Lehren aus der Wahl Berliner Schnauze voll

Die CDU hat in Berlin die Nase vorn. Quelle: imago images

Berlin ist eine aufregende Stadt. Leider ist die Berliner Politik meistens nur aufreibend. Die Wählerinnen und Wähler haben das an diesem Wahltag ziemlich deutlich gemacht – drei Beobachtungen aus der geliebten und verhassten Hauptstadt.

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Eines vorweg: Berlin ist nicht Deutschland. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass die Hauptstadt repräsentativ fürs Land stehen würde. Die Franzosen spiegeln sich und ihr Geltungsbewusstsein im Esprit und der Pracht von Paris. London ist melting pot und Geld-Kapitale, voller Spannungen und doch unwiderstehlich dynamisch. Die Bundesrepublik dagegen ist nicht wie Berlin, eher wie Böblingen. Oder wie Hannover. Jede Wette: Wenn sich irgendwann doch die Hannoverisierung der Hauptstadt abzeichnen sollte, werden erst die richtigen Abgesänge auf Berlin kommen.

Nun denn, die Stadt hat also wieder gewählt. Wieder wählen müssen, um genau zu sein. Was verschiedene Medien in den vergangenen Tagen dazu veranlasst hat, lustvoll das Für und Wider dieser Stadt zusammenzufassen. In aller Kürze: Man kann sie lieben oder hassen. Oder auch beides zugleich. Babylon oder Sehnsuchtsort, failed state oder boom town, Spree-Athen oder einfach nur Moloch der Assis – suchen Sie es sich aus. Nur langweilig, da sind sich alle einig, wird es hier nicht. 

New York, um mal ganz berlinerisch-bescheiden ins oberste Regal der Weltmetropolen zu greifen, wird auch bereits seit Jahrzehnten immer wieder zu Grabe getragen. Um dann doch ein ums andere Mal als glorifizierte Hauptstadt der westlichen Welt wiederaufzustehen. Und jetzt raten Sie mal, wohin die jungen Leute aus, sagen wir Brooklyn, gerne mal ziehen würden? Kleiner Tipp: Böblingen ist es nicht.

Vor lauter „Arm, aber sexy“-Nostalgie haben selbst viele Berliner irgendwie übersehen, dass sie mittlerweile im Bundesländerranking bei der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung auf Platz 6 angekommen sind. Hessen, mit Frankfurt am Main und seinen Banken, spürt schon den Atem im Nacken. Seit 2015 ist die Stadt um satte 30 Prozent gewachsen. Weit mehr als der Bundesschnitt. Hier steigen nicht nur die Mieten, sondern auch der Wohlstand.

Berlin ist also eher ein bisschen italienisch: Wirtschaftswachstum geht auch trotz Politik. Gut regiert zu werden, mag in München oder Hamburg zu den Standortvorzügen zählen, in der Hauptstadt zählt auch nach dreißig Jahren Wende und etwa fünfzehn Jahren Gentrifizierung eher das Ungezähmte und Widerspenstige als besonderer Vorzug. 

Meistens jedenfalls. Womit wir, schlussendlich, bei der Wahl angekommen wären. Anders als Landtagswahlen in Bayern oder NRW spielt die Wahl zum Abgeordnetenhaus keine Rolle für die Machtverteilung im Föderalismus. Berlin fungiert hier auch eher als Trendscout unter den Regionalwahlen. Kein anderes Bundesland dürfte sich binnen einer Wahlperiode zuletzt so stark verwandelt haben. Was für eine Art von Regierung wollen die Berliner also heute – und was heißt das dann doch für den Rest des Landes?  Drei Beobachtungen:

1. So kann es doch nicht bleiben: die CDU-Renaissance

Kai Wegner, der CDU-Spitzenkandidat, wird womöglich nicht Regierender Bürgermeister. Weil die rot-rot-grüne Treue weiter halten könnte. Aber das exzellente Abschneiden der CDU signalisiert dann doch die Warnung einer erwachsener werdenden Wählerschaft: Wir können auch anders. Konservativer und härter zum Beispiel. „Für eine Stadt, die funktioniert“, hatte Wegner zuletzt plakatiert – und das traf einen Nerv. Viele Schulen sind zu klein und zu siffig, Gymnasiasten legen halbe Weltreisen zu zurück, der Wohnungsbau findet entweder nicht statt (Tempelhofer Feld!) oder derart uninspiriert, dass man sich wundert, dass in diese Betonsilos jemand einziehen möchte. Und Silvester in Neukölln wird nicht durch den Verweis besser, dass früher mal die Hafenstraße in Hamburg brannte.

Die CDU regiert mittlerweile (wieder) in Düsseldorf oder Essen. Dass großstädtische Milieus ihr so gar nicht liegen, sie dort nicht den Ton trifft – das stimmt nicht mehr. Berlin ist jetzt ein weiterer Beleg. Sie brauchte nicht mal einen besonders starken Spitzenkandidaten dafür.

2. Die vielleicht allerletzte Chance für die SPD

Man muss Michael Müller einfach mögen: „Ich fahr jetzt wirklich viel Fahrrad und laufe viel, von einem Termin zum anderen“, bekannte der Sozialdemokrat vor Kurzem. „Und was mir da wirklich auffällt: dass die Stadt schmutzig ist.“ Potzblitz! Wo war der Mann all die Jahre? Ach ja, als Bürgermeister im Roten Rathaus. 

Dass am BER über Jahre Steuermillionen verbuddelt wurden, die besser in Kitas oder Unis investiert worden wären, begleitete die regierende SPD mit einer Nonchalance, die über die Jahre fast unerträglich wurde. Das ist nur ein weiteres Beispiel von vielen.

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Die SPD regiert Berlin ohne Unterbrechung seit 2001. Was gut läuft, darf sie sich anrechnen. Was schlecht läuft, muss sie sich ankreiden lassen – und davon gibt es leider deutlich mehr. Das zeigt sich nun auch im bescheidenen Wahlergebnis. Wobei Franziska Giffey alles andere als eine schwache Kandidatin war. Mit Amtswürde ausgestattet, dazu mit bundespolitischer Erfahrung, in der Stadt verwurzelt und als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln über jeden Zweifel erhaben, irgendwelche sozialdemokratischen Wolkenkuckucksheime zu bewohnen. Giffey weiß, wie das echte Leben läuft. 

Doch die Geduld der Berlinerinnen und Berliner mit Politik, die wenig bewirkt, geht zu Ende. Giffey bezahlt es vielleicht mit dem Verlust des Amtes.

3. Politische Innovation? Kreativität? Weltniveau? – Mangelware!

Auch bei dieser Wiederholungswahl blieb der politische Wettbewerb in Berlin leider farblos und uninspiriert. Der Streit um die Verfußgängerzonung einer Innenstadtmeile wie der Friedrichstraße in Mitte markierte schon das Höchste der Gefühle. Meine Güte. 

Stadtplanerisch, wirtschaftspolitisch, gesellschaftlich wirkte die Berliner Debatte im Wahlkampf fürchterlich durchschnittlich. Also irgendwie dann doch beunruhigend deutsch. Man könnte sich so viel abschauen, in Kopenhagen oder Singapur, in Hamburg, Wien oder Vancouver. Man könnte ernsthaft über Visionen wie Olympia nachdenken. Der Berliner schaut aber lieber auf seinen Nabel.

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Disruptive Ideen, urbane Kreativität und neue politische Köpfe, die sie repräsentieren und vorantragen und ins Land hinaus tragen könnten, sucht man vergebens. Die Grünen, die all das gerne für sich in Anspruch nehmen würden, kommen über Tempo 30 und Enteignung nicht hinaus. Die FDP wirkt allzu biestig-liberal, so gar nicht freigeistig und großstädtisch-leger.

Anders gesagt: Berlin ist immer noch aufregend. Nur die Berliner Politik ist es nicht.

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