Lieber Impfen statt Testen „Das ist Aktionismus“: Betriebsärzte wehren sich gegen Testpflicht in Betrieben

Sind Unternehmen bald verpflichtet Coronatests wie diesen anzubieten? Betriebsärzte halten das für keine gute Idee. Quelle: dpa

Arbeitsminister Heil will kommende Woche eine Testpflicht für Betriebe auf den Weg bringen. Die Tests würden dafür nicht ausreichen, kritisieren die Betriebsärzte – besser sollte die Energie ins Impfen gesteckt werden.

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Die Regierung erwägt, die Testpflicht für Unternehmen strenger zu regulieren. Zwar lobte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag die Bemühungen der Wirtschaft – doch zu den geplanten Verschärfungen des Infektionsschutzgesetzes könnten auch eine umfassendere Testpflicht für die Wirtschaft gehören, hieß es bereits am Freitag aus Berliner Regierungskreisen. Am Wochenende dann äußerten sich Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) noch einmal sehr eindeutig, dass sie eine Corona-Testpflicht für Unternehmen zeitnah auf den Weg bringen wollen. „Wir müssen die Unternehmen verbindlich dazu verpflichten, ihren Beschäftigten ein Testangebot zu machen. Das sollte Bestandteil unserer Corona-Beschlüsse in der kommenden Woche sein“, sagte Scholz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Heil kündigte den gleichen Plan im der „Bild am Sonntag“ an. „Um die zu schützen, die nicht von zu Hause arbeiten können, brauchen wir flächendeckend Tests in den Betrieben“, sagte Heil der Zeitung. „Ich will, dass wir das am Dienstag in der Bundesregierung beschließen.“

Doch dagegen wehren sich nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Betriebsärzte. „Die Testpflicht für Unternehmen ist reiner Aktionismus, der offensichtlich vom Impfdebakel ablenken soll“, kritisiert Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte. „Es wäre besser, wenn die Regierung ihre Energie in Impfungen stecken würde“, forderte sie: „Denn um die Pandemie wirksamer zu bekämpfen, ist zuvorderst nicht die Brückentechnologie Testen wichtig, sondern Impfen. Deshalb sollten wir auch nicht über eine Testpflicht diskutieren, sondern über eine Impfpflicht.“

Warnung vor „Scheinsicherheit“

Grundsätzlich seien die Betriebsärztinnen und -ärzte zwar gewillt, die Tests durchzuführen, aber „die Verfügbarkeit an Tests ist zum Teil schlecht“, beklagt Wahl-Wachendorf. Es gebe bei den Betriebsärzten „massiv Anfragen nach Testverfügbarkeit“, die aber wegen weiterhin bestehender Knappheit nicht abgedeckt werden könnten.

Zudem warnte Wahl-Wachendorf vor einer „Scheinsicherheit“, die es durch die Tests geben würde. Nicht immer seien die Ergebnisse des Schnelltests korrekt. „Sinnvoll sind die Tests, wo Menschen beruflich notwendig länger räumlich eng zusammenarbeiten“, sagte Wahl-Wachendorf.

In der Koalition gibt es aktuell Streit um die Pflicht, ob und wie viele Schnell- und Selbsttests Unternehmen ihren Mitarbeitenden anbieten müssen. Derzeit gilt eine Selbstverpflichtung, die nach Ansicht von Wirtschaftsminister Altmaier ausreichend ist. „Es ist erstaunlich, wie viel erreicht wurde“, sagte Altmaier am Freitag. Dennoch forderte er die Firmen auch dazu auf, ihr Angebot zu verbessern. Eine Steigerung sei „machbar und möglich“.

Finanzminister Scholz will hingegen nicht weiter auf Freiwilligkeit setzen. Am Donnerstag hatte eine veröffentlichte Umfrage von Arbeits- und Wirtschaftsministerium gezeigt, dass 61 Prozent der Beschäftigten Tests von ihren Arbeitgebern angeboten bekommen. „Das ist nicht genug“, sagte Scholz. Deswegen seien nun gesetzliche Regelungen notwendig.

Kommt die Pflicht ins Infektionsschutzgesetz?

Die SPD dürfte ihre Forderung nach einer solchen Testpflicht deutlich einbringen, wenn am Wochenende nun die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes erarbeitet wird. Noch ist im Detail unklar, welche Bereiche die Verschärfungen umfassen werden. Fest steht bisher nur, dass ab einer sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz über 100 eine bundesweit verbindliche „Notbremse“ gelten soll. Bundesarbeitsminister Heil kündigte am Freitag auf Twitter an, bereits einen Verordnungsentwurf zur Testpflicht vorbereitet zu haben. „Als Beitrag zum Arbeitsschutz wird die Bundesregierung Anfang der Woche über ein flächendeckendes verpflichtendes Testangebot der Unternehmen für alle Arbeitnehmer/innen entscheiden“, erklärte Heil.

Um die bisherigen Tests zu überprüfen, hatten Arbeits- und Wirtschaftsministerium seit der letzten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 22. März etwa 2500 Beschäftigte und 1000 Unternehmen befragt.



Mit Blick auf die Unternehmensgröße zeigt die Befragung nur geringfügige Unterschiede der Testangebote: So testen kleine Unternehmen etwas seltener im Vergleich zu größeren Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten (64 Prozent).

Bemerkenswert ist jedoch auch, dass nur knapp jeder zweite Beschäftige (57 Prozent), der in Präsenz und nicht im Homeoffice arbeitet, das Testangebot seines Unternehmens annimmt – diese offensichtliche Testunwilligkeit kann aber auch nicht durch eine Testpflicht der Unternehmen beeinflusst werden, denn zwingen können die Firmen ihre Mitarbeiter nicht zum Test. Und eine effektive Kontrolle bei einer Testpflicht gilt als ohnehin nicht umsetzbar, zumindest nicht kurzfristig.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte der Wirtschaft zuletzt mit Auflagen gedroht, wenn nicht mindestens 90 Prozent der Firmen regelmäßige Testmöglichkeiten schaffen, am besten zwei Tests pro Woche.

Wirtschaft warnt vor weiterer Bürokratie

Die Wirtschaft lehnt eine solche Regelung ab. Sie fürchtet zusätzliche Bürokratie, die in der Coronakrise nur zu einer weiteren Belastung führe. Ohnehin würden zwischen 80 und 90 Prozent der deutschen Unternehmen testen oder den Teststart unmittelbar vorbereiten, teilten BDI, BDA, DIHK und ZDH diese Woche mit. Lieferschwierigkeiten und Beschaffungsprobleme würden die Umsetzung derzeit aber noch erschweren.

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„Kontraproduktiv“ seien die Verordnungen wie in Sachsen und Berlin, denn die Vorgabe von „dokumentierten Selbsttests“ beziehungsweise Testpflichten für Beschäftigte seien „weder praxistauglich noch geeignet oder erforderlich“. „Das breit getragene Engagement zu Tests wird so gebremst und führt zu Unsicherheit, ob die bereits angestoßenen Testverfahren auch die richtigen sind. Das fördert kein Vertrauen“, kritisierten die Wirtschaftsverbände.

Am Dienstag soll das Kabinett in einer vorgezogenen Sitzung über den Entwurf des Infektionsschutzgesetzes entscheiden, das dann zügig zur Verabschiedung in den Bundestag eingebracht werden soll. Die für Montag ursprünglich angesetzte MPK ist abgesagt.

Mehr zum Thema: Die verschleppte Impfkampagne soll endlich Fahrt aufnehmen. Doch mit mehr Vakzinen und der Unterstützung der Hausärzte wächst auch die Komplexität der Verteilung. Wie krisenfest ist das System?

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