Kulturrat warnt vor Kunstverkäufen „Deutsche Kultur ist Opfer verfehlter Wirtschaftspolitik“

Diese Woche sollen zwei Andy-Warhol-Bilder aus NRW-Besitz versteigert werden. Weitere Kunstwerke könnten folgen. Der Kulturrat ist alarmiert und fürchtet schon um die Zukunft der Kulturförderung in Deutschland.

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Für Warhols „Triple Elvis“ (li.) und „Four Marlons“ könnten in New York Rekorderlöse erzielt werden. Quelle: ap

Berlin Nach Einschätzung des Deutschen Kulturrats stellt der Verkauf von Kunstwerken aus Landesbesitz die Kulturförderung insgesamt infrage. „Die Kultur ist nicht nur in NRW ein Opfer einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die die Idee des Gemeinwohls pervertiert“, sagte der Geschäftsführer des Verbands, der Geschäftsführer des Kulturrats, Olaf Zimmermann, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Beim Verkauf von Kunstwerken aus dem Vermögen der Portigon AG gehe es auch um die Frage, wohin die Liberalisierung im Rahmen des EU-Binnenmarktes und mit Blick auf die zur Rede stehenden Freihandelsabkommen Ceta und TTIP führen könne. 

Dass die Sammlung der ehemaligen Landesbank WestLB, heute Portigon AG, veräußert wird, gilt als wahrscheinlich. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) begründete dies vergangene Woche damit, dass die Aktiengesellschaft die Kosten ihrer von der EU-Kommission geforderten Abwicklung aus eigener Kraft zu tragen habe. Damit dies ohne weitere Zuführung von Kapital aus dem Landeshaushalt bewältigt werden könne, müsse die Portigon die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, sagte der Minister vor dem Düsseldorfer Landtag. Darunter falle auch die Verwertung der Kunstgegenstände.

Zum Portigon-Besitz gehören Werke der Klassischen Moderne, darunter Gemälde von August Macke und Gabriele Münter sowie Picassos Serie von Stierlithographien, Positionen der Gegenwartskunst, so von Beuys, Knoebel, Uecker, Piene und Mack, Fotografie der Becher-Schule und mehrere Musikinstrumente.

Das wertvollste von ihnen ist die Violine „Lady Inchiquin“ von Antonio Stradivari (Cremona, 1711). Den Versicherungswert der Kunstbestände bezifferte Walter-Borjans auf 28 Millionen Euro, wobei er davon ausgeht, dass die Stücke mittlerweile noch mehr wert sind.

In der Nacht zu Donnerstag werden in New York bei Christie's zudem zwei wertvolle frühe Bilder von Andy Warhol aus dem Besitz des NRW-Casino-Betreibers Westspiel versteigert. Westspiel gehört indirekt dem Land Nordrhein-Westfalen.  Die Versteigerung erfolgt mit ausdrücklicher Unterstützung der rot-grünen Landesregierung.


„Liberalisierung ist nicht zum Nulltarif zu haben“

Mit Blick auf die WestLB-Kunst sagte Kulturrat-Chef Zimmermann, als die Bilder seinerzeit gekauft wurden, sei dies auch ein Beitrag zur Kulturförderung gewesen. Ähnliches treffe nicht nur auf die WestLB, sondern auch auf andere kommunale oder Landesunternehmen zu. „Man denke etwa an das Engagement von Sparkassen, die eben keine normalen Geschäftsbanken sind, sondern auch einen Beitrag für das Gemeinwesen leisten“, erläuterte der Experte.  

„Wenn solche Unternehmen in das Visier von Wettbewerbshütern und Liberalisierern geraten und, wie bei der WestLB geschehen, deren Abwicklung gefordert wird, gelten diese Regeln nicht mehr und jetzt steht das Land vor der Frage, eine weitere Rettungsaktion unternehmen zu müssen.“ Aus Zimmermanns Sicht sollte daher der Fall NRW „allen zu denken geben, die meinen, Liberalisierung wäre zum Nulltarif zu haben und würde keine Kollateralschäden nach sich ziehen“.

Walter-Borjans hatte die Möglichkeit einer Rettung der Kunstwerke mit Steuermitteln angedeutet. Das Land könne die Portigon-Kunstwerke zu, um sie dann in landeseigene Museen zu hängen. Sollten die Stücke jedoch aus dem Betriebsvermögen entnommen werden, sei das „nur durch Erwerb zu marktüblichen Konditionen möglich und unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Erwerber handelt“.

Die Versteigerung der Warhol-Bilder könnte das beste Geschäft werden, das der nordrhein-westfälische Casino-Betreiber Westspiel je gemacht haben dürfte. Eine Investition von 1977 und 1978 könnte gewaltigen Ertrag bringen – wenn denn zwei Siebdrucke von Andy Warhol tatsächlich am Mittwochabend in New York (Ortszeit) für zusammen umgerechnet 100 Millionen Euro verkauft werden.

Dabei waren die Werke gar nicht als Geldanlage gedacht, sondern als Wandschmuck. Für 183.000 Mark kaufte 1977 die Aachener Spielbank „Triple Elvis“ von 1963. Ein Jahr später wurde noch „Four Marlons“ von 1966 für 205.000 Mark gekauft. Das waren etwa 100.000 Dollar. Jetzt könnten jedes der Bilder 60 Millionen Dollar bringen.

Westspiel, eine 100-prozentige Tochter der landeseigenen NRW.Bank, würde von dem erhofften Erlös 80,6 Millionen Euro bekommen, um den Spielbanken-Betrieb zu sanieren und ein neues Casino in Köln zu bauen. Sollte mehr verdient werden, so würde das überschüssige Geld nach Abzug einiger Mittel im klammen NRW-Landeshaushalt landen. Westspiel betreibt vier Casinos in Nordrhein-Westfalen und je eines in Erfurt und Bremen. In den letzten Jahren machte Westspiel Millionenverluste.

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