Landtagswahl Im Saarland ticken die Menschen ein bisschen anders

In drei Wochen wählen die Saarländer einen neuen Landtag. Hier ist manches anders als im Rest der Republik. Die Menschen sind katholischer, genussfreudiger und heimatverbundener als andernorts. Manches kann man erklären.

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Das Saarland ist grüner, als mancher denkt. Quelle: dpa

Saarbrücken Bei Klaus Hiery leuchtet immer eine Grubenlampe. Sie hängt an seinem Hauseingang, oben am Türrahmen. Jeder Besucher geht unter ihr hindurch. „Ohne Licht kein Leben“, sagt er. Hiery muss es wissen: Er hat fast 40 Jahre unter Tage gearbeitet. Im Kohlebergbau. Jeden Tag ging es mit dem Aufzug minutenlang in die Grube, mal 400, mal 1600 Meter tief. Neben dem Licht zählten da unten die Kumpels. „Einer ist auf den anderen angewiesen“, sagt der Bergmann. „Man muss zusammenhalten.“

Wie Hiery sind Zehntausende Saarländer jahrelang „eingefahren“. Seit 2012 ist der Bergbau im Saarland zwar Geschichte, er hat das kleinste deutsche Flächenland aber über 250 Jahre geprägt. „Ohne den Bergbau gäbe es das Saarland gar nicht“, meint Hiery, der in seinem Haus zig Regale voll mit Grubenlampen stehen hat. „Und ohne den Bergbau wären wir nicht so, wie wir sind.“

Nur knapp eine Million Menschen lebt in dem westdeutschen Bundesland, das an Frankreich und Luxemburg grenzt. Die Saarländer sind in vielem besonders: Sie sind katholischer, sie sind geselliger und sie sind heimatverbundener als andere in Deutschland. Und sie haben auch wegen der Nähe zum „Savoir-vivre“ in Frankreich ein Faible für gutes Essen und Lebenslust.

Ulrich Graf von Plettenberg war sechs Jahre lang Pfarrer in der katholischen Pfarreiengemeinschaft Am Schaumberg im Saarland. „Das war für mich ein neues Erlebnis“, sagt der heutige Generalvikar des Bistums Trier. „Es gibt dort noch volkskirchliche Tendenzen, wo also Volk und Kirche praktisch in eins fallen.“ Bürgermeister und Pastor treffen sich jede Woche, haben Termine zusammen. „Meine erste Amtshandlung 2010 in Tholey war die Segnung einer neuen Sauna.“

Gemessen am Anteil der Bevölkerung leben im Saarland so viele Katholiken wie nirgendwo sonst in der Republik. 61 Prozent gehören der Kirche um Papst Franziskus an, weist die Statistik der Deutschen Bischofskonferenz aus. Auch Schlagersängerin Nicole („Ein bisschen Frieden“), Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Linke-Politiker Oskar Lafontaine gehören dazu. Und der langjährige saarländische CDU-Regierungschef Peter Müller (1999-2011) war als Kind ebenso Messdiener wie Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Dass die Saarländer so katholisch sind, hat auch historische Gründe: Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 gehörte das Gebiet des heutigen Saarlandes zum großen Teil zum Erzbistum Trier – und hatte somit in der Vergangenheit überwiegend katholische Herrscher. Hinzu kommt die Bergbau- und Stahltradition: „So eine Bodenständigkeit kommt dem Katholischen entgegen“, sagt Generalvikar von Plettenberg. „Es prägt das Katholische, die Gemeinschaft, den Zusammenhalt.“


So viele Vereine wie sonst nirgends

Bei den Bergleuten sei vor jeder Schicht gebetet worden, erzählt Hiery. Der Steiger habe die Bergglocke gezogen, die Männer hätten den Helm abgezogen und stillgestanden. Vor dem Bild oder der Statue der heiligen Barbara, ihrer Schutzpatronin. „Wenn man einfährt, gibt man sein Leben in Gottes Hand“, sagt 75-Jährige. Hiery ist seit 30 Jahren Präsident der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine mit rund 27.000 Mitgliedern im Saarland. Sie wollen die Tradition lebendig halten.

Überhaupt Vereine. Die Saarländer lieben sie. Viele sind gleich in mehreren Mitglied, wie beispielsweise Thomas Klein. Er ist erster Vorsitzender des Leichtathletik Clubs (LC) Rehlingen in Rehlingen-Siersburg, aber auch Mitglied in einem Gartenbauverein und einem deutsch-italienischen Freundeskreis. „Das ist auch ein Phänomen hier im Saarland: Dass die Leute in mehreren Vereinen sind. Es hat vielleicht damit zu tun, dass einer den anderen kennt.“

Auch die dörfliche Struktur im Land trage dazu bei, meint Klein. „Da ist das Vereinsleben im Dorf und in der Landschaft stark verankert.“ So auch der LC Rehlingen. In einem Dorf mit 4000 Einwohnern zählt er etwa 1150 Mitglieder, etliche aber auch von auswärts. Im schmucken, vereinseigenen „Haus der Leichtathletik“ gehen Leistungssportler wie Langsprinterin Laura Müller ebenso ein und aus wie Vorschulkinder zur „Spielleichtathletik“ und reifere Damen zum „Zumba Gold“.

Zu den bekannten Mitgliedern des Vereins gehört auch Anke Rehlinger. Die Vize-Regierungschefin hält nach wie vor den saarländischen Rekord im Kugelstoßen (16,03 Meter) aus dem Jahr 1996. „Sie kommt regelmäßig einmal pro Woche zum Training“, sagt Klein. Im Winter trainiere sie im Kraftraum, im Frühjahr starte wieder das Wurftraining. Rehlinger tritt bei der Landtagswahl am 26. März als SPD-Spitzenkandidatin an.

Ihre Siegchancen? Nach den Meinungsumfragen mau. Seit 1999 hat die SPD keine Regierung an der Saar mehr geführt, auch wenn sie meist deutlich bessere Wahlergebnisse als die Bundespartei erzielte. Davor stand Lafontaine, damals noch Sozialdemokrat, 14 Jahre an der Spitze des Landes, anschließend ein Jahr der SPD-Mann Reinhard Klimmt.

Bergbau war und Stahlindustrie ist hier zu Hause – aber die Arbeiterklasse hier ist anders als an der Ruhr. Sie ist nicht nur besonders katholisch. Das Saarland hat auch die meisten Eigenheimbesitzer. Und die große Beliebtheit Lafontaines – heute Linke-Spitzenkandidat – dürfte wesentlich damit zu tun haben, dass er parteiübergreifend als Verkörperung des saarländischen Naturells gilt.


Ein gesundes Verhältnis zum Genuss

Dass die Saarländer Vereinsmeier sind, belegt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach steht das Saarland mit gut 9000 Vereinen pro eine Million Einwohner bundesweit an der Spitze. Berechtigt also, dass Regierungschefin Kramp-Karrenbauer für die Saar immer wieder von der „höchsten Vereinsdichte“ Deutschlands spricht. Klare Sache, Geselligkeit wird an der Saar großgeschrieben. Und für viele gehört da gutes Essen dazu.

„Das Saarland hat lange Zeit immer wieder zu Frankreich gehört. Da bleibt was hängen“, sagt der gebürtige Mainzer Kabarettist Detlev Schönauer, seit 40 Jahren an der Saar zu Hause. „Da ist auch dieses Lebensfrohe, Lebensbejahende dabei. Man nennt das Saarvoir-vivre. Wissen zu leben wie die Franzosen, gut essen, gut trinken, gut feiern, nicht unbedingt so viel schaffen, wenn es nicht sein muss und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Hauptsach gudd gess, geschafft hann mir schnell.“

Ein entspanntes Verhältnis zum Genuss verkörpern auch Politiker wie Lafontaine (Linke) oder Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Reiner („Calli“) Calmund, lebt seit 2012 in Saarlouis und ist begeisterter Neu-Saarländer: „Die Menschen hier sind weniger aufdringlich als im Rheinland“, sagt die rheinische Frohnatur.

Auch Sängerin Nicole meint: „Wir Saarländer sind sehr gesellig. Es gibt keinen Haushalt, in dem ein Schwenker fehlt.“ Und man liebe die Nachbarschaft: „Wenn einer grillt, kommt der Nachbar dazu und legt mit auf.“ Der dreibeinige Schwenkgrill hat Kultcharakter – die Grillsaison beginnt hier am 1. Januar und endet am 31. Dezember. Weihnachtsgrillen ist nicht ungewöhnlich.

Es geht aber auch edel: Von zehn Drei-Sterne-Köchen in Deutschland werkeln gleich zwei im Saarland: Christian Bau in Perl und Klaus Erfort in Saarbücken.

Kein Wunder, dass die Saarländer ihr Zuhause lieben. Nicole, die 1982 erstmals für Deutschland den Eurovision Song Contest gewann, hat nie darüber nachgedacht, aus ihrem kleinen Heimatort Nohfelden im Norden des Landes wegzuziehen. „Ich habe hier alles“, sagt die 52-Jährige. „Hier bin ich aufgewachsen, hier gehöre ich hin. Zu meiner Familie und meinen Freunden.“


Saarländer können sich riechen

Wer wegziehe, komme später wieder zurück, meint sie. Viele hätten vom Saarland ein ganz falsches Bild. „Die denken: Da sind nur Gruben und alles ist so dreckig“, meint Nicole, die Saarland-Botschafterin ist. „Dabei haben wir prozentual gesehen von allen Bundesländern die größte Grünfläche. Und das wissen viele gar nicht.“

Mit dem Ende des Bergbaus wurde das Land in den vergangenen zehn Jahren zunehmend ein Hightech-Standort. In den Bereichen Informatik und künstliche Intelligenz spielen diverse Unternehmen und Institute auch international auf Spitzenniveau mit.

Was zeichnet die Saarländer noch aus? „Es gibt keinen Volksstamm, der so heimatverwurzelt und so heimatliebend ist“, sagt Kabarettist Schönauer. „Ich glaube das hängt auch damit zusammen, dass sie in der Geschichte immer hin und her gerissen wurden.“ Der Saarländer reise gerne – auch weil er immer so gerne wieder heimkomme. Und außerhalb der Landesgrenzen erkenne man sich sofort. „Wenn die im Urlaub sind - die spüren sich sofort, die riechen sich. Und dann dauert es genau elf Minuten und sie haben jemanden gefunden, den sie beide kennen.“

Für die, die wegziehen (müssen), gibt es Unterstützung aus der Heimat. Vier Mal im Jahr versendet Charly Lehnert das Magazin „Nemmeh dehemm“ (Nicht mehr daheim) an Hunderte „Exil-Saarländer“. In andere Bundesländer – und rund um den Globus. „Wir haben eine Nonne im Busch in Brasilien. Oder einen Koch, der in China in einem großen Hotel kocht“, sagt der Verleger, der das Blatt seit 30 Jahren auflegt. „Sie alle wollen die Verbindung zur Heimat halten.“

Aus der Zeitschrift erfahren sie, was regional und kulturell los ist im Saarland. Sie bekommen historische Exkurse und Einblicke in das ein oder andere der 50 Museen im Land. Und: „Natürlich dürfen Mundart-Gedichte und Rezepte aus der Heimat nicht fehlen. Das Kulinarische gehört zur Mentalität dazu“, sagt der 78-Jährige. Ein Saarländer im Exil will ja vielleicht auch mal die typischen Kartoffelgerichte „Dibbelabbes“ und „Schaales“ nachkochen.

„Wir sind stolz auf unsere Heimat, weil wir Saarländer ein Grenzlandschicksal haben. Bei uns ist ja jeder durchmarschiert“, sagt Verleger Lehnert. Und diese Geschichte verbindet: Die Saarländer halten zusammen.“

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