Landtagswahl Sachsen-Anhalt „Schwerwiegende Folgen“: Die Wirtschaft fürchtet sich vor einem Wahlerfolg der AfD

In Sachsen-Anhalt wird am 6. Juni ein neuer Landtag gewählt. Quelle: dpa

Das Land ist besser als sein Ruf, sagen viele Unternehmer in Sachsen-Anhalt. Aber nach 30 Jahren Aufbauarbeit verschrecken rechte Umtriebe ausländische Investoren und Fachkräfte. Vor der Landtagswahl am Sonntag liegen CDU und AfD in den Umfragen dicht beieinander.

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Wer am Rande der Kreisstadt Köthen den Schildern in Richtung „Gewerbegebiet“ folgt, könnte schnell glauben, sich verfahren zu haben. Statt Industrieanlagen erstrecken sich rechts und links der Ausfallstraße Pferdekoppeln, Ackerflächen und Grasland. Nur gelegentlich ist eine Halle oder eine Fabrik zu sehen, ansonsten gibt es rund um die 25000 Einwohner zählende Kreisstadt in Sachsen-Anhalt viel Wiese und wenig Wirtschaft. Positiv ausgedrückt: Es ist noch jede Menge Platz für Neuansiedlungen da, denn die leeren Grundstücke sind fertig ausgewiesene und erschlossene Industrieflächen.

Dennoch ist es gar nicht so einfach, hier neue Unternehmen anzusiedeln, wie Thomas Einsfelder weiß, Geschäftsführer der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt. Seit vielen Jahren versuchen er und sein Team im Auftrag der Landesregierung alles, um Investoren in das „Land der Frühaufsteher“ zu locken. Es gibt viele Erfolge – Einsfelder kann zahlreiche Beispiele von internationalen Investoren nennen.

Man könnte die Bilanz aber auch negativ lesen, denn die Wirtschaftskraft des Landes fällt im Vergleich immer noch zu gering aus. Ist das Glas in Sachsen-Anhalt also halb voll oder halb leer? Über diese Frage wird am kommenden Sonntag bei der Landtagswahl abgestimmt.

Es steht viel auf dem Spiel – für die Wirtschaft wie für die regierenden Parteien CDU, SPD und Grüne, die hier eine bundesweit einmalige Kenia-Koalition bilden. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl und den zeitgleichen Wahlen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen gilt das Votum in Sachsen-Anhalt als wichtiger Stimmungstest. Kann CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hier punkten? Hält der Höhenflug der Grünen an? Bekommt der seit 2011 amtierende CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erneut einen Vertrauensvorschuss? Oder werden jüngste Befürchtungen wahr, dass die AfD zur stärksten Fraktion im Magdeburger Landtag aufsteigt?

Rechte Umtriebe verschrecken Investoren

Für die Wirtschaft und die Ansiedlung neuer Unternehmen wäre das ein Desaster, wie Marco Langhoff meint, neuer Arbeitgeberpräsident in Sachsen-Anhalt. „Unmittelbar würde das schwerwiegende Folgen für das Investitionsgeschehen haben“, sagt er voraus. Auch Wirtschaftswerber Einsfelder fürchtet Konsequenzen vor allem bei ausländischen Investoren. „Die Entwicklung der Wirtschaft hängt stark von ihrer Internationalisierung ab“, sagt er. „Das gelingt nur durch ein partnerschaftliches Netzwerk von Personen und Institutionen im Land, die ebenso international und weltoffen denken wie wir“.



Diese Sichtweise wird längst nicht von allen geteilt. Die AfD schürt im aktuellen Wahlkampf Ängste und Vorurteile gegen Ausländer und stößt damit auf recht große Resonanz. In den Umfragen rangiert die Partei zwischen 24 und 29 Prozent, je nach Institut mal vor und mal hinter der CDU, die bei 24 bis 29 Prozent verortet wird. Abgeschlagen dahinter reihen sich dann SPD (11), Linke (10), Grüne (9) und die FDP (8) ein, die am Sonntag damit rechnen kann, wieder in den Magdeburger Landtag einzuziehen.

Neben der akuten Bekämpfung der Pandemie gehören mangelnde wirtschaftliche Perspektiven und Arbeitslosigkeit laut Umfragen zu den drängendsten Themen. Doch auch hier bietet sich wie so oft ein zweigeteiltes Bild: Einerseits sind die Bruttoarbeitslöhne in Sachsen-Anhalt zwischen 2014 und 2019 um 18,4 Prozent gestiegen, während sie im bundesweiten Durchschnitt nur um 12,5 Prozent zulegten. Andererseits erhalten die Beschäftigten im Land nur 80 Prozent des bundesweiten Durchschnittsverdienstes – was für Frust und das im Osten immer noch weit verbreitete Gefühl der Benachteiligung sorgt.

Gefühl der Zweitklassigkeit

Stefan Müller, Geschäftsführer der Miltritz-Aromatics GmbH in Bitterfeld-Wolfen und Miteigentümer in zweiter Generation, kennt diese Stimmung und ihre Gründe. „Die gewaltige und weltweit einmalige Aufbauleistung im Osten wird viel zu wenig gewürdigt“, sagt der Hersteller von Duftstoffen, „aber sie hat auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Ostdeutschland stark gefordert, ja fast zerrissen“. Der Familienunternehmer sieht in dem „klischeehafte Jammern vor allem der Wunsch nach Anerkennung“, schließlich „haben viele ganz normale Menschen hier große Opfer gebracht“. Nicht nur die Bürger, sondern auch er als Unternehmer ärgert sich über das Zerrbild, das oft von Sachsen-Anhalt gezeichnet wird. „Bitterfeld war einmal als dreckigste Stadt Europas in den Nachrichten, aber jetzt ist es absolut lebenswert geworden“, sagt Müller. Man solle sich doch einfach mal umsehen. „Die Kärrnerarbeit der letzten 30 Jahre hat sich gelohnt und daran hat auch die Politik ihren Anteil, zum Beispiel durch eine kluge Förderung.“

Das stimmt, aber das staatliche Buhlen um neue Fabriken und Arbeitsplätze verschlingt enorme Summen. Große Investoren wie zuletzt der finnische Papierhersteller UMP stellen hohe Forderungen an ihre Standorte und die jeweilige Regierung. Für den Bau einer 550 Millionen Euro teuren Bioraffinerie im Chemiepark Bitterfeld musste das Land insgesamt 100 Millionen Euro Ansiedlungshilfen leisten. Ansonsten wäre das Hessen zum Zuge gekommen, das den finnischen Papierkonzern ebenfalls anlocken wollte.

Mangelnde Innovationskraft

Trotz steigender Bildung und zahlreicher Universitäten und Forschungseinrichtungen klagen High-Tech-Unternehmerinnen wie Manuela Münch über mangelnde Innovationskraft. „Wahrscheinlich haben wir auch deshalb die wenigsten Patente und eine geringe Zahl von Arbeitsplätzen in den Bereichen Forschung und Entwicklung“, sagt Münch, Mitinhaberin der Sonotec GmbH in Halle, einem Hersteller von Ultraschall-Messtechnik. „Forschungseinrichtungen sind gut, aber die alleine bringen nicht die Wertschöpfung und dauerhafte, attraktive Arbeitsplätze. Es braucht den Dreiklang aus Forschung, Entwicklung und Herstellung, damit wirklich nachhaltige Wertschöpfung entsteht.“

Ein weiteres Problem für die Wirtschaft ist der Fachkräftemangel – trotz einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit von 7,5 Prozent. In Sachsen-Anhalt gibt es derzeit knapp 20.000 unbesetzte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – und es dauert im Schnitt 196 Tage, bis sie besetzt sind.

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Abhilfe kann da nur aus dem Ausland kommen, aber Berichte über rechtsradikale Umtriebe und Gewalt gegen Ausländer schrecken viele Interessierte aus anderen Nationen ab. „Um den Fachkräftebedarf zu decken sind die ansässigen Unternehmen zunehmend auch auf die Zuwanderung von Fachkräften und ausbildungsinteressierten jungen Menschen aus dem Ausland angewiesen“, sagt Einsfelder. Die fortschreitende internationale Verflechtung der Firmen vor Ort lasse gar keine andere Möglichkeit zu. Ein erster Platz für die AfD bei den Wahlen am Sonntag wäre deshalb absolut kontraproduktiv – auch für das wachsende Geschäft mit dem Tourismusmarketing im Land der Reformation.

Familienunternehmerin Münch sieht es ähnlich. „Wir brauchen ein offenes Sachsen-Anhalt mit möglichst großer kultureller Vielfalt; das ist auch für die Unternehmen wichtig“, sagt sie. In ihre Firma arbeiten 180 Menschen, davon zehn mit Migrationshintergrund. Dass ausländische Fachkräfte einen Umzug in den Osten ablehnen, kennt sie nur vom Hörensagen. „Wir haben kein Problem, ausländische Fachkräfte zu engagieren, aber es gibt Unternehmen, bei denen sicherlich eine gewisse Unsicherheit herrscht“, räumt Münch ein. „Der Osten hat leider den Ruf, Angst vor Fremden zu haben.“

Wirtschaft fehlen Fachkräfte

Auch Aroma-Hersteller Müller blickt mit Sorge auf den Wahlsonntag. „Als Unternehmer akzeptiere ich den Wählerwillen, aber ich hoffe schon, dass das Land nach der Wahl nicht unregierbar wird“, sagt er. „Die AfD löst keine Probleme, bringt uns keinen Schritt weiter und für das Image des Standortes wäre das auch nicht gut“.

Geht es nach dem Willen der Wirtschaft, müsste die neue Landesregierung stärker als bislang die Werbetrommel rühren. „Die Politik sollte alles tun, um die Attraktivität des Landes besser herauszustellen.“, sagt Unternehmerin Münch. „Man müsste viel mehr Werbung für das Land machen, denn das Umfeld ist sehr attraktiv und wesentlich besser als das Image. Alle reden immer von Dresden und Leipzig“, sagt Münch, „aber Magdeburg, Dessau und Halle haben auch viel zu bieten.“

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