Den Neoliberalen ging es in den 1950er Jahren vor allem darum, diese Voraussetzungen sichtbar zu machen - und die Marktwirtschaft in eine “Gesamtlebensordnung” einzubetten, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage dauerhaft sichert. Für Wilhelm Röpke etwa, den schärfsten Denker und größten Stilisten unter ihnen, kommt die Marktwirtschaft erst dann zu sich, wenn sie auch “moralisch jener Mitte entspricht”, die “das alltägliche bürgerliche Leben” kennzeichnet. Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Gemeinsinn und feste sittliche Normen - das alles sind für Röpke “Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen”.
Röpke hatte nach dem “fast schattenlosen Optimismus des großen liberalen Jahrhunderts von 1814 bis 1914” bereits 1958 nur noch Verachtung übrig für den “Animalismus” einer “Gesellschaft, die ihr Glück in Freizeit, technischen Wundern und ständiger rascher Ortsveränderung auf Zementbahnen sucht”. Er geißelte die “Geist- und Kulturferne der Geschäftswelt“, den “liberalen Anarchismus”, den “Triumph der platten Nützlichkeit”, den “Kult der Produktivität und materiellen Expansion” - und rief seine Leser dazu auf, sich dem “Massenangriff des Betons” mit grünkonservativen Mitteln zu entziehen: Wald, Garten, Hausmusik, Bücher, Kirche, Familie und Kinderaufzucht.
Andere Freigeister, Leopold Kohr vor allem, knüpften lieber an das romantisch-anarchische Erbe des klassischen Liberalismus an, um ihre Selbstbestimmungslust und Lebensgier vor dem sanften Despotismus anonymer Verwaltungsstaaten in Sicherheit zu bringen. Kohr hielt “Größe“ für das schlimmste Krebsgeschwür der Moderne. Er prophezeite die Unregierbarkeit großer politischer Einheiten, warnte vor der Bedrohung individueller Freiheiten durch “Systemzwänge”, machte auf die Relation von Überschaubarkeit und (Eigen-)Verantwortung aufmerksam - und ermunterte seine Leser zur Entdeckung der Langsamkeit in kleinen, fassbaren Lebensräumen.
Die Marktwirtschaft war für die Neoliberalen gleichsam das natürliche Korrelat zu dieser Gesamtlebensordnung: eine “liberale Sozialtechnik”, die Machtdiffusion begünstigt und die Leistungsenergie von Selbstständigen freisetzt, die eine mittelständische Gesellschaft formt, deren Unabhängigkeit vom “Kollossalvormund“ Staat maximal und deren “Gruppenappetit” auf Sicherheit und Genuss sehr mäßig ist (Röpke).
Zu den Vorzügen und Voraussetzungen dieser neoliberalen Marktwirtschaft gehören, so Müller-Armack, eine stabile Währung, also “ein streng gegen allzu große Expansion abgeriegeltes Geld- und Kreditsystem“ und ein “gesunder Betriebsaufbau”, das heißt: eine aktive Wirtschaftspolitik, die mittelständische Firmen fördert, Machtkonzentration verhindert und risikolose Gewinne rigoros abschöpft. Darüber hinaus ist für Müller-Armack selbstverständlich, dass in der Konkurrenzwirtschaft alle Teilnehmer das Prinzip “Eigenverantwortung” beim Wort nehmen und für ihre Verluste geradestehen - und dass Unternehmen ihre Geschäftspolitik nicht an der Maximierung des Gewinnes, sondern an den Bedürfnissen des Konsumenten orientieren. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, gibt Müller-Armack zu bedenken, könne die Marktwirtschaft ihre doppelte Funktion erfüllen: in ökonomischer Hinsicht als eine Art “Signalapparat”, der Knappheitsverhältnisse anzeigt und das Spiel von Angebot und Nachfrage steuert - und in soziologischer Hinsicht als “Organisationsprinzip”, das analog zu den Zielen des politischen Liberalismus eine “extreme Gewaltenteilung“ begünstigt, weil es “durch verstärkte Konkurrenz” wirtschaftliche Macht verteilt.