Umso mehr muss man zeigen, was man hat, gerade weil es nicht so viel ist. Es gibt zum Beispiel eine kleine Broschüre über „Kunst & kreatives Schaffen“ in Templin, auf die man im Rathaus sehr stolz ist. Rund 40 Maler, Grafiker, Bildhauer und Fotografen leben hier – „Interesse erwünscht“ steht gleich auf dem Cover. Auch deshalb wurde gerade mehr als eine Million Euro in die Sanierung des Hauses der Jugend und der Kunst am Altstadtrand gesteckt. Mit der Universität Potsdam hat sich Tabbert außerdem ein Schnupperprogramm ausgedacht: Lehramtsstudenten, die sich für ihr Schulpraktikum drei Monate in den Brandenburger Norden trauen, können im größten Hotel des Ortes umsonst wohnen. „Zwei Frauen“, freut er sich, „machen jetzt hier ihr Referendariat.“ Zwei Lichtblicke gegen den großen dunklen Trend.
Nichts beschreibt die Misere in der Brandenburger Peripherie so treffend wie ein einziges Wort, das hier zum stehenden Begriff geworden ist: Wolferwartungsland. Wo der Mensch geht, wo die Dörfer langsam sterben, da übernehmen die Tiere.
So klingt die bittere Wahrheit, allerdings nur ein gewisser Teil von ihr. Denn neben der darbenden Provinz gibt es im märkischen Land auch erblühende Flecken, voller Aufbruch und Zuversicht. Sie liegen fast alle wie ein pulsierender Ring um Berlin. Wer in diesem Speckgürtel Bauland für ein Häuschen kaufen möchte, muss mittlerweile 96 Euro pro Quadratmeter bezahlen, 2012 waren es noch 79 Euro. Viel weiter draußen ist der Grund hingegen schon für 36 Euro zu bekommen. Es sind ein paar der offenkundigen Spuren eines Risses, der dieses Land prägt.
„Die Wachstumskerne Brandenburgs verteilen sich um die Hauptstadt herum“, bilanziert Axel Lindner, Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung Halle. „Sie haben sich in den vergangenen Jahren wesentlich besser entwickelt als das flache Land.“ Aufstieg und Abstieg vollziehen sich gleichzeitig. Das Ergebnis: „Die Unterschiede zwischen den Regionen sind im Osten massiv, und in Brandenburg sieht man dies besonders deutlich“, sagt Lindner.
Die Politiker, die für die Landtagswahl am 14. September um Stimmen werben, verschleiern diesen Zustand lieber. Auf den Veranstaltungen des SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke etwa werden kleine Einspielfilmchen gezeigt, darunter einer, in dem es heißt: „Wir wollen gut leben, überall in unserem Land.“ So wenig Realitätssinn muss an Wählerzumutung reichen. Im Wahlprogramm der CDU, die gerne anstelle der Linken wieder mitregieren würde, steht der Satz: „Wir erwarten vor allem, dass sich die grundlegenden Lebensbedingungen in den Regionen fernab der Hauptstadt nicht verschlechtern.“ Nur wie das auch in Zukunft ganz konkret gelingen soll, mit – Tendenz sinkend – 2,5 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die fast so groß ist wie ganz Belgien, darüber wird geflissentlich geschwiegen, und zwar bei allen Parteien.
Es könnten bescheidene, aber tatkräftige Brandenburger wie Holger Pleske und seine mehr als 270 Mitarbeiter sein, die einen gehörigen Anteil dazu beitragen, wenn dieser Wandel glimpflich ablaufen soll. Pleske ist Geschäftsführer der MAP Maschinen- & Apparatebau Produktions GmbH in Rathenow. Hier, im Havelland westlich von Berlin, werden einige der kleineren und größeren Erfolgsgeschichten geschrieben, die ihren Ausdruck dann in hübschen Statistiken finden, die man schon eher in den Reden und Broschüren der wahlkämpfenden Parteien findet.
Aber Erfolge sind es durchaus: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs im Havelland so stark wie nirgendwo sonst in Brandenburg – um 4,6 Prozent. Beim Abbau der Arbeitslosigkeit liegt das Bundesland auch dank solcher Zahlen im nationalen Vergleich schon seit Längerem vorne (was Brandenburg im Bundesländer-Dynamikranking der WirtschaftsWoche regelmäßig Spitzenplätze einbrachte – trotz Uckermark).