Liberalismus Was Freiheit heute braucht

Seite 2/6

Marionettenspieler

Den Neoliberalen ging es in den 1950er-Jahren vor allem darum, diese Voraussetzungen sichtbar zu machen – und die Marktwirtschaft in eine "Gesamtlebensordnung" einzubetten, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage dauerhaft sichert. Für den Ökonomen Wilhelm Röpke (1899–1966), den schärfsten Denker und größten Stilisten unter ihnen, kommt die Marktwirtschaft erst dann zu sich, wenn sie auch "moralisch jener Mitte entspricht", die das alltägliche bürgerliche Leben kennzeichnet.

Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Gemeinsinn und feste sittliche Normen – das alles sind für Röpke "Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen".

Röpke hatte nach dem "fast schattenlosen Optimismus des großen liberalen Jahrhunderts von 1814 bis 1914" bereits 1958 nur noch Verachtung übrig für den "Animalismus" einer Gesellschaft, die "ihr Glück in Freizeit, technischen Wundern und ständiger rascher Ortsveränderung auf Zementbahnen sucht", und rief seine Leser dazu auf, sich dem "Massenangriff des Betons" mit grünkonservativen Mitteln zu entziehen: Wald, Garten, Hausmusik, Bücher, Kirche, Familie und Kinder.

Staatliche Eingriffe sind kein Problem

Die Marktwirtschaft war für die Neoliberalen gleichsam das natürliche Korrelat zu dieser Gesamtlebensordnung: eine "liberale Sozialtechnik", die eine mittelständische Gesellschaft formt, deren Unabhängigkeit vom "Kolossalvormund" Staat maximal und deren "Gruppenappetit" auf Sicherheit und Genuss sehr mäßig ist (Röpke).

Zu den Voraussetzungen dieser neoliberalen Marktwirtschaft gehören, so Müller-Armack, eine stabile Währung, also "ein streng gegen allzu große Expansion abgeriegeltes Geld- und Kreditsystem" und ein gesunder Betriebsaufbau, das heißt: eine Wirtschaftspolitik, die mittelständische Firmen fördert und Machtkonzentration verhindert. Außerdem ist für Müller-Armack selbstverständlich, dass in der Konkurrenzwirtschaft alle Teilnehmer das Prinzip Eigenverantwortung beim Wort nehmen und für ihre Verluste geradestehen – und dass Unternehmen ihre Geschäftspolitik nicht an der Gewinnmaximierung, sondern an den Bedürfnissen des Konsumenten orientieren.

Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, gibt Müller-Armack zu bedenken, könne die Marktwirtschaft ihre doppelte Funktion erfüllen: in ökonomischer Hinsicht als eine Art "Signalapparat", der Knappheitsverhältnisse anzeigt und das Spiel von Angebot und Nachfrage steuert – und in soziologischer Hinsicht als "Organisationsprinzip", das eine "extreme Gewaltenteilung" begünstigt, weil es durch verstärkte Konkurrenz wirtschaftliche Macht verteilt. Solange der Preismechanismus und das Konkurrenzprinzip nicht angetastet würden, seien staatliche Eingriffe in die Marktwirtschaft durchaus kein Problem.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%