Jetzt also doch, Deutschland liefert Kampfpanzer an die Ukraine. Bei Verteidigungspolitikerinnen und Politikern in Berlin sorgt die Entscheidung für den Leopard-2 über die Fraktionen hinweg für Erleichterung. Auch andere Nato-Partner wollen nachziehen.
Entscheidend dürfte am Ende dreierlei gewesen sein: Erstens hatten die USA zuvor ebenfalls angekündigt, doch noch ihre Abrams-Panzer zu schicken. Zweitens hatte es hinter den Kulissen in den vergangenen Tagen enge Abstimmungen der Bundesregierung mit den Nato-Partnern gegeben. Und drittens war der Druck erheblich gewachsen, spätestens nachdem Polen am Dienstagmittag offiziell die Lieferung ihrer Leopard bei Deutschlands Regierung beantragt hatte.
Bei einem Nato-Treffen am vergangenen Freitag hatte es noch keine Entscheidung über den Leopard gegeben. Hinter den Kulissen der Ampel-Koalition diskutiert man jetzt die Frage, ob Schäden durch die Verzögerungen entstanden sind. Ein Lager lobt den Bundeskanzler, weil er für eine breite Basis an Bündnispartnern gesorgt und die US-Amerikaner zur Teilhabe bewogen habe. Die andere Seite glaubt, Scholz habe vor allem dem internationalen Druck nachgegeben und lasse Deutschland trotz später Entscheidung als zögerlich dastehen.
Mit Genugtuung reagierte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses auf die Entscheidung. Von einer „erlösenden Nachricht“ sprach Marie-Agnes Strack-Zimmermann gegenüber der WirtschaftsWoche. Auf die Frage, was die Lieferung für den russischen Angriff bedeute, sagte die FDP-Politikerin: „Die Entscheidung wird auf russischer Seite zunächst nichts ändern. Die kommen erst einmal in die Defensive.“ Trotzdem werde Russlands Präsident Wladimir Putin auch jetzt kaum einen „Kriegseintritt Deutschlands propagieren“, sagt Strack-Zimmermann.
Wie es jetzt weitergeht
Mit der Entsendung der Leopard werden nun zum ersten Mal Schützenpanzer und Kampfpanzer in der Ukraine eine Einheit bilden, mit der die Armee russische Linien durchbrechen kann. Nachdem zu Beginn der Invasion der mobile Widerstand im Vordergrund stand, etwa mit Panzerfäusten, im Verlauf des Krieges die strategische Verteidigung mit Flugabwehr und Artillerie an Relevanz gewann, bildet der Leo in Verbindung mit deutschen Marder- und US-amerikanischen Bradley-Panzern nun den Beginn von Phase 3: Die Ukraine kann die strategische Offensive einleiten. Sie gilt als wichtiger Schritt, um einer russischen Frühjahrsoffensive zuvorzukommen.
So viele Leopard-2-Panzer haben die europäischen Nato-Staaten
Die deutsche Bundeswehr hat ihre älteren Leopard-Panzer ausgemustert oder an andere Länder abgegeben. Darunter fallen Modelle des Typs 2A4, aber auch der Leopard-1-Generation. Von den neueren Modellen hat sie rund 320, die genaue Zahl wird aber geheim gehalten.
Die Niederlande haben 18 Leopard-2A6-Panzer aus Deutschland geleast. Diese sind Teil des deutsch-niederländischen Panzerbataillons und im niedersächsischen Bergen-Hohne stationiert.
Eine genaue Anzahl der Leopard-Panzer geben Verteidigungsministerium, -kommando und die für den Einkauf zuständige Verwaltungsbehörde in Dänemark nicht preis. Jedoch wurden 14 Panzer laut Militärangaben im September erstmals auf einen internationalen Einsatz nach Estland geschickt.
Finnland ist noch kein Nato-Mitglied, hat allerdings signalisiert, einige Leopard-Panzer an die Ukraine liefern zu können. Nach Angaben des finnischen Verteidigungskommandos besitzen die Finnen rund 200 Leopard-2-Panzer.
Laut Verteidigungsministerium hat Norwegen im Jahr 2001 52 gebrauchte Leopard 2A4 von den Niederlanden gekauft. Einige davon sind im Einsatz, andere werden als Ersatzteillager verwendet oder sogar verschrottet. Wie viele Panzer genau einsatzfähig sind, sagte das Ministerium nicht.
Aus Schweden gibt es keine Angaben zur Anzahl der Leopard-Panzer. Allerdings gilt es als gesichert, dass Schweden mehr als 100 Panzer des Typs Leopard besitzt.
Griechenland hat eine im Vergleich große Zahl an Leopard-Panzern: So gibt es 170 vom Typ 2HEL, 183 vom älteren Typ 2A4 und 500 vom Typ 1A5 aus der vorhergegangenen Leopard-Generation. Die hohe Anzahl von Panzern liegt im ständigen Konflikt mit der Türkei begründet.
Das türkische Verteidigungsministerium äußert sich nicht zu Stückzahl und Bewaffnung. Nach Zahlen des International Institute for Strategic Studies (IISS) besitzt die Türkei 316 Leopard 2A4, 170 Leopard 1A4 und 227 Leopard 1A3.
Polen besitzt laut polnischem Verteidigungsministerium 247 Leopard-Kampfpanzer in den Versionen 2A4 und 2A5 sowie in der modernisierten Version PL.
Die Slowakei besitzt einen Leopard-Panzer. Bis Ende 2023 sollen es im Rahmen eines Ringtauschs insgesamt 15 werden. In die Ukraine wird davon wohl keiner geliefert.
Deutschland stellt Tschechien im Rahmen eines Ringtauschs 14 Leopard 2A4-Kampfpanzer und Bergepanzer Büffel zur Verfügung. Diese sind der Ersatz für an die Ukraine gelieferte Panzer sowjetischer Bauart. Aktuell besitzt Tschechien erst einen der 14 Leopard-Panzer. Ministerpräsident Petr Fiala betonte jüngst, dass man bei der Abgabe eigener Militärtechnik an die Grenze der Möglichkeiten gekommen sei.
Ungarn hat laut übereinstimmenden Medienberichten im Jahr 2020 zwölf Panzer vom Typ Leopard 2A4 vom Hersteller Kraus-Maffei gemietet, die Ausbildungszwecken dienen sollen. Dazu sollen in diesem Jahr 44 neue Leopard 2A7 kommen. Eine Lieferung an die Ukraine ist aufgrund der guten Beziehungen zwischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr unwahrscheinlich.
Vom portugiesischen Verteidigungsministerium gibt es keine Auskunft über die Leopard-Bestände. Laut Medienberichten haben die portugiesischen Streitkräfte 37 Leopard 2A6 im Einsatz.
Spanien nennt 347 Leopard-Panzer sein eigen. Davon gehören 108 zur älteren Variante 2A4 und 239 Leoparden zum Typ 2A6. Jedoch sind einige Panzer nicht einsatzbereit - manche sollten in die Ukraine geliefert werden. Nachdem es wochenlang Spekulationen über diese Lieferung gab, sagte Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles im August, die Panzer seien in „einem absolut desolaten Zustand“. Die Lieferung kam nicht zustande.
Albanien, Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Montenegro, Nordmazedonien, Rumänien, Slowenien, das Vereinigte Königreich und Zypern.
Schon kurz vor der Panzer-Entscheidung war bereits die nächste große Waffendebatte am Horizont aufgetaucht. Vergangene Woche hatten Politiker aus der Ukraine sowie der deutschen Opposition gefordert, nun müsse die Bundesregierung auch Tornado-Kampfflugzeuge liefern. „Perspektivisch wollen die Amerikaner die Ukraine dabei unterstützen, ihr Territorium von Russland zurückzuerobern, was auch Angriffe auf die Krim mit einschließen kann“, erklärt Experte Georg Löfflmann, Professor für War Studies an der Warwick-Universität. In diesem Zusammenhang denken die USA wohl auch über die Lieferung weitreichender Artilleriemunition nach. Jagdbomber wie der F16 oder der Tornado seien ein weiteres Mittel der Wahl, um dieses Ziel zu erreichen, erläutert Löfflmann.
Fliegerisch sollten etwa die deutschen Tornado-Kampfflugzeuge für ukrainische Piloten kein Problem sein, sagt ein Experte aus der Branche. Die Wartung der Jets könne allerdings Probleme bereiten, weil das nötige Knowhow der Ukrainerinnen und Ukrainer fehle. „Deutschland müsste diese dann anbieten, etwa auf einem Stützpunkt nahe der Ukraine, oder die Flieger wären innerhalb weniger Tage alle am Boden“, heißt es in der Rüstungsbranche.
Auch für den Leopard-2 erwartet die Industrie nun schnell einen Plan von der Bundesregierung. „Die Entscheidung war die eine Sache“, sagt ein führender Rüstungsmanager. „Jetzt muss die Regierung verstehen lernen, dass dieser Krieg noch eine ganze Weile weitergehen wird und wir deshalb die nötige Logistik und Munition für die Panzer bereitstellen müssen.“ Das könne aber nur rechtzeitig funktionieren, wenn sofort die nötigen Aufträge zur Produktion erteilt würden.
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