In Zeiten neuer Regierungsbildung schwebt ja immer ein bisschen Hoffnung auf Veränderung im Raum. Neues Spiel, neues Glück, neue Minister – aber auch neue Standpunkte, Visionen? Zumindest was die Gesellschaftspolitik in Deutschland betrifft, gibt es keinen Grund zur Hoffnung auf bahnbrechende Veränderungen. Wer sollte sie auch durchsetzen?
Wer bei der vergangenen Bundestagswahl seine Wahlentscheidung anhand der unterschiedlichen Positionen in der Familienpolitik ausmachen wollte, hatte die Wahl zwischen Not und Elend. Lassen wir einmal die CSU außen vor, die einzige Partei des deutschen Bundestages, die sich noch Gedanken über die traditionell lebende Mehrheit der deutschen Familien Gedanken macht, denn sie ist nur in einem Bundesland zu wählen. Alle familienpolitischen Ideen der restlichen Parteien im deutschen Bundestag drohen derzeit in einem sozialistisch geprägten Kollektiv zu versinken. Sollte das gern zitierte Attribut der Kanzlerin, „alternativlos“, jemals wirklich zutreffend gewesen sein, dann in der parteiübergreifenden Ausrichtung unserer Familienpolitik. Keine Alternative, nirgends.
Passenderweise bescheinigen die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der Evaluation der familienpolitischen Instrumente der Regierung ein Totalversagen in Sachen Familienpolitik – allerdings aus völlig falscher Motivation. Dass das Finanzministerium gemeinsam mit dem Familienministerium eine Bewertung der Familienpolitik in Auftrag gibt, spricht allein schon für sich: Seit wann soll Familienpolitik sich denn für die Wirtschaft rechnen? Ist das wirklich das Ziel unserer Familienpolitik? Sollten diese Instrumente sich nicht eigentlich für die Familien rechnen? Ein absurder, aber anscheinend weit verbreiteter Gedanke, dass der Staat nur Geld ausgibt, wenn er einen Nutzen daraus ziehen kann. Aber durchaus erhellend. Damit wird die Familie ökonomischen Prozessen untergeordnet.
Erhöhung des Frauenerwerbsanteils, Frauenquoten, flächendeckender Krippenausbau, Ganztagsschulen – all diese Instrumente dienen dem Markt, dem Kapital. Familie wird zum Störfaktor, Kinder werden zur Manövriermasse auf dem Verschiebebahnhof Krippe, Mutterschaft zu einem notwendigen Übel, deren Aufwand auf ein Minimum des Gebäraktes reduziert wird. Frauen als Brutkästen. Fehlt nur noch, dass die Kreissäle in die Kitas verlegt werden. Nicht nur der Mann, auch die Frau und das Kind sollen sich einfügen in die Bedürfnisse des Staates, des Marktes, der Wirtschaft. Das ist Kapitalismus pur. Und im gleichen Atemzug greift der Staat ohne merkliche Gegenwehr der Familien in Deutschland immer weiter in die privatesten Räume des Individuums ein. Das Private ist längst politisch.
Zielvorgaben dieser Evaluation war ja nicht: Machen diese Instrumente die Familien glücklich, zufrieden, lassen sie Zeit und Raum für Familie, sondern die Frage, kommen durch diese Politik mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt, kommt mehr Geld in die Sozialkassen bei gleichzeitigem Anstieg der Geburtenrate. Und selbstredend: Wie sieht es aus mit der Frauenfrage? Entsprechend die Empfehlungen der Experten, die jedes Geld verteufeln, das bar an Familien fließt und jedes Instrument in den Himmel loben, das in Institutionen fließt. Weil nur dadurch gewährleistet wird, dass der Anteil erwerbstätiger Frauen gesteigert wird. Das ist das eigentliche Ziel der Familienpolitik.
Auf dem Weg zum Nanny-Staat
Da redet eine ganz Gesellschaft von Vielfalt, von individueller Förderung, von der Suche nach Talenten, die wir ja so dringend brauchen – erlaubt sich aber gesellschaftspolitisch auf Einbahnstraße zu schalten. Diversity – ein gern genutztes Schlagwort der selbsternannten, toleranten Moderne, sie gilt nur für die möglichst vielfältige sexuelle Ausrichtung des Menschen, seltsamer Weise aber nicht für unterschiedliche Erziehungsstile, Lebensstile, unterschiedliche Weltanschauungen, unterschiedliche Wertvorstellungen. Die Diversität im Denken ist aus der Mode gekommen. Wäre ihre Grundvoraussetzung ja die Freiheit, selbst über das eigene Leben zu entscheiden. Die Freiheit, als Familie den eigenen Lebensstil selbst zu wählen. Die Freiheit, die Kinder nach den eigenen und sehr unterschiedlichen Vorstellungen zu erziehen. Stattdessen macht sich eine breite Versorgungs- und Betreuungsmentalität breit.
Beängstigend ist dabei, wie alle Parteien inzwischen den Gedanken aufgegeben haben, dass die Familie sich möglicherweise alleine organisieren könnte. Wir steuern auf den Nanny-Staat hin, auf die Fürsorge vom Kreissaal bis zu Bahre – selbstredend alles nur zu unserem Besten. Worte wie Elite, egal ob geistig oder finanziell, sind Schimpfworte geworden. Besserverdiener, Leistungsträger – sie sind die Feindbilder in einer Gesellschaft, in der alle gleich sein sollen, niemand mehr haben soll, keiner voranschreiten darf und niemand herausragen soll.
Die SPD warb im vergangenen Wahlkampf mit dem Slogan „Das WIR entscheidet“ – eine Drohung für jeden selbständig denkenden Menschen und eine Ansage an das Individuum: Du bist nur im Kollektiv wertvoll. Konsequent steuert die Familien- und damit die Gesellschaftspolitik der SPD schon lange auf eine völlige Beseitigung des Privaten hin, in einhelliger Allianz mit den Bedürfnissen des Kapitals und mit freundlicher Unterstützung der Damen Feministinnen – wird aber allen Ernstes als soziale Politik verkauft. Die Erringung der „Lufthoheit über den Kinderbetten“, die Olaf Scholz einst ausrief, ist längst Programm: Verteufelung des Betreuungsgeldes, das Familien Raum für Privates lassen würde, der Ausbau der U3-Betreuung, damit möglichst jedes Kind spätestens nach einem Jahr in staatliche Hand kommt, erste Stimmen zur Einführung einer Kitapflicht, um auch die letzten störrischen Eltern einfach zu zwingen, sich ihrer Kinder und somit des elterlichen Erziehungsauftrages zu entledigen. Ganztagskitas, flächendecken Ganztagsschulen, Frauenvollbeschäftigung. Einheitsschulen, in denen niemand schneller vorankommen soll, weil es die Gleichheit stören würde. Endziel: Familie nur noch als WG mit abendlicher Quality-Time am gemeinsamen Kühlschrank.
Die CDU marschiert hier fröhlich mit und hat spätestens seit Ursula von der Leyen den Schritt in die Sozialdemokratisierung ihrer Familienpolitik komplett vollzogen. Inhaltlich nahezu deckungsgleich mit der SPD, gefangen in einem tiefen Misstrauen gegenüber Eltern, dass seinen Höhepunkt fand in der Betreuungsgelddebatte. Bis heute freut sich die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt immer wieder öffentlich darüber, wie schön ihre Nachfolgerin von der Leyen die Politik der SPD im Familienressort fortgeführt hat. Und so darf man sich leider nicht täuschen lassen dadurch, dass die CDU das Betreuungsgeld letztendlich doch im Bundestag durchgewunken hat. Man tat es mit zusammengepressten Lippen, um keinen Eklat mit der CSU zu provozieren. Es dominiert aber die von der Leyensche Krippenmentalität und der auch offen ausgesprochene Generalverdacht, Eltern würden Kindergeld und Betreuungsgeld vor dem Flachbildschirm versaufen.
Liberalismus erschöpft sich nicht in der Ablehnung der Praxisgebühr
Von der Linken reden wir am besten gar nicht. Immerhin konsequent, dass sie die alte DDR-Politik fortführt, hat sich die SED-PDS-WASG-Linke doch nie von ihrer eigenen Vergangenheit distanziert. Entsprechend wabert über ihrer Familienpolitik immer noch der Geist von Margot Honecker, es fehlt nur noch ein Revival der DDR-Wochenkrippen.
Eingereiht in die kollektivistische Familienpolitik haben sich inzwischen auch die Grünen. Was ist nur aus der Partei der Kinderläden geworden? Aus den Zeiten, als Kinder noch täglich spielen mussten, was sie wollten, frei von Zwang, von Autorität. Während man also früher die Kinder von ihren Eltern befreien wollte, warben die Grünen im Wahlkampf mit Plakaten wie „Freiheit für Eltern“ – also Krippe um Eltern von den Kindern zu befreien. Fast wünscht man sich die Zeiten zurück, in denen Kinder noch ihren Namen tanzten, denn heute wollen auch die Grünen sie möglichst bereits nach zwölf Monaten mit Bildung zwangsbeglücken, selbstredend in staatlichen Einrichtungen. Die Wahlverluste der Grünen lassen hoffen, dass dem ein oder anderen aufgegangen ist, dass Bionade lebenslänglich und die Umerziehung zum besseren Menschen doch keine so gute Ideen sind.
Letzte Hoffnung FDP. Am Abend des Wahldebakels stand Christian Lindner vor den Kameras von ARD und ZDF und redete von „wirtschaftlicher Vernunft“ gepaart mit „gesellschaftlicher Liberalität“. Ja, wollte man da begeistert rufen, wenn es denn bei der FDP noch eine Idee gäbe zur Frage einer liberalen Gesellschaft. Wo ist sie denn liebe FDP? Gesellschaftliche Freiheit, liberale Gedanken erschöpfen sich nicht in der Befreiung von der Praxisgebühr oder der Minderung von Steuersätzen für Hoteliers. Und vielleicht wäre es die Chance auf ein Comeback der FDP, wenn man sich wieder damit befassen würde, was der freie Bürger, der Einzelne in dieser Gesellschaft noch wert ist. Wenn man das Subsidiaritätsprinzip nicht nur auf wirtschaftliche Prozesse, sondern auch auf die Verteidigung des Privaten anwenden würde. Wenn man wieder anfängt groß zu denken, frei zu denken. Stiefmütterlich hat man bei den Liberalen vor lauter Wirtschaftsfreundlichkeit vernachlässigt, woher denn noch in 50 Jahren die Freidenker, die Unternehmer, die Risikofreudigen, die Leistungswilligen kommen sollen, wenn wir heute darauf hinarbeiten, jede Motivation, die aus der DIN-Norm fällt im Keim zu ersticken. Denkt man die heutigen, parteiübergreifenden, familienpolitischen Ansätze bis zum bitteren Ende durch, dann findet Familie in 50 Jahren nicht mehr statt. Eigenverantwortung wird ein Fremdwort sein. So schön die Errungenschaften eines Wohlfahrtsstaates auch sind, so werden sie doch zu gesellschaftspolitischem Gift, wenn damit die Eigenverantwortung und der familiäre Zusammenhalt zerstört werden. Wozu noch Kinder groß ziehen, wenn jede Investition in die nächste Generation in der Rente später bestraft, anstatt belohnt wird? Wozu noch Unternehmergeist, wenn jeder Erfolg nur beneidet und besteuert wird? Wozu noch Mitmenschlichkeit und Ehrenamt, wenn nur noch zählt, wer Geld verdient und Steuern zahlt?
Die Lösung unserer familienpolitischen Misere mit immer ärmeren Familien und immer weniger geborenen Kindern liegt also möglicherweise nicht in einem Mehr an Wohlfahrt und staatlicher Rundumbetreuung, sondern in einem Weniger an staatlicher Intervention. Einem Mehr an Freiheit. Nehmt den Familien nicht mehr so viel weg, dann müsst ihr ihnen nicht so viel zurückgeben. Entlasst die Familie in die Freiheit. Man müsste sie alle auf die Barrikaden schicken, wenn die Familien nicht oft schon so eingelullt wären durch das Mantra, das der Staat ihnen angeblich helfe. Stattdessen werfen sie sich in den Staub und danken demütig für die Brotsamen, die man ihnen zuwirft, die ihnen der Staat aber vorher doch selbst erst aus der Tasche gezogen hat.
Wir brauchen keine Wirtschaftsliberalität, wir brauchen eine neue Familienliberalität. Jede Familie eine eigene Versorgungseinheit, eine Widerstandsnest gegen die Vereinnahmungstendenzen des Staates. Vergessen Sie die afrikanischen Dörfer, die man angeblich braucht, um ein Kind groß zu ziehen. Sie sind wieder nur Kollektive, verpackt in afrikanische Steppenromantik. Wir brauchen gallische Dörfer, Freidenker, Widerständler. Familien, die sich füreinander verantwortlich fühlen, aus denen dann Kinder entwachsen, die wirklich individuell gefördert wurden. Dafür braucht es Zeit. Miteinander, nicht nebeneinander. Denn Eigenverantwortung und Zusammenhalt erlernt man nicht im Frontalunterricht, sondern als Wert, der in der Familie weiter gereicht wird.