Die Abgreifer
Wer Geld ohne Gegenleistung kassiert, wird bequem. Und gewöhnt sich so sehr an die Bequemlichkeit, bis es mit der Beweglichkeit nicht mehr weit her ist. Das ist zwar das Gegenteil dessen, was eine alerte Marktwirtschaft wollen muss, aber es ist nicht selten das, was unsere soziale Marktwirtschaft produziert hat – Subventionsbezieher.
Weltmarktführer und Industrie-Champions feiern im Rampenlicht Erfolge, um backstage um Staats-Stütze zu betteln.
Anstrengungen werden vermieden
Egal, ob in Berlin oder Brüssel: Stramm organisierte Spesenritter flanieren auf parlamentarischen Abenden, um der Politik eine Happy Pill namens Beihilfe, Zuschuss, Bürgschaft oder Förderbonus abzuschwatzen. Die stolzen deutschen Autokonzerne waren sich für eine milliardenschwere Abwrackprämie nicht zu schade, es gibt Geld für die Pflege von Streuobstwiesen, und die Filmindustrie wählt Schauplätze anhand von spendablen Förderfonds.
Niemand wagt auch nur noch zu fragen, ob das Geld – vergangenes Jahr laut Institut für Weltwirtschaft 163 Milliarden Euro – sinnvoll, gar produktiv angelegt ist. Es wäre zu anstrengend, sich gegen den Lobbyistengesang Gehör zu verschaffen.
Die Traditionsreichsten: Bauernverband
Die Neuesten: Solarindustrie; Gaskraftwerketreiber
Der Erfolgreichste: Matthias Wissmann
Das Ökodiktat
Der Beobachter sollte sich von der libertären Haarfarbe Claudia Roths oder den ordnungspolitisch klarkantigen Koteletten Cem Özdemirs nicht täuschen lassen: Unter der individuellen Kopftracht der Grünen verbirgt sich eine Denke, in der oft und gern von der Gesellschaft als Ganzem die Rede ist. So, als könne ein grüner Philosophenkönig noch immer das Gute für alle und von oben dekretieren, anstatt den Individualismus einfach mal ein Fest feiern zu lassen. Die grüne Vernunft kippt zügig ins Dogmatische.
Verantwortung der Bürger
Wir Bürger können dann nicht nur, wir müssen: das Klima retten und nachhaltig einkaufen, gesund essen und besonnen wirtschaften, uns CO2-frei fortbewegen und so weiter und so öde. Niemand hat diesen Ökocalvinismus und die Selbstkasteiung präziser auf den grünen Punkt gebracht als der amtierende schwäbische Philosophenkönig Winfried Kretschmann. Er prägte das Wort von der "Innovationspeitsche". Auch er hat, das nur nebenbei, die Haare schön.
Die Überzeugtesten: Freiburgs Ökoelite
Die Bürokratischsten: Brüssler Politiker
Die Rundum-Versorger
Es bleibt eine Mär: Der Sozialstaat schrumpft. Nein, er bläht sich auf und erreicht in beinahe jedem Jahr neue Rekordstände. Jeder dritte Euro des Bruttoinlandsproduktes fließt inzwischen in Sozialleistungen. Daran konnten auch die Hartz-Gesetze nichts ändern. Die staatliche Fürsorge sollte Menschen in Not einst gegen existenzielle Lebensrisiken absichern. Heute zahlt das Jobcenter seinen Kunden Warmwasserzuschüsse, die je nach Lebensalter und prognostiziertem Duschverhalten in sechs verschiedenen Stufen erhältlich sind.
Der Hirte und seine Schafe
Extra-Zuschüsse gibt es für den Fernseher in Kevins erster eigener Wohnung, der Eintritt ins Museum ist ohnehin gratis. Neulich urteilte ein Sozialgericht, bei der Berechnung der angemessenen Wohnungsgröße müsse die Anzahl der im Haushalt lebenden Vierbeiner berücksichtigt werden. Je mehr Schäferhunde, desto mehr Stütze. In Deutschland liebt man den Einzelfall.
Die liberalere Grundidee dagegen, den Menschen eine Pauschale zu gewähren, nach der sie ihre Lebensplanung gestalten können, verstößt gegen das Gerechtigkeitsempfinden. So pflegt der Sozialstaat seine Schäfchen. Und hält sie in enger Abhängigkeit. Das ist die Paradoxie des deutschen Sozialrechts: Je mehr es mit Geld vor Armut schützen will, desto mehr Elendskarrieren erzeugt es. Auch nach den Hartz-Reformen noch.
Der Penetranteste: Klaus Ernst
Der Beharrlichste: Frank Bsirske
Der Wankelmütigste: Sigmar Gabriel
Die Kultur-Betoner
Die Berliner Autorin Kathrin Passig hat jüngst in der "Zeit" vorgeschlagen, man solle Kultur "ähnlich wie Nachtischfragen" betrachten: Die Auswahl aus dem breiten Angebot sei Geschmacksache. Das ist hübsch liberal gedacht: Es gibt keine Autorität, die befugt wäre, über Wert und Bedeutung von Kulturprodukten zu entscheiden. Stimmt das, müsste man das deutsche Theatersystem abschaffen.
Es wird nur deshalb subventioniert, weil der Staat unter Berufung auf seinen Kulturauftrag dem Goethe-Stück oder der Nono-Oper einen besonderen Bildungswert zuspricht. Auch anspruchsvolle, schwierige Werke sollen ihr Publikum finden.
Liberalismus taugt nicht als Held
Dass es in Deutschland an die 150 öffentliche Theater gibt, ein Weltkulturunikum, das Ländern, Städten und Gemeinden jährlich gut zwei Milliarden Euro wert ist, liegt vor allem am deutschen Bildungsverständnis. Seit Friedrich Schiller die Schaubühne als „moralische Anstalt“ entdeckte, gelten Kunst und Theater als privilegierte Bezirke des Schönen, in denen das Publikum seine besseren Möglichkeiten erkennt.
Natürlich glaubt heute kein Regisseur mehr, das Theater könne die Zuschauer zu besseren Menschen machen.
Trotzdem gilt die Hochkultur nach wie vor als privilegiertes Medium der Erkenntnis, das vor den Zumutungen des Marktes geschützt werden müsse. Die sogenannten Kulturschaffenden, die von der subventionierten Kultur leben, geben sich zwar gern liberal bis zum Anarchischen, aber der Liberalismus gilt ihnen als Synonym für ökonomistische Verflachung, für ein Denken, das die Kunst an den Kommerz verrät, an das Allzunützliche. Daher sind sie als Redner auf dem Jahrestreffen des BDI bisher noch nicht aufgefallen. Es ist unwahrscheinlich, dass dies passieren wird. Denn der Liberalismus feiert zwar die Freiheit, trotzdem taugt er nicht zur Heroisierung. Er plädiert für Skepsis, für Nüchternheit, für Maß und Mitte – und überlässt der Kunst die Suche nach der blauen Blume.
Der Altlinkeste: Claus Peymann
Der Neurechteste: Botho Strauss
Die Gläubigen
Wenn es um sein Seelenheil geht, so das Credo der Freiheitsfreunde, weiß der Einzelne am besten, was ihm frommt. Ein liberaler Verfassungsstaat schützt daher die Glaubensfreiheit – auch als ein Menschenrecht auf Irrtum. Kein Wunder, dass sich die Kirchen schwertun mit der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen. Ihre Wahrheit gilt ihnen im Zweifel mehr als die Freiheit.
So wurden die Menschenrechte, wie der Theologe Friedrich Wilhelm Graf sagt, noch bis in die Fünfzigerjahre von beiden großen Kirchen in Deutschland als "liberalistische Verirrung" verstanden.
Freiheit durch Autoritäten
Dieser ökumenische Antiliberalismus klingt noch heute nach: Im „linken“ Protestantismus durch die Emotionalisierung der Politik, die den Unterschied zwischen Moral und Religion einebnet, im "rechten" Katholizismus durch die Forderung nach Begrenzung individueller Freiheit, die sich den gottgegebenen sittlichen Werten zu beugen hat. In den Augen der römisch-katholischen Kirche ist der einzelne Christ hingeordnet auf die Gemeinschaft der Gläubigen.
Den modernen Individualismus beschreibt Papst Benedikt XVI. mit einer seiner Lieblingsformeln als "Diktatur des Relativismus". Wahre Freiheit bedürfe der Bindung an Autoritäten: an Ehe, Familie, Staat – und Kirche. Zum Erbe des Liberalismus gehört indessen die Einsicht, dass religiöse Akteure keine Privilegien in Sachen Wahrheit beanspruchen können. Vor der Verfassung sind alle gleich frei, fromme Christen wie liberale Atheisten.
Der Dogmatischste: Papst Benedikt XVI.
Die Moralisierendste: Margot Käßmann
Das Ich
Was war es schön als Kind. Das weiß der erwachsene Mensch. Und sehnt sich zurück in die Zeit, als es außer Zimmeraufräumen und Schularbeiten kaum Pflichten gab. Was kümmerten Krankheit, Magenknurren oder Inflation? Mama pflegte und versorgte uns, und Papa erhöhte jedes Jahr das Taschengeld. Die Vollkasko-Seligkeit unserer Kindheit versuchen wir zu retten – in Form von Glasschädenversicherung oder TÜV-Siegel.
Eigene Verantwortung
Dem Lebensrisiko wollen wir aus dem Weg gehen, es nach einem Schicksalsschlag für die Zukunft ausschließen. Nach einem Schuldigen wird nach einem Unglück und einer Delle im Lebenslauf gesucht, damit nur wir selber es nicht sind, die die Verantwortung übernehmen – für uns.
Wir wollen, dass der Staat jede Ungerechtigkeit beiseite räumt, auch wenn das zur Folge hat, dass die Ungleichheit, die nun mal existiert, gleich mit rasiert wird. Und so verneinen wir Stück für Stück die Erkenntnis, die mit unserer Freiheit verbunden ist: dass wir es sind, die unser Leben leben und dafür sorgen müssen, dass es uns gefällt. Nicht die anderen.
Die Inkonsequentesten: Wir
Die größten Feiglinge: Wir
Die Dünnbrettler
Die FDP will der politische Arm des Liberalismus sein, und doch reicht sie aktuell dem Staatsinterventionismus die Hand. Wer die Freiheit im Namen und ständig laut im Munde führt, aber das Gegenteil bewirkt, diskreditiert die fordernde Idee.
Eine liberale Partei müsste da energisch auftreten, wo die Selbstbestimmung am stärksten bedroht ist. Sogar beim Mittelstandsbauch drangsalierten Durchschnittssteuerzahler ist eine finanzielle Freiheitsberaubung aber kaum zu beklagen. Die gibt’s nur bei ganz armen Schluckern. Die größte Bedrohung liegt in der strukturellen Entmündigung, und die zeigt sich nicht in erster Linie hinter den Türen des Finanzamtes. Die herrscht in der sozialamtlichen Umerziehung vom Staatskunden zum Bittsteller. Alimentierung statt Aktivierung.
Grenzen des Liberalismus
Die Freiheit bedroht heute auch weniger der Obrigkeitsstaat, der alles ausspionieren wollte. Es sind vielmehr die Internet-Kraken, denen die Klickkunden ihre Daten in der Hoffnung auf einen Spielgewinn oder Extra-Rabatt gern hinterherwerfen. Hier stößt auch der Liberalismus an Grenzen, weil er die Freiheit des Einzelnen, zu entscheiden, einschränken müsste zum Schutze der Freiheit, die Entscheidungen noch halbwegs unbeeinflusst zu treffen.
Die FDP hat sich nicht auf die Felder gestürzt, auf denen der Bedarf an Freiheit am größten ist. Sie hat Aufgaben gewählt, die ihr vertraut erschienen, leichter beherrschbar und öffentlichkeitswirksamer: die bekannten Ressorts Wirtschaft und Justiz, die bedeutungslosen Häuser Außen- und Entwicklungspolitik. Aus dem zwangsweise angefallenen Gesundheitsministerium ist der erste Amtsinhaber geflüchtet. Die FDP hat es sich leicht gemacht bei der Wahl Freiheit oder Populismus. Und das ist grundsätzlich der falsche Ansatz für die anspruchsvollste aller Ideologien.
Der Lauteste: Westerwelle
Der Stillste: Rösler