Labour muss über Nachfolgesystem der Trident-Langstreckenrakete entscheiden Briten streiten über Atomrüstung

Der britische Verteidigungsminister John Reid hat einen Streit über die Zukunft Großbritannies als Atommacht ausgelöst. In einer Parlamentsbefragung Anfang November ließ er durchblicken, dass die Erneuerung des britischen Trident-Atomwaffensystems eine „ausgemachte Sache“ sei.

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LONDON. Seine Worte lösten Unruhe aus. Die Labourabgeordnete Clare Short bezeichnete das Atompotenzial als „irrelevant“ für heutige Fragen der Politik. Trident-Gegner halten eine Neuauflage des Programms für unvereinbar mit Großbritanniens Zusagen in dem Atomwaffensperrvertrag, der auch zur Abrüstung verpflichtet. Es gehört zu den innerparteilichen Reformerfolgen von Regierungschef Tony Blair, seine Partei auf Atomkurs gebracht zu haben. Doch jetzt ist der Premier politisch geschwächt – und Trident bietet seinen Gegnern eine Angriffsfläche. So wollen Hinterbänkler mit einer Zusatzklausel im nächsten Haushaltsgesetz alle Ausgaben für Atomwaffen verbieten. In dieser Legislaturperiode muss Großbritannien seine künftige Atompolitik entscheiden. Die Einsatzzeit der Trident-Langstreckenrakete läuft etwa 2024 aus, die Entwicklung eines Nachfolgesystem dauert rund 15 Jahre. Solange es potenzielle Feinde mit Atomwaffen gebe, werde Großbritannien an seiner atomaren Abschreckung festhalten, sagte Reid vor einem Ausschuss des Unterhauses. Auch das Stichwort Iran fiel – nur wenige Tage, nachdem der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad gefordert hatte, Israel von der Landkarte zu tilgen. Dagegen forderte Literaturnobelpreisträger Harold Pinter in einem Leserbrief an den „Guardian“, das Geld statt für Atomwaffen lieber zur Bekämpfung der Armut auszugeben. „Es gibt keinen politischen, militärischen oder moralischen Grund, Trident zu ersetzen“, schrieb Pinter. Großbritannien hat vier Vanguard-U-Boote mit jeweils 16 Trident-Raketen bestückt, von denen jede bis zu 48 Atomsprengköpfe tragen kann. Mindestens eines der U-Boote patrouilliert ständig in den Weltmeeren. Trident ersetzte 1980, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, das veraltete Polaris-System. Damals hatte die Labourpartei gegen die Modernisierung gestimmt. Heute steht das Bekenntnis zu Trident im Wahlprogramm.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Grundsatzentscheidung ist wahrscheinlich längst gefallen.

Dan Plesch, politischer Analyst an der Universität London, ist sicher, dass die Grundsatzentscheidung für Trident II längst getroffen ist. Nur über die Trägersysteme werde noch beraten. Das Verteidigungsministerium bestreitet das nur halbherzig. Eine Mrd. Pfund wurde bereits für neue Einrichtungen im „Aldermaston Weapons Establishment“ bewilligt, wo Atomwaffen gewartet und virtuell getestet werden. Sollen neue U-Boote und nicht Kampfflugzeuge mit der Trident II bestückt werden, fallen Kosten in Höhe von 20 Mrd. bis 30 Mrd. Pfund an. Gegner des Modernisierungsprojekts wollen nicht nur Blair schwächen. Sie sehen in der „Jahrhundertentscheidung“ auch eine Chance, die britische Außenpolitik neu zu orientieren. Befürworter des Trident-Programms argumentieren, mit seinem Nuklearpotenzial könne Großbritannien mehr Einfluss auf der Weltbühne nehmen. Analyst Plesch hält dem entgegen, das britische Atomarsenal hänge von der technologischen Unterstützung der USA ab. Bliebe diese aus, seien die Trident-Raketen binnen 18 Monaten nicht mehr zu gebrauchen. Gerade durch diese Abhängigkeit mache Trident aus Großbritannien einen „Stützpunkt“ der Amerikaner und verhindere eine unabhängige, europäisch ausgerichtete Außenpolitik, so Plesch. Die Briten hätten weder die Möglichkeit, gegen die von US-Präsident George W. Bush betriebene Blockade der Abrüstungspolitik aufzutreten, noch mit den Europäern bestehende Rüstungskontrollabkommen in den Nahen Osten und nach Asien auszudehnen. Sogar bei Konservativen gibt es Stimmen für den Ausstieg aus der Atomrüstung. Ex-Verteidigungsminister Michael Portillo hält das Atomarsenal seit dem Ende des Kalten Krieges für überflüssig. Nicht einmal einen Angriff der französischen Force de Frappe müsse Blair fürchten, scherzte Portillo – trotz der gespannten Beziehungen zwischen dem Premier und dem französischen Präsidenten.

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