Leistungsschutzrecht Verlage in der Google-Falle?

Google soll für die kommerzielle Nutzung von Zeitungsinhalten im Internet zahlen. Die Verlage pochen deshalb auf die Durchsetzung des geltenden Leistungsschutzrechts. Doch ein Gericht könnte das Gesetz jetzt kippen.

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Im Streit um die Darstellung von Presseinhalten bei Suchmaschinen fällt nun vor dem Landgericht Berlin eine Entscheidung. Quelle: dpa

Berlin Das Leistungsschutzrecht (LSR), mit dem Presseverleger Geld für die gewerbliche Nutzung ihrer Inhalte einfordern können, ist ein Thema, dass die Politik fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Kein Wunder, denn das Gesetz ist seit seinem Inkrafttreten im Sommer 2013 unter heftigem Beschuss.

Die amtierende Bundesregierung hat es nur zum Teil zu verantworten. Denn beschlossen wurde es 2013 unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung. Nach dem Regierungswechsel wanderte die Zuständigkeit zu den Sozialdemokraten. Justizminister Heiko Maas (SPD) obliegt es nun, mit der Kritik an dem Gesetz umzugehen. Dass er mit dem in das Urheberrecht eingefügten „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ auch nicht zufrieden ist, hat er schon kundgetan, als er im vergangenen Jahr im Handelsblatt-Interview freimütig einräumte, dass die gesetzlichen Grundlagen kein Problem lösten. „Wir sind dabei, das zu evaluieren“, sagte er damals.

Maas gab damit wieder, was Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich das Leistungsschutzrecht „hinsichtlich der Erreichung seiner Ziele“ zu überprüfen. Das ist bisher aber nicht geschehen. Dabei ist schon lange offenkundig, dass das Gesetz die gewünschte Wirkung verfehlt.

Die Regelungen räumen zwar Verlagen das ausschließliche Recht ein, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Suchmaschinenbetreiber wie Google sollen demnach für die Nutzung von sogenannten Snippets Lizenzen erwerben. Dabei handelt es sich um Textauszüge und kleine Vorschaubilder bei Google, die auf Inhalte der Verlagsgruppen verweisen. Der Konzern will dafür aber nicht zahlen, weil aus seiner Sicht die praktizierte kostenfreie Nutzung der Verlagsinhalte durch den Wortlaut des Leistungsschutzrechtes gedeckt sei.

Nachdem im August 2014 etliche Verlage innerhalb der VG Media eine „Gratiseinwilligung“ erteilten, weil sie sonst nicht mehr mit Snippets dargestellt worden wären, zog die Verwertungsgesellschaft vor das Landgericht Berlin, um letzte Klarheit über den urheberrechtlichen Aspekt zu bekommen. Am Dienstag soll das Urteil verkündet werden. Die Verwertungsgesellschaft VG Media, die im Auftrag der Verlage, darunter Axel Springer, Handelsblatt, Funke und Dumont, Geld für die Nutzung von Verlagsinhalten eintreiben möchte, hofft auf eine Entscheidung in ihrem Sinne, damit sie von Google Schadenersatz verlangen kann.

Das ist allerdings höchst ungewiss. Verschiedene Urteilsszenarien sind möglich.


„Wäre nicht überraschend, wenn Gericht das bestehende Recht kippt“

Auch, dass die Verlage weiter leer ausgehen, ist nicht ausgeschlossen. „Auf hoher See und vor Gericht ist man zwar bekanntlich in Gottes Hand, wie es heißt, mich würde es aber wirklich nicht überraschen, wenn das Berliner Landgericht das bestehende Leistungsschutzrecht kippt“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek, dem Handelsblatt. Denn es sei fraglich, ob es europarechtlich korrekt zustande gekommen sei. Die Grünen-Medienexpertin Tabea Rößner führt das auf zahlreiche Mängel im Gesetz zurück. „Von Anfang haben wir kritisiert, dass dieses Gesetz handwerklich schlecht gemacht ist und vor allem die Gerichte beschäftigen wird. Genau dies ist auch eingetreten“, sagte Rößner dem Handelsblatt.

Zweifel wurden denn auch schon im Februar in der mündlichen Verhandlung des Verfahrens laut. Richter Peter Scholz bemängelte seinerzeit, dass das Gesetz der EU-Kommission nicht vorgelegt worden sei. „Wir sind der Meinung, dass das Gesetz hätte notifiziert werden müssen.“

Zum Ende der schwarz-gelben Koalition im Bund hatte sich das Justizministerium aber gegen die Einbeziehung Brüssels – die Notifizierung – entschieden, weil es sonst kaum möglich gewesen wäre, das LSR noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 zu verabschieden. Die Mitgliedstaaten der EU müssen Gesetzentwürfe in Brüssel vorlegen, wenn diese „technische Vorschriften“ enthalten, die speziell auf „Dienste der Informationsgesellschaft“ zielen. Damit soll verhindert werden, dass zu viele nationale Regeln bei grenzüberschreitenden Onlinediensten einen europäischen Binnenmarkt unmöglich machen würden.

Das Berliner Landgericht könnte daher urteilen, dass eine EU-Befassung mit dem Gesetz erforderlich gewesen wäre. Damit könnten wichtige Aspekte des Gesetzes für nicht anwendbar erklärt werden. Die aktuellen Regelungen müsste dann durch ein neues Gesetz ersetzt werden, was sowohl für die Politik als auch die Verlage eine herbe Niederlage wäre.

Denkbar ist auch, dass das Gericht die abschließende Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) überlässt, was ebenfalls ein ziemlicher Rückschlag für Politik und Verlage wäre. Denn das würde ein Urteil um Jahre verzögern. Selbst wenn dann im Sinne der Verleger geurteilt würde, hätten sie wohl das Nachsehen. Das legt zumindest ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom März 2015 nahe. Es kommt zu dem Schluss, dass eine nachträgliche Notifizierung des Gesetzes nicht möglich sei, Verstöße gegen das Gesetz könnten dann auch nicht mehr sanktioniert werden.

Besser für die Verlage wäre, wenn das Gericht bestimmte Bestimmungen des Gesetzes konkreter fassen würde. Einer der Knackpunkte ist etwa die Ausnahme, bei der Suchmaschinen wie Google die Texte ohne Zustimmung der Verlage veröffentlichen können. Hier spricht das Gesetz schwammig nur von „kleinsten Textausschnitten“. Unklar ist, um wie viele Wörter es sich dabei handelt. Eine dem Gericht vorgelagerte Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt – eine Spezialinstanz für Rechtsstreitigkeiten dieser Art – hatte die Grenze, unterhalb derer Presseerzeugnisse auch ohne Lizenz genutzt werden dürfen, bei sieben Worten festgelegt.

Google lehnt den Bezug von kostenpflichtigen Snippets jedoch kategorisch ab, weil sich der von der Verwertungsgesellschaft Media aufgerufene Tarif nicht rechne. Derzeit fordern die Verlage eine Beteiligung von rund sechs Prozent am Google-Umsatz, den sie in Deutschland auf jährlich rund fünf Milliarden Euro bezifferten. Das ist für den Internetriesen aber nicht akzeptabel. Google argumentiert vielmehr, man helfe Nutzern bei der Orientierung im Netz, leite sie auf die Seiten von Verlagen weiter und schaffe so erheblichen Mehrwert – für kleine wie große Verlage.


„Sehenden Auges in die Durchsetzungsprobleme hineingerannt“

Interessant dürfte daher sein, wie das Landgericht die Sache sieht. In der mündlichen Verhandlung deutete sich eine Lösung an. Richter Scholz bezeichnete eine Wort- oder Zeichengrenze als sinnvoll und könnte hier einen Vorschlag machen. Ein Erfolg für die Verlage wäre es also, wenn das Gericht das Gesetz für anwendbar hält und einen Tarif vorgibt. Die Verlage hoffen dann allerdings auch, dass das Gericht Google insbesondere zu seinen relevanten Deutschland-Umsätzen zu Transparenz verpflichtet, um eine Konkretisierung und Bezifferung des Schadensersatzanspruchs zu ermöglichen.

Eine genaue Bezifferung ist derzeit deshalb schwierig, da Google als größter Nutzer von Presseinhalten aus vielerlei Gründen keine detaillierten Auskünfte über seine in Deutschland erwirtschafteten Umsätze mit der Suchmaschine offenlegt. Die Suchmaschine wird beispielsweise von der Google Inc. betrieben, ein Großteil der Erlöse jedoch über Google Ireland bilanziert. Das Gericht könnte allerdings auch das Gesetz für anwendbar erklären, ohne Google zu mehr Umsatz-Transparenz zu verpflichten. Das müssten die Verlage dann wohl in einem gesonderten Verfahren einzuklagen versuchen.

Nicht nachvollziehbar ist für Kritiker, dass der Gesetzgeber die diversen Unwägbarkeiten und Ungenauigkeiten im Leistungsschutzrecht bislang nicht geändert hat. Zumal das Grundproblem darin besteht, dass das Gesetz nicht genau definiert, was vom Leistungsschutz gedeckt ist und wann Geld fließen sollte. Darauf hatten Experten schon vor Jahren hingewiesen.

Sowohl die Interessenvertreter der Zeitungsverleger als auch die politischen Akteure seien „sehenden Auges in die jetzt für jedermann offenbar gewordenen Durchsetzungsprobleme hineingerannt“, meinte etwa der Berliner Rechtsprofessor Axel Metzger bei einem öffentlichen Fachgespräch zum Thema Urheberrecht im Dezember 2014. Aus seiner Sicht wäre daher der ursprünglich als Regelungsalternative diskutierte Vorschlag, nicht ein neues Verbotsrecht zu schaffen, sondern eine vergütungspflichte Nutzung kleiner Textausschnitte durch Suchmaschinen und News-Aggregatoren einwilligungsfrei zu gestatten, „vorzugswürdig“ gewesen. Metzger verwies seinerzeit auf eine Neuregelung in Spanien und empfahl, die deutsche Regelung „bei nächster Gelegenheit“ ersatzlos zu streichen oder im Sinne der skizzierten Alternative zu überarbeiten.

Die spanische Regelung, die Anfang 2015 in Kraft getreten ist, verlangt von Internetanbietern die Zahlung eines Entgelts an Verlage, wenn sie Snippets aus deren Texten anzeigen. Google konterte allerdings das Gesetz mit einer drastischen Gegenmaßnahme. Der Konzern stellte seinen Dienst Google News in Spanien komplett ein. Dies hat seinerzeit dazu geführt, dass die Webseiten spanischer Verlage einen Besucherrückgang zwischen 10 und 15 Prozent zu verzeichnen hatten.

Der Rechtswissenschaftler Malte Stieper von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sah damals in dem Fall Spanien einen weiteren Beleg für die Untauglichkeit der deutschen Regelung. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass in erster Linie kleinere Unternehmen von dem Leistungsschutzrecht beeinträchtigt würden. „Marktstarke Anbieter von Suchmaschinen wie Google sind eher bereit, Presseerzeugnisse aus ihren Trefferlisten zu entfernen oder die Nachrichtensuche ganz einzustellen, als eine kostenpflichtige Lizenz zur Anzeige von Snippets zu erwerben“, erklärte Stieper im März 2015 bei einer Anhörung im Bundestag.

Thomas Hoeren, der an der Universität Münster Informations- und Medienrecht lehrt, ging noch weiter. Er meinte in einer anderen Anhörung, die Verleger würden ihre Marktmacht gegenüber Suchmaschinenbetreibern überschätzen. Denn: „Weigert sich insbesondere ein Global Player wie Google, Nutzungsrechte zu erwerben und verzichtet dafür lieber auf die Verlinkung der Inhalte, hat das drastische Auswirkungen auf die Einnahmen der Verleger.“ Sie seien insbesondere auf Einnahmen aus der auf der eigenen Homepage geschalteten Werbung angewiesen.

„Wird von Seiten der Suchmaschinenbetreiber ganz von der Verlinkung der Inhalte eines Verlegers abgesehen“, so Hoeren, „sinken deren Einnahmen, weil die von ihnen bereitgestellten Informationen über die Suchmaschinen schwerer zu finden sind sowie Nutzer nicht mehr über Social Media auf ihre Inhalte aufmerksam gemacht werden.“ Daher seien die Verlage gezwungen, Gratislizenzen zu erteilen. Damit laufe aber die gesamte deutsche Regelung ins Leere, betonte der Experte und mahnte, Konsequenzen für das Leistungsschutzrecht zu ziehen.


Grüne: Koalition bei Leistungsschutzrecht „völlig orientierungslos“

In diese Richtung denken schon seit einiger Zeit die Grünen. „Es hat sich gezeigt, dass dieses Gesetz die Finanzierung von Journalismus nicht sichern kann“, sagte deren Wirtschaftsexperte Janecek dem Handelsblatt. „Wir brauchen andere Geschäftsmodelle, um die Bezahlung von gutem Journalismus zu sichern – ein fehlerhaft konstruiertes Leistungsschutzrecht hilft uns hier nicht weiter.“

Janecek warf der Großen Koalition vor, beim Leistungsschutzrecht „völlig orientierungslos“ zu agieren. Er nahm dabei Bezug auf die Anfang April gelieferten Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. „Die Antworten der Bundesregierung grenzen an eine Unverschämtheit, zur angekündigten Evaluierung des Leistungsschutzrechts konnte sie schlicht keine Aussage treffen – und dies kurz vor dem Ende der Legislaturperiode“, kritisierte Janecek. „Ein neues Gesetz wird demnach nötig sein – die Große Koalition scheint dem aber nicht gewachsen.“

Die Grünen-Medienpolitikerin Rößner hält ohnehin nichts davon, ein schlecht gemachtes Gesetz zu überarbeiten. Stattdessen sollte die Bundesregierung „dringend die Evaluierung vorlegen, die sie seit Beginn der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode angekündigt hat“, sagte sie. Die „hauptsächlichen Mängel“ des Leistungsschutzrechts liegen aus ihrer Sicht in der „falsch angelegten inhaltlichen Konzeption“. Das Gesetz verfolge den falschen Ansatz und löse nicht die eigentlichen Probleme, nämlich wie zukünftig Journalismus im Netz finanziert werden könne.

Auch der einstige EU-Digitalkommissar Günther Oettinger erkannte frühzeitig, „dass das gut gemeinte deutsche Leistungsschutzgesetz nicht greift oder nur eingeschränkt greift“. Wichtig sei daher ein gemeinsamer Rechtsrahmen für Europa. Gäbe es eine europäische Standardsetzung mit Sanktionen, „würde sie beachtet“, hatte der CDU-Politiker 2015 schon gesagt.

Oettinger, der inzwischen EU-Haushaltskommissar ist, hat in diesen Tagen seine Position noch einmal bekräftigt und dafür plädiert, die Reform des europäischen Urheberrechts auf höchster politischer Ebene zu behandeln. Die geplante Reform sei „von höchster strategischer Bedeutung für die nächsten zehn Jahre und muss zur Chefsache werden“, sagte der CDU-Politiker kürzlich dem Handelsblatt. „Wenn wir das jetzt nicht hinbekommen, werden wir uns wundern, wie stark die Vielfalt in der europäischen Presse in den nächsten zehn Jahren leiden wird“, warnte er. Die europäische Verlagslandschaft sei in ihrer Vielfalt „wie eine Serengeti - sie bedarf eines besonderen Schutzes“.

Oettinger hatte noch als Digitalkommissar im September unter anderem ein europäisches Leistungsschutzrecht für Verlage vorgeschlagen. Die Brüsseler Behörde trifft aber auf großen Widerstand in ihrem Vorhaben, Internetkonzerne wie Google oder Facebook dazu zu zwingen, Presse-Verlage und Musikindustrie besser für die Nutzung ihrer Erzeugnisse zu entlohnen. Der Rat der Mitgliedsstaaten und das Europaparlament diskutieren die Vorschläge derzeit, ob sie die nötigen Mehrheiten in den beiden Institutionen finden, ist ungewiss. Er wolle für sein Konzept „kämpfen“, sagte Oettinger. Er habe dafür die volle Unterstützung des Kommissionspräsidenten: Jean-Claude Juncker erwarte, dass „wir unseren Vorschlag mit allen Kräften vertreten“.

Unterstützung signalisierte auch die Bundesregierung. Auf die Frage, ob er ein europäisches Leistungsschutzrecht für geeignet halte, um der Marktmacht von Google Paroli zu bieten und die Interessen der Verlage angemessen zu vertreten, antwortet Justizminister Maas im vergangenen Jahr im Interview mit dem Handelsblatt: „Ja. Ich halte es für richtig, die grundsätzliche Frage, wie wir für mehr Gerechtigkeit im Netz sorgen können, auch auf europäischer Ebene anzugehen. Dabei sollten wir allerdings die Lehren aus der Situation in Deutschland einfließen lassen.“

Wie auch immer das Berliner Gericht am Dienstag entscheidet, Google und die Verlage dürften den Kampf fortsetzen. Beide Seiten haben signalisiert, bis zur letzten Instanz zu gehen. Während der US-Konzern einen Präzedenzfall vermeiden möchte, heißt es aus dem Kreis der Verlage: „Es ist klar, dass wir weiterklagen würden.“

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