Liberalismus Was Freiheit heute braucht

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Entsprechend fällt dem Liberalismus heute die dreifache Rolle zu, das Prinzip des Eigentums global und generationenübergreifend zu denken, das Prinzip der Sorge pädagogisch auf die Spitze zu treiben – und das Prinzip der Freiheit zugleich entschlossen gegen politische Nivellierungsversuche zu verteidigen.

Der Liberalismus der Zukunft muss einerseits radikal aufklärerisch sein – und uns in aller Deutlichkeit über den Unterschied informieren, den es für uns und unsere Nachfahren macht, einen 15-Liter-SUV oder einen Drei-Liter-Polo zu fahren. Und er muss andererseits die Freiheit derer schützen, die nicht nur Kürbis vom Biobauern nebenan essen wollen, sondern auch mal eine Flugananas – und sei diese Wahl noch so vernunftfrei.

Er darf uns jederzeit auf die volkswirtschaftliche Bedeutung eines naturwissenschaftlichen Studiums hinweisen, muss sich aber zugleich seine Sympathie erhalten für all die Träumer und Taugenichtse, die ihr Leben auf eigene Rechnung während eines "ewigen Sonntags" vertändeln (Eichendorff). Es ist am Liberalismus, uns täglich daran zu erinnern, dass jede Einschränkung der Freiheit gut begründet werden muss – und nicht umgekehrt: dass jede Freiheit, die man sich nimmt, sogleich unter Verdacht gestellt werden darf, andere zu schädigen.

Seiner Pflicht indes, einer verantwortungsvoll ergriffenen Freiheit einen höheren Wert beizumessen als einer an Geld, Genuss oder Zukunftsvergessenheit verschwendeten, ist der Liberalismus damit keineswegs enthoben.

Liberale Wirtschaftspolitik

Zu Mills Zeiten mochte es wohl sein, dass der "Verlust an Achtung" Strafe genug war für jemanden, der seine Freiheit vergeudete und seiner Verantwortung entfloh. Heute kann sich jeder seinem Achtungsverlust und seiner Haftung entziehen und dabei auf den Beifall seiner peer group zählen – sei es in einer Straßengang oder in einem tropischen Steuerparadies.

Eine liberale Wirtschaftspolitik zeichnet sich deshalb nicht dadurch aus, möglichst viele Anreize zu setzen und möglichst wenig Verbote auszusprechen, sondern dadurch, dass sie gut begründet, warum sie sich von Fall zu Fall einmischt.

Tabu sind Maßnahmen der allgemeinen Preis- und Lohnbindung – sie zerstören das Fundament der Marktwirtschaft, deren überragende Vorzüge heute evident sind. Zur Sicherung der Freiheit und Marktwirtschaft in der Moderne aber gehört ein Eigentumsbegriff, der auf Erhaltung statt Expansion, auf Sicherung statt Säumigkeit und auf Verantwortung statt Vergeudung setzt, also eine Ordnungspolitik, die uns befähigt, unsere Freiheit dauerhaft, sinnvoll und generationenübergreifend ausüben zu können.

Geldwertstabilität, Schuldenabbau, Bildungsgerechtigkeit und Lohnuntergrenzen gehören daher genauso zu ihren Prämissen wie ein Sozialstaat, der seine Fürsorge auf Härtefälle konzentriert, die konsequente Einrechnung von Umweltkosten – und natürlich die rigorose Durchsetzung des Haftungsprinzips für alle am Markt eingegangenen Risiken. Anders gesagt: Eine liberale Wirtschaftspolitik zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie durch Tatenlosigkeit "Systemrisiken" erzeugt, die politische "Alternativlosigkeiten" zur Folge haben, sondern dadurch, dass sie auf die größtmögliche Abwesenheit von Zwängen besteht – und unseren Nachkommen die Freiheit erhält, sie wahrnehmen zu können.

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