
Der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), Oliver Holtemöller, fordert Konsequenzen aus der Griechenland-Krise. „Ganz grundsätzlich sollte es klare Regeln für eine Staatsinsolvenz im Euro-Raum geben“, sagte Holtemöller dem Handelsblatt.
Über ein Staatsinsolvenzrecht wird schon lange diskutiert. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich schon dafür stark gemacht. Als Griechenland erstmals vor sechs Jahren mit großvolumigen internationalen Finanzhilfen vor der Pleite bewahrt wurde, sprach sie sich dafür aus, Regeln für eine „geordnete staatliche Insolvenz“ zu entwickeln. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) pflichtete Merkel damals bei. „Wir müssen uns überlegen, wie im Extremfall Mitgliedsländer in die geordnete Insolvenz gehen können, ohne dass die Euro-Zone insgesamt gefährdet ist“, sagte der Minister damals.
Aus den Gedankenspielen Merkels und Schäubles für eine geordnete Staatsinsolvenz ist aber nicht viel geworden. Die Euro-Zone hat mittlerweile zwar zahlreiche Sicherheitsnetze gegen Krisen eingerichtet, etwa den Rettungsschirm ESM und die Bankenunion. Wie mit pleitebedrohten Staaten verfahren werden soll, ist jedoch nach wie vor nicht geregelt.
Die von Athen vorgeschlagenen Sparmaßnahmen
Die griechische Regierung will bei den Verhandlungen mit den Geldgebern Athens durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen um Kürzungen bei Renten und Löhnen herumkommen. Zudem hofft Athen auf eine Umstrukturierung der Schulden und ein Investitionsprogramm. Dies verlautete aus Kreisen der Regierung in Athen. Die griechische Presse listete Maßnahmen zur Haushaltssanierung auf. Danach müssten die Griechen knapp acht Milliarden Euro sparen oder zusätzlich einnehmen.
Athen soll 2015 einen Primärüberschuss im Haushalt (Zinszahlungen und Tilgungen von Schulden werden dabei ausgeblendet) von einem Prozent und 2016 von zwei Prozent erzielen. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone mit Athen laut Diplomatenkreisen bereits beim Sondergipfel geeinigt.
Künftig soll es drei Mehrwertsteuersätze geben: 6, 13 und 23 Prozent. Auf Energie, Wasser, Gastronomie entfällt weiterhin der mittlere Satz, während die Usamtzsteuer auf Medikamente und Bücher um 0,5 Prozent verringert wird. Die Institutionen forderten zwei Sätze (11 Prozent und 23 Prozent), wobei Medizin bei 11 und Energie, Wasser und Gastronomie bei 23 Prozent eingeordnet worden wäre.
Athen will die Einkommen von 12.000 bis 20.000 Euro mit 0,7 Prozent Sonder-Solidaritätssteuer belasten. Wer 20.001 bis 30.000 Euro (brutto) jährlich bezieht, soll 1,4 Prozent „Soli“ zahlen. Das geht stufenweise weiter bis zu acht Prozent für Einkommen über 500.000 Euro im Jahr.
Die Besitzer von Immobilien sollen weiter eine Sondersteuer zahlen, die dem Staat bis zu 2,7 Milliarden Euro bringen soll. Ursprünglich wollte die Regierung sie abschaffen.
Besitzer von Luxusautos, Privatflugzeugen und Jachten müssen mehr an den Fiskus zahlen.
2016 sollen Unternehmen mehr Steuern zahlen. Statt bisher 26 Prozent sollen 29 Prozent Unternehmensbesteuerung fällig werden. Zwölf Prozent Sondersteuer müssen alle Betriebe zahlen, die mehr als 500.000 Euro Gewinn machen.
Für Fernsehwerbung soll eine Sondersteuer erhoben werden. Private TV- und Radiosender sollen eine neue Lizenzsteuer zahlen. Zudem sollen elektronische Wetten besteuert werden.
Rüstungsausgaben sollen um 200 Millionen Euro gekürzt werden.
Die meisten Frührenten sollen stufenweise abgeschafft werden. Rentenkürzungen soll es nicht geben. Offen blieb, ob und wann die Regierung das Rentenalter auf 67 Jahre anheben wird.
Die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen erhöht werden. Das soll in den kommenden 18 Monaten knapp 1,2 Milliarden Euro in die Rentenkassen spülen. Versicherte sollen beim Kauf von Medikamenten stärker zur Kasse gebeten werden.
Die Regierung stimme begrenzten Privatisierungen zu, hieß es.
Athen schlägt den Angaben zufolge eine Umschichtung der Schulden im Volumen von 27 Milliarden Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Euro-Rettungsfonds ESM vor.
Athen hofft auf ein Investitionsprogramm der EU-Kommission und der Europäischen Investitionsbank.
Der IWH-Konjunkturchef Holtenmöller begründete seine Forderung mit der Dauerkrise in Griechenland. „Es ist nach meiner Einschätzung sehr unwahrscheinlich, dass Griechenland seine Staatsschulden jemals vollständig zurückzahlen wird“, sagte er. Schon im Jahr 2012 hätten die Wirtschaftsforschungsinstitute in der Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert, dass es früher oder später faktisch zu einem substanziellen Schuldenschnitt kommen werde. Fraglich sei nur, wie genau das gemacht wird. „Vermutlich wird man aus politischen Gründen das Wort Schuldenschnitt vermeiden, aber dennoch faktisch die Schuldenlast noch einmal deutlich reduzieren“, sagte Holtemöller.
Der Ökonom hat zusammen mit dem Volkswirt Tobias Knedlik schon vor einiger Zeit konkrete Vorschläge für die Schaffung eines europäischen Staatsinsolvenzrechts veröffentlicht. Sie verweisen darauf, dass es in den USA bereits Erfahrungen mit solchen Insolvenzregeln gebe und vom Internationalen Währungsfonds auch schon entsprechende Vorarbeiten geleistet worden seien.
ESM: Schuldentragfähigkeit gibt Anlass zu „ernster Sorge“
Aus Holtemöllers und Knedliks Sicht besteht das zentrale Problem einer Zahlungsunfähigkeit von Staaten darin, dass diese nicht, wie etwa Unternehmen, liquidiert werden können. Folglich sei auch kaum nachprüfbar, ob ein Land tatsächlich - temporär oder dauerhaft - zahlungsunfähig sei. „Deshalb“, so ihr Vorschlag, „muss ein Insolvenzrecht für Staaten zunächst den Insolvenzfall definieren und eine Instanz (Gericht) schaffen, die den Insolvenzfall feststellt.“
Zudem müsse das Insolvenzrecht die Rechte der Gläubiger klären und gleichzeitig die künftige Arbeitsfähigkeit des Staates sichern. Denn: „Nur die explizite Regelung einer Staatsinsolvenz kann ein glaubwürdiges Ausfallszenario bieten, das dann eine ausreichende Differenzierung der Marktzinsen und damit eine Marktsanktionierung überhöhter Staatsverschuldung ermöglicht.“ Das europäische Insolvenzrecht für Staaten sei dann Grundlage jedweder Verträge über die Emission von Staatsschuldpapieren.
Über solche Regeln redet derzeit aber keiner der Euro-Retter. Vielmehr geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen Griechenland weitere finanzielle Unterstützung gewährt werden soll. Fakt ist, dass nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nun auch der Euro-Rettungsfonds ESM Handlungsbedarf sieht, die langfristige Schuldenlast Griechenlands zu reduzieren.
Das Verhältnis der Wirtschaftsentwicklung zur Verschuldung gebe auf lange Sicht Anlass zu „ernster Sorge“, heißt es in einem Dokument, das der ESM den Euro-Finanzministern am Montag präsentierte. Das Papier, das dem Handelsblatt vorliegt, soll die Grundlage für Beratungen über mögliche Schuldenerleichterungen bilden, über die die Euro-Gruppe bei ihrer nächsten Sitzung am 24. Mai entscheiden könnte. Dann soll auch der Weg frei gemacht werden für die Auszahlung weiterer Milliardenhilfen für das hoch verschuldete Euro-Land.