Lebensfremd CDU-Widerstand gegen Rente mit 70

Nicht nur Ökonomen halten eine Frühverrentung für falsch. Auch EU-Kommissar Oettinger fordert wegen des Fachkräftemangels einen späteren Rentenbeginn mit 70 Jahren. Der CDU-Sozialflügel hält das für lebensfremd.

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Geld für die Rentenkasse: Kinderlose sollen mehr Steuern zahlen. Quelle: dpa

Berlin Die Forderung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) nach einer Rente mit 70 stößt auf deutliche Ablehnung in der Union. „Oettinger geht mit seiner Forderung an der Lebenswirklichkeit vorbei", sagte der Bundesvize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler (CDU), Handelsblatt Online. Das effektive Renteneintrittsalter liege deutlich unter 63 Jahren.

 „Unternehmen wie Daimler oder Audi schicken ihre Facharbeiter über die Altersteilzeit mit Ende 50 in den Ruhestand“, betonte Bäumler.  Die Diskussionen über einen Fachkräftemangel in Deutschland hätten daher wenig mit der betrieblichen Wirklichkeit zu tun.

 Der CDA-Vize wandte sich auch gegen die Kritik des EU-Kommissars an der Rente mit 45 Beitragsjahren. „Wer 45 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt hat, verdient es ohne Abschläge in Rente zu gehen“, sagte Bäumler.

Oettinger hatte sich im scharfen Gegensatz zur Rentenpolitik der Großen Koalition für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausgesprochen. „Wir haben einen Fachkräftemangel und müssen in den nächsten Jahren über die Rente mit 70 sprechen“, sagte er in einem Interview. „Wir müssen Menschen mit beruflicher Weiterbildung fit machen für eine längere Lebensarbeitszeit.“ Die von Schwarz-Rot geplante Rente mit 63 kritisierte Oettinger als „falsches Signal“ auch nach außen.

Unterstützung bekam er von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Durch die steigende Lebenserwartung und die demografische Wende ist die Frage der Rente mit 70 unausweichlich“, sagte er der „Welt“.


Rürup: Mütterrente als „Klientelpolitik“

Auch Klaus Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), kritisierte die Koalitionspläne: „Mit der Rentenparty, die die deutsche Bundesregierung gerade auf Kosten der jungen Generation vorbereitet, gibt Deutschland in Europa seinen Anspruch auf Führung in rentenpolitischen Zukunftsfragen auf.“

Der Rentenexperte Bert Rürup bezeichnete in „Focus Online“ Reformen wie die Rente mit 63 und die Mütterrente als „Klientelpolitik“. Sie seien angesichts der alternden Bevölkerung „ein völlig falsches Signal“.

Der hessische SPD-Chef und Bundesvize seiner Partei, Schäfer-Gümbel, sagte der dpa in Wiesbaden, mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Jahren Arbeit werde eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. „Das gilt nicht nur für die Facharbeiterschaft, sondern auch für viele andere Beschäftigte“, sagte er zu Vorwürfen, die SPD bediene mit der Reform vor allem die ihr eng verbundene Klientel der Facharbeiter.

Prominente Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union lassen dagegen bei ihrer Kritik an den schwarz-roten Plänen für eine Rente ab 63 nicht locker. Der CDU-Wirtschaftsrat warf Kanzlerin Angela Merkel vor, mit dem von der SPD durchgesetzten Rentenkurs Politik gegen ihre Überzeugung zu machen. 

Der von Merkel initiierte Euro-Plus-Pakt sehe die Angleichung des tatsächlichen Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und die Begrenzung der Vorruhestandsregelung vor, sagte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, der dpa. „Und jetzt kippen wir das wieder.“ Die Union konterkariere mit der Rente mit 63 „unsere eigenen Forderungen in Europa. Andere Länder sind froh, dass Deutschland das macht und sie sich nun nicht so anstrengen müssen.“

CDU-Chefin Merkel hatte mehrfach betont, dass ihr die Zugeständnisse zur Rente mit 63 in den Koalitionsverhandlungen besonders schwer gefallen seien.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) habe die Rentenpläne ungerecht aufgesetzt, sagte Lauk. „Wenn es nur um eine Rente mit 63 Jahren ginge für Menschen, die 45 Jahre am Stück hart gearbeitet haben - das wäre kein so großes Problem.“ Das beträfe wenige hunderttausend Leute.

„Aber wer 45 Jahre halbtags gearbeitet hat und zwischendurch arbeitslos war, kommt auch in den Genuss der Rente mit 63. Das kann nicht wahr sein. Hier ist die Umsetzung des Koalitionsvertrags durch die Sozialdemokratie sozial ungerecht geworden. Das kann man nicht durchlassen.“ Vor allem die SPD - und nicht die Union - werde Schaden nehmen. „Die SPD macht die großen falschen Projekte, die langfristig nicht haltbar sind“, sagte Lauk.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki sagte der dpa, seine Partei wolle sich mit einem eigenen Konzept zur Rentenreform profilieren. „Wir favorisieren das schwedische Modell, nach dem im Alter zwischen 60 und 70 Jahren Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitgeber frei miteinander vereinbaren können, wann sie aufhören oder in welcher Form sie in Teilzeit übergehen“, sagte er.

„Auch wir meinen, dass Menschen, die 45 Jahre hart gearbeitet haben, in Rente gehen dürfen und können“, sagte Kubicki. „Wir sind anders als Sozial- und auch Christdemokraten aber der Auffassung, dass die Menschen darüber in einer freiheitlichen Welt selbst entscheiden können.“

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