
Der Anzug sitzt, die Haare sind gescheitelt, die Rede ist gedruckt. Stephan Fauth, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen, begrüßt zwei Dutzend Journalisten und Unternehmer aus der Region – acht Leute mit Namen. In seiner Rede, die er abliest, lobt er die Familienfreundlichkeit thüringischer Betriebe. Er spricht über Kitas, Ferienbetreuung und Mutti-Schichten – und darüber, dass Unternehmen viel investierten. Fauth bewegt sich auf sicherem Terrain.
Doch Mitte September wählen die Thüringer einen neuen Landtag, und da beschleicht den Unternehmensfunktionär Unsicherheit. Der Freistaat könnte als erstes Bundesland einen Ministerpräsidenten aus der Linkspartei bekommen. Das, sagt Fauth, fände die Wirtschaft nicht gut. Warum denn, hakt ein Journalist nach. Der Industrie-Lobbyist blickt in die Ferne, überlegt mehrere Sekunden. Er ringt nach guten Argumenten, dann schmunzelt er leicht verlegen. Bei den Unternehmern sei das wohl eher „so ein Bauchgefühl“.
Bauchgefühle sind keine guten Argumente. Doch sie beschreiben ganz gut, was die Unternehmen derzeit gegen Bodo Ramelow in die Waagschale legen. Die Wirtschaft tut sich schwer, ihn in eine Schublade zu stecken. Vor allem, weil der Spitzenkandidat der thüringischen Linken eine ganz andere Agenda verfolgt als von Bundesebene gewohnt: pragmatischer, reformorientierter – und sogar ein bisschen wirtschaftsfreundlich.
Deutschland steht vor einer politischen Zäsur. Wenn in knapp zwei Wochen die Wahllokale zwischen Erfurt, Gera, Jena und Eisenach schließen, könnte Thüringen ein neues Koalitions-Modell für Deutschland erproben. So wie die Grünen in Baden-Württemberg das Ruder übernommen haben, könnten die Linken eine rot-rote Koalition in die nächste Legislaturperiode führen – zur Not auch zusammen mit den Grünen (siehe Grafik unten).
Schlanker Staat
Auf dem Marktplatz in Greiz, einem 22.000-Einwohner-Städtchen in Ostthüringen mit hoher Arbeitslosigkeit und Neonazis im Stadtrat, versucht Ramelow in der vergangenen Woche, wertvolle Wählerstimmen zu mobilisieren. Es regnet. Den 40 Zuhörern könnte er ein Hohelied auf staatliche Fürsorge trällern. Doch das, was sie zu hören bekommen, klingt nicht nach radikal-sozialistischer Gesinnung. Sein Hauptanliegen ist eine Verwaltungsreform, ein schlanker Staat „ohne mittlere Verwaltungsebene“, so Ramelow. Das spare Geld, damit ließen sich beitragsfreie Kitas finanzieren. Er spricht von Bürgerservice-Büros und von hochwassergeschädigten Unternehmen, die noch heute auf ihr Geld warten. Einem Autohaus habe er persönlich geholfen, dass ihm die thüringische Aufbaubank die berechtigten Gelder auszahle. Die Linke contra Staat – verkehrte Welt.

Doch Ramelow gefällt sich in der Rolle des Robin Hood für Kleinunternehmer. Es sei wichtig, Spitzentechnologie und Wertschöpfung im Land zu halten. Die insolventen Stadtwerke in Gera hätte man „kaufmännisch nicht ordentlich geführt“, sagt Ramelow. Seine zum Publikum ausgefahrene Hand verschwindet im beigen Bugatti-Mantel. Er hätte am liebsten einen „Sanierungsexperten hingeschickt“. Den Langzeitarbeitslosen, von denen Greiz genügend hat, widmet er kein Wort.
Bei seiner Wahlkampftour durch Thüringen entdeckt Ramelow die Bedeutung der Unternehmer. Er weiß, dass ihm niemand Wirtschaftskompetenz zutraut. Deshalb besucht er die Betriebe. Bei Feutron im nahe gelegenen Langenwetzendorf warten wenig später gleich zwei Dutzend Mitarbeiter auf den Spitzenkandidaten der Linken. In der Werkshalle liegen Styroporplatten, Holzpaletten, mittendrin steht ein Gabelstapler. Es riecht nach Bratwürsten, die ein Mitarbeiter für den politischen Sondertermin vor der Werkshalle brutzelt.