinden und ihre Theater miteinander zu vergleichen.

So viel geben die Länder für Theater und Musik aus

Aufgrund der fehlenden Datengrundlage kann auch eine öffentliche Debatte über das gewünschte Maß von Kulturfinanzierung kaum wirklich Früchte tragen. Denn entscheidende Fragen, die nicht nur Kulturpolitiker und Forscher interessieren, bleiben unbeantwortet: Wer gibt wie viel aus und ist damit wie erfolgreich? Schaffen es auch Theater mit geringem staatlichen Zuschuss viele Menschen für sich zu begeistern? Muss eine Gemeinde deutlich mehr für ihr Theater ausgeben, weil es zum Beispiel teure und aufwendige Opern inszeniert oder weil es schlecht wirtschaftet?

Mit den Daten kann niemand arbeiten

Neben dieser spärlichen staatlichen Datengrundlage gibt es allerdings eine weitere: Die jährliche Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins. Auf ihrem Cover steht: „Die wichtigsten Wirtschaftsdaten der Theater, Orchester und Festspiele“. Und tatsächlich gibt es auf über 250 Seiten Tabellen, die die deutsche Theaterlandschaft bis ins kleinste Detail beleuchten. Wollen Sie wissen, wie viele Schüler- und Studentenkarten das E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg in der Spielzeit 2014/2015 herausgegeben hat? Es sind 13.623. Und wie viele Opern hat das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin in dieser Zeit aufgeführt? Es sind 79.

Die Theaterstatistik ist seit 50 Jahren die beste Datengrundlage, die Kulturpolitiker und Forscher bekommen können. Aber auch sie ist problematisch, denn die Daten verschiedener Theater sind nur bedingt vergleichbar. Darauf weist der Bühnenverein auch an mehreren Stellen hin. Das begründet er damit, dass immer auch die Situation vor Ort verglichen werden müsse. Also zum Beispiel die Größe des Theaters, die Zahl der Spielstätten oder auch das Einzugsgebiet. Besonders pikant wird das Problem mit der Vergleichbarkeit, wenn man nicht die Zahl der Inszenierungen oder Premieren mit einander vergleicht, sondern die staatlichen Zuschüsse betrachtet.

Will man zum Beispiel das Einspielergebnis vergleichen, also fragen, wie viel Prozent der Ausgaben ein Theater durch eigene Einnahmen deckt, so scheinen das Grenzlandtheater Aachen und das Theater Oberhausen laut Theaterstatistik Extreme zu sein. Im Grenzlandtheater Aachen beträgt das Einspielergebnis 87,9, im Theater Oberhausen hingegen nur 6,9 Prozent. Hinzu kommt, dass das Grenzlandtheater Aachen eine deutliche höhere Auslastung vorzuweisen hat – bei annährend gleicher Besucherzahl.
Ist das Theater in Aachen also nicht nur günstiger, sondern hat auch das besser auf die Nachfrage passende Platzangebot? Auf diese Frage reagiert der Bühnenvereins ausweichend. Die Zahlen seien nicht vergleichbar. Außerdem müsse man sich auf die Angaben der Mitgliedstheater verlassen und habe keine Möglichkeit der Kontrolle.

Es drängt sich schließlich die Frage nach der Rolle des Deutschen Bühnenvereins auf. Der versteht sich als „Interessen- und Arbeitgeberverband der Theater und Orchester“, wie er selbst auf seiner Webseite schreibt. Damit wird die einzige detaillierte Statistik zu deutschen Theatern von einem Verein herausgegeben, dessen uneingeschränktes Interesse an der Aussagefähigkeit der Daten zweifelhaft sein dürfte. Welcher Verband will schon seine Mitglieder bloßstellen.

Besserung kommt – in ein paar Jahren

Dass die bestehende Datengrundlage in Deutschland vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern äußert schlecht ist, ist in der Kulturszene ein seit Jahren bekanntes Problem. So beschrieb Dieter Haselbach, ein bekannter deutscher Soziologe, schon 2000 die Theaterstatistik als „gegenüber jedem Interpretationsansatz recht sperrig“. Er forderte eine Neufassung der Statistik. Im Jahr 2012 veröffentlichte er zusammen mit anderen Experten das Buch „Kulturinfarkt“, in dem die Autoren die deutschen Kultursubventionen kritisieren. Auch die Kulturpolitische Gesellschaft (KuPoGe), die sich selbst als Zusammenschluss „kulturpolitisch interessierter und engagierter Menschen aus den Bereichen Kulturarbeit, Kunst, Politik, Wissenschaft, Publizistik und Kulturverwaltung“ beschreibt, fordert seit längerem eine neue Kulturstatistik.

Doch warum gibt es sie immer noch nicht? Norbert Sievers, Hauptgeschäftsführer der KuPoGe, wirft der Kulturpolitik Versagen vor: „Politiker leben davon sich zu inszenieren. Deshalb gefallen sie sich in der Rolle des Mäzens.“ In der Folge würden sie sich auf prestigeträchtige Projekte fokussieren. „ Wenn es eine entsprechende Statistik gäbe, würde man schnell erkennen, wo am Bedarf vorbei produziert wird.“

Die politische Verantwortung für eine Kulturstatistik liegt bei der Kultusministerkonferenz. Dort stimmt man der Einschätzung zu, dass mit der bestehenden Datenlage kaum eine vernünftige Kulturpolitik zu machen ist. Immerhin hatte schon vor zehn Jahren eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages die Datenlage für die Kultur, als „wissenschaftlich nur begrenzt aussagefähig und damit politisch nur partiell nutzbar“ bezeichnet. Außerdem kommt die Kommission in ihrem Abschlussbericht zu dem Schluss, dass die Nutzung von Verbandsstatistiken für kulturpolitische Zwecke nicht möglich sei. Das entwertet also die Theaterstatistik des Bühnenvereins.

Immerhin drei Jahre später zogen die Kultusministerkonferenz und der damalige Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann, die Konsequenzen aus diesem Bericht. Sie beauftragten das Statistische Bundesamt mit der Erstellung einer einheitlichen Kulturstatistik. In diesem Jahr hat das Projekt erste Früchte getragen. Mit dem Spartenbericht Musik ist die erste Teilstatistik erschienen. Bis 2022 soll das Projekt abgeschlossen sein. Spätestens dann dürfte auch die Statistik für die deutschen Theater vorliegen. Die könnten dann schon längst immaterielles Weltkulturerbe sein. Die Unesco entscheidet 2019 über den deutschen Antrag.

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