Letzte Rede als Wirtschaftsminister Gabriels starker Abgang

Die letzte Rede Sigmar Gabriels als Wirtschaftsminister ist ein Plädoyer für die liberale Demokratie. Der scheidende SPD-Chef sendet einen Appell für Fairness im Wahlkampf – und warnt vor dem Auseinanderbrechen der EU.

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Der SPD-Vorsitzende hat seine letzte Rede als Wirtschaftsminister im Bundestag gehalten. Quelle: Reuters

Berlin Einen Hauch Wehmut gestattet sich Sigmar Gabriel in seiner letzten Rede als Bundeswirtschaftsminister dann doch. „Ich gebe zu, dass es mich gerührt hat“, dankt er Norbert Lammert (CDU). Der Bundestagspräsident hatte Gabriel gerade seinen „großen Respekt für die Entscheidung“ gezollt, die Kanzlerkandidatur und den SPD-Vorsitz Martin Schulz zu überlassen. „Ich möchte Ihnen ausdrücklich zur Souveränität gratulieren, mit der Sie diese Entscheidung getroffen haben“, lobt Lammert Gabriel, bevor der seine Abschiedsrede im Bundestag beginnt.

Doch Gabriel wäre nicht Gabriel, wenn er der Rührung wirklich Raum geben würde. „Ein wenig kann es einem auch zu denken geben, wie viel Applaus man für einen Rücktritt bekommen kann“, sagt der 57-Jährige mit Spottlust im Blick: „Eine gewisse Erlösung ist auch zu spüren – auf beiden Seiten.“

Auf der Tagesordnung steht an diesem Tag die alljährliche Regierungserklärung zur Lage der Wirtschaft. Die laufe so gut wie kaum je in der Nachkriegszeit, mit dem höchsten Stand an Arbeitsplätzen, 43 Millionen. Ein Land im Wohlstand zeichnet Gabriel, das jedoch vor einer großen Gefahr stehe: der des Auseinanderbrechens der Europäischen Union. „Die französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr sind bittere Schicksalswahlen für Europa“, sagt Gabriel, der ab Freitag Außenminister sein wird.

Wenn es nach dem Brexit den Europafeinden ein weiteres Mal gelänge, in den Niederlanden oder Frankreich Erfolge zu verzeichnen, „dann droht uns wirklich das Auseinanderfallen des größten Zivilisationsprojektes des 20. Jahrhunderts.“

Deutschland wäre dann als ein Land, das auf internationale Kooperation setzt, „isoliert und einsam“, sagt Gabriel: „Man kann die Lage gar nicht dramatisch genug empfinden.“ Protektionismus könne nie ein Erfolgsrezept sein. „Dieses Kommando "Schotten dicht" ist das Kommando eines Kapitäns auf einem sinkenden Schiff“, sagt er. Das wisse er als passionierter Segler genau.

Gabriel ruft sodann zu Anstand und Fairness für den Bundestagswahlkampf auf. „Wir sind hier politische Wettbewerber, aber wir sind keine politischen Feinde“. Aber: „Da kommen welche, die sich uns zum Feind gemacht haben“, sagt er mit Blick auf die rechtsnationale Partei Alternative für Deutschland (AfD). Demokraten müssten „nicht über jeden Stock springen, den uns jene hinhalten, die zurück wollen mindestens in die Zeit hinter Willy Brandt und manche gar hinter Konrad Adenauer.“

Gute Jahre seien seine Zeit als Wirtschaftsminister gewesen, zieht er dann Bilanz: Der Mindestlohn habe vier Millionen Menschen ein höheres Einkommen beschert, die Regierung habe Tarifverträge, Kommunen und Länder finanziell gestärkt, die Nettolöhne seien auf breiter Front gestiegen. Klar grenzt er sich gegen den Koalitionspartner CDU/CSU ab: 7,5 Millionen Menschen verdienten weniger als zehn Euro pro Stunde, 18 Prozent arbeiteten im Niedriglohnsektor. „Wir sind weit gekommen, aber nicht weit genug“ auf dem Weg, „Wohlstand für alle“ zu schaffen. Das geflügelte Wort des ersten Nachkriegs-Wirtschaftsministers Ludwig Erhard (CDU) reklamiert Gabriel damit einmal mehr für die Sozialdemokratie.

Auch sein Dauerstreit mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darf nicht fehlen: Vorrang für Investitionen statt Haushaltsüberschüsse, verlangt der scheidende SPD-Chef. „Wenn der Bund mit seinen Anleihen 1,3 Milliarden verdient, macht Schuldentilgung wenig Sinn“, meint Gabriel. Deutschland hätte einst die beste Infrastruktur der Welt gehabt, da müsse das Land wieder hin.

Ja, es müsse auch Entlastungen der Bürger geben, aber nicht „für Millionäre“ durch Steuersenkungen, sondern eher durch niedrigere Sozialabgaben, was allen Arbeitnehmern zu Gute käme. Gabriel, der Wahlkämpfer warnt vor „gigantischen Versprechen“:  Die liberale Demokratie gewänne nur dann Vertrauen zurück, „wenn wir unsere Versprechen auch einhalten können.“

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