Liberalismus Zehn Thesen zu einer global verantworteten Selbstbestimmung

Der Liberalismus hat Zukunft. Man muss ihn nur beim Wort nehmen. Der Tübinger Wirtschaftsethiker Claus Dierksmeier über Unternehmer als Wegbereiter eines gelingenden Lebens und die Grundlagen einer enkelfähigen Ökonomie.

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Liberalismus in Zeiten der Globalität. Quelle: dpa, Montage

Freiheit ist der Leitwert unserer sozialen Marktwirtschaft. Denn sowohl ihre regulative Rahmenordnung als auch eine entsprechende Politik der Chancengerechtigkeit dienen der Freiheit der Einzelnen. Dabei setzt die soziale Marktwirtschaft Ideen, Initiativen und Innovationen frei, die uns Wohlstand und Fortschritt bringen. Deutschland wird in der Welt darum beneidet. Dennoch hat die Idee der Freiheit an vielen Orten derzeit einen schlechten Ruf. Viele Menschen glauben, die freiheitliche Dynamik der wirtschaftlichen Globalisierung gefährde die demokratische und kulturelle Selbstbestimmung. Kritiker misstrauen der Freiheit – und insbesondere dem freien Unternehmertum – und vertreten dagegen die Gerechtigkeit als globalen Leitwert.

Ich halte an der Freiheit als Leitwert einer menschenwürdigen Entwicklung fest und glaube, Unternehmer können zu Wegbereitern eines gelingenden Lebens für alle Menschen werden. Aber: Dafür müssen wir uns darauf besinnen, dass Freiheit verpflichtet – und Verantwortung befreit. Nur wo Freiheit nicht als Entschuldigung für engherzigen Egoismus herabgesetzt, sondern zur Grundlage großherziger Verantwortung gemacht wird, ist sie Treiber weltweiten Wohlstands und sozial wie ökologisch nachhaltiger Lebensverhältnisse. Dazu zehn Thesen.

1. Globalisierung war gestern, Globalität ist heute.

Nie gab es mehr Produkte, mehr Kommunikation, nie waren wir mobiler als jetzt. Nie aber hatten wir auch mehr Verantwortung. Denn wie wir produzieren und konsumieren, beeinflusst im Guten wie im Schlechten Menschen, die am anderen Ende der Welt leben – schon heute, spätestens aber morgen. Die Dynamik weltwirtschaftlicher Freiheit birgt enorme Chancen, aber ohne weltrechtliche Rahmenordnung auch ernst zu nehmende Risiken, insbesondere ökologischer und sozialer Art.

2. Wer global wirkt, muss sich weltweit verantworten.

Kritische Konsumenten, kluge Unternehmer und vorausschauende Politiker leben uns globale Verantwortung vor. Immer mehr Bürger fragen sich, ob und wie ihr Wirtschaftsverhalten zu einer Welt beiträgt, die „enkelfähig“ ist. Unternehmer reduzieren ihren ökologischen Fußabdruck und bemühen sich um eine menschenrechtlich saubere („blaue“) Lieferkette.

Zur Person

Politiker und Vordenker internationaler NGOs ersinnen und erproben Wege zu einer „global governance“. Diese Vorbilder zeigen: Freiheit und Verantwortung gehen Hand in Hand.

3. Der Leitwert der Globalität ist verantwortete Freiheit.

Freiheit ist keine fixe Idee des Westens. Überall auf der Welt streben Menschen, nach eigener Façon glücklich zu werden. Selbst wer freiheitliche Lebensentwürfe verwirft, braucht erst einmal eben jene Freiheit, sich so oder anders zu entscheiden. Das zeichnet die Freiheit als ersten und letzten Maßstab aller Werte aus – auch vor der Gerechtigkeit, die sich an ihrem Beitrag zur Freiheit messen lassen muss.

4. Die lange vorherrschende Idee von "negativer Freiheit".

Negative Freiheit zielt auf die Abwesenheit von staatlichem Zwang. Sie folgt einer quantitativen Logik des „Je mehr, desto besser“ und suggeriert: „Weniger Staat = mehr Freiheit“. Das ist doppelt naiv. Zum einen wird heute in einer digitalisierten und vermachteten (Finanz-)Ökonomie die Freiheit auch seitens der Wirtschaft bedroht. Zum anderen: Wer nur Zwang abbaut und nicht auch Chancen aufbaut, privilegiert die Mächtigen und die Besitzenden. So gerät Freiheit zum Stoppschild für Veränderung. Wir brauchen aber eine dynamische Gesellschaft, um dem rasanten Wandel unserer Lebensverhältnisse verantwortlich gerecht zu werden.

5. Die klassisch-liberale Freiheitsidee zielte stets auf weltbürgerliche Verantwortung.

Der Liberalismus erstrebt die Freiheit aller Menschen. Die Sorge um die Freiheit der Nächsten wie der Fernsten galt liberalem Denken schon immer als moralische Pflicht und sittlicher (heute würde man sagen: zivilgesellschaftlicher) Auftrag wie auch als Zielbestimmung von Politik. Denn Freiheit ist eine unteilbare Idee. Die Freiheit der einen darf daher nicht auf Kosten der Freiheit der anderen erschlichen werden. Deshalb müssen folgende qualitativ ausgerichtete Fragen unser Handeln orientieren: „Wessen und welche Freiheiten haben Vorrang? Stehen unsere Freiheiten im Einklang mit der Freiheit aller?“

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