Landtagswahlen beginnen Durch Brandenburg geht ein tiefer Riss

Seite 2/3

Wo der Mensch geht, da übernehmen die Tiere

Umso mehr muss man zeigen, was man hat, gerade weil es nicht so viel ist. Es gibt zum Beispiel eine kleine Broschüre über „Kunst & kreatives Schaffen“ in Templin, auf die man im Rathaus sehr stolz ist. Rund 40 Maler, Grafiker, Bildhauer und Fotografen leben hier – „Interesse erwünscht“ steht gleich auf dem Cover. Auch deshalb wurde gerade mehr als eine Million Euro in die Sanierung des Hauses der Jugend und der Kunst am Altstadtrand gesteckt. Mit der Universität Potsdam hat sich Tabbert außerdem ein Schnupperprogramm ausgedacht: Lehramtsstudenten, die sich für ihr Schulpraktikum drei Monate in den Brandenburger Norden trauen, können im größten Hotel des Ortes umsonst wohnen. „Zwei Frauen“, freut er sich, „machen jetzt hier ihr Referendariat.“ Zwei Lichtblicke gegen den großen dunklen Trend.

Nichts beschreibt die Misere in der Brandenburger Peripherie so treffend wie ein einziges Wort, das hier zum stehenden Begriff geworden ist: Wolferwartungsland. Wo der Mensch geht, wo die Dörfer langsam sterben, da übernehmen die Tiere.

So klingt die bittere Wahrheit, allerdings nur ein gewisser Teil von ihr. Denn neben der darbenden Provinz gibt es im märkischen Land auch erblühende Flecken, voller Aufbruch und Zuversicht. Sie liegen fast alle wie ein pulsierender Ring um Berlin. Wer in diesem Speckgürtel Bauland für ein Häuschen kaufen möchte, muss mittlerweile 96 Euro pro Quadratmeter bezahlen, 2012 waren es noch 79 Euro. Viel weiter draußen ist der Grund hingegen schon für 36 Euro zu bekommen. Es sind ein paar der offenkundigen Spuren eines Risses, der dieses Land prägt.

„Die Wachstumskerne Brandenburgs verteilen sich um die Hauptstadt herum“, bilanziert Axel Lindner, Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung Halle. „Sie haben sich in den vergangenen Jahren wesentlich besser entwickelt als das flache Land.“ Aufstieg und Abstieg vollziehen sich gleichzeitig. Das Ergebnis: „Die Unterschiede zwischen den Regionen sind im Osten massiv, und in Brandenburg sieht man dies besonders deutlich“, sagt Lindner.

Die Politiker, die für die Landtagswahl am 14. September um Stimmen werben, verschleiern diesen Zustand lieber. Auf den Veranstaltungen des SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke etwa werden kleine Einspielfilmchen gezeigt, darunter einer, in dem es heißt: „Wir wollen gut leben, überall in unserem Land.“ So wenig Realitätssinn muss an Wählerzumutung reichen. Im Wahlprogramm der CDU, die gerne anstelle der Linken wieder mitregieren würde, steht der Satz: „Wir erwarten vor allem, dass sich die grundlegenden Lebensbedingungen in den Regionen fernab der Hauptstadt nicht verschlechtern.“ Nur wie das auch in Zukunft ganz konkret gelingen soll, mit – Tendenz sinkend – 2,5 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die fast so groß ist wie ganz Belgien, darüber wird geflissentlich geschwiegen, und zwar bei allen Parteien.

Diese Berufe sind bei Jugendlichen unbeliebt
Drei Jahre dauert eine Ausbildung zum Hotelkaufmann, oder zur Hotelkauffrau - danach können sie im Hotel so ziemlich jede Tätigkeit übernehmen. Sie koordinieren das Zusammenspiel von Übernachtung, Restaurant, Küche, Lager und Verwaltung, übernehmen jedoch überwiegend kaufmännische Aufgaben. Mit ihrer Ausbildung könnten sie sogar in Privat- und Kurklinken arbeiten oder in Reisbüros - vielfältige Einsatzmöglichkeiten, trotzdem sind 13,8 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt. Quelle: dpa/dpaweb
Gebäudereiniger leben genau wie Maurer, Dachdecker und Zimmerer besonders gefährlich, denn in diesen Berufsgruppen passieren die meisten aller meldepflichtigen Arbeitsunfälle, besonders in der kalten Jahreszeit. Die Ausbildung des Handwerksberufs dauert drei Jahre - und danach arbeiten die Menschen vor allem in Gebäudereinigungsunternehmen oder bei spezialisierten Dienstleistern. 16,4 Prozent aller Ausbildungsplätze waren 2013 unbesetzt. Quelle: dpa
Ein Zucchiniröllchen mit Kürbisfüllung hat der vegane Koch Attila Hildmann hier gezaubert. Er selbst lebt ganz ohne tierische Produkte wie Milch, Käse und Eier. Drei Jahre dauert auch hier die Ausbildung zum Koch oder zur Köchin. Danach sollte man in der Lage sein ganz unterschiedliche Gericht zu zu bereiten und sie anzurichten. Trotzdem bleiben 17,7 Prozent der Lehrstellen frei. Quelle: dpa
Es heißt umständlich "Fachkraft im Gastgewerbe" - dahinter verbergen sich Menschen, die Gäste betreuen, die Getränke ausschenken, im Restaurant bedienen und Hotelzimmer herrichten. Zwei Jahre dauert die Ausbildung, danach kann sie unter Umständen durch aufbauende Ausbildung zum Hotelfachmann oder Hotelkaufmann ergänzt werden. 2013 blieben 19,3 Prozent der Ausbildungsstellen unbesetzt. Quelle: dpa
19,5 Prozent der Ausbildungsstellen zum Fachmann, zur Fachfrau für Systemgastronomie blieben 2013 unbesetzt. Sie sorgen dafür, dass in ihrer Filiale Angebot, Qualität und Service nicht von festgelegten Regeln abweichen. Wegen des starren Ablaufs arbeiten sie vor allem in Selbstbedienungsrestaurants und bei Fastfood-Ketten. Möglich wäre aber auch eine Beschäftigung in Mensen und Kantinen. Quelle: dpa
Das Bäckerhandwerk in Deutschland wird immer stärker von Großbetrieben dominiert, traditionelle Bäcker haben häufig eine langjährige Tradition und sind Familienbetriebe. Der Beruf des klassischen Bäckers scheint also ohnehin auszusterben. Allerdings stellen sie nicht nur Brot, Torten und Feinbackwaren her, sondern finden auch Beschäftigung in der Gastronomie und im Catering-Bereich. 2013 blieben 22,8 Prozent der Ausbildungsplätze leer. Quelle: dpa
Der Klempner ist ein klassischer Männerberuf, der Frauenanteil liegt bei weniger als drei Prozent. Unter der Berufsbezeichnung versteht man einen Handwerker, der mit Metall arbeitet und Blechbauteile für Hausdächer und Fassaden herstellt, sie anbringt und repariert. Knapp ein Viertel aller Ausbildungsplätze blieb hier leer. Quelle: dpa

Es könnten bescheidene, aber tatkräftige Brandenburger wie Holger Pleske und seine mehr als 270 Mitarbeiter sein, die einen gehörigen Anteil dazu beitragen, wenn dieser Wandel glimpflich ablaufen soll. Pleske ist Geschäftsführer der MAP Maschinen- & Apparatebau Produktions GmbH in Rathenow. Hier, im Havelland westlich von Berlin, werden einige der kleineren und größeren Erfolgsgeschichten geschrieben, die ihren Ausdruck dann in hübschen Statistiken finden, die man schon eher in den Reden und Broschüren der wahlkämpfenden Parteien findet.

Aber Erfolge sind es durchaus: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs im Havelland so stark wie nirgendwo sonst in Brandenburg – um 4,6 Prozent. Beim Abbau der Arbeitslosigkeit liegt das Bundesland auch dank solcher Zahlen im nationalen Vergleich schon seit Längerem vorne (was Brandenburg im Bundesländer-Dynamikranking der WirtschaftsWoche regelmäßig Spitzenplätze einbrachte – trotz Uckermark).

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%