Lieferengpässe So dramatisch treffen die Arzneimittel-Engpässe Deutschland

Quelle: Collage: Marcel Reyle

Aktuell besteht ein Lieferengpass für mehr als 330 Medikamente. Die Liste wird länger und macht der Bundesrepublik zunehmend zu schaffen. Diese Grafiken zeigen die Hintergründe der Engpässe.

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Immer häufiger gehen Menschen in Deutschland aus den Apotheken mit leeren Händen heraus. Denn: Viele Medikamente können zurzeit nicht geliefert werden. Das betrifft aktuell vor allem Kindermedikamente wie Fieber- und Hustensaft, aber auch einige Arzneimittel für Erwachsene.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt eine Liste mit Meldungen über Lieferengpässe von Pharmaunternehmen bereit. Das Register besteht seit 2013, hier sammelt das BfArM die freiwilligen Meldungen der Hersteller. Derzeit werden insgesamt 330 Medikamente aufgeführt, die einen Lieferengpass aufweisen. Bei vielen ist angegeben, dass der Engpass noch teilweise bis Mitte 2023 dauern wird.

Die Liste lässt außerdem die Dramatik der letzten beiden Monate erkennen: Im November und Dezember wurden bereits 131 Engpässe gemeldet, davon sind gerade immer noch 86 nicht verfügbar – und der Dezember ist gerade mal zur Hälfte rum. Die Liste wird automatisch aktualisiert. Und sie wächst.

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Christian Splett von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bestätigt, dass die deutschen Apotheken vor allem Engpässe bei Fiebersäften und -zäpfchen mit Paracetamol und Ibuprofen verzeichnen. „Aber auch Magensäureblocker und das Antibiotikum Amoxicillin sind aktuell schwer zu bekommen“. Die Liste weist außerdem eine Reihe weiterer Antibiotika, Antidepressiva und Krebsmedikamente auf.

Lieferengpässe seien nicht neu, sie gehören seit Jahren zu den Problemen von Apothekerinnen, „doch wir hören von vielen Apotheken, dass es jetzt schlimmer ist als in den Jahren zuvor“.

Die Engpässe sorgen für eine Belastung im Arbeitsalltag der Apothekerinnen. „Mehr als zehn Prozent der Arbeitszeit geht gerade dafür drauf, dass die Apothekerinnen mit Herstellern und anderen Apotheken telefonieren, um Alternativpräparate zu bekommen.“ Dabei sind nicht alle Präparate zu ersetzen. „Bei Fiebersäften gibt es nur wenige Anbieter und man kann nicht einfach ausweichen“, so Splett. Damit gehe außerdem Zeit verloren, die in die Kundenberatung investiert werden sollte.

Zu den meistgelisteten Herstellern, die in diesem Monat Engpässe verzeichnet haben, gehören 1 A Pharma und Infectopharm Arzneimittel und Consilium. 1 A Pharma meldet beispielsweise Ausfälle bei Medikamenten mit dem Wirkstoff Bisoprololfumarat, welcher unter anderem zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt wird.



Die Unternehmen melden, dass die meisten Engpässe durch eine erhöhte Nachfrage entstehen. Unzureichende Produktionskapazitäten und Probleme in der Herstellung sind vergleichsweise selten der Grund für einen Engpass. „Ein Lieferengpass bedeutet nicht pauschal, dass der Fehler irgendwo in einer Fabrik liegt“, so Splett, „es kann genauso gut sein, dass der Hersteller dieselbe Menge produziert wie die Jahre zuvor, nur jetzt eine riesige Nachfrage besteht, die zu dieser Differenz führt“.



Das scheint nach Informationen des BfArMs auch der Fall bei den Engpässen von paracetamol- und ibuprofenhaltigen Kinderarzneimitteln zu sein. So „werden kontinuierlich Arzneimittel in den Markt gebracht“, doch die aktuell erhöhte Zahl der Atemwegsinfektionen bei Kindern führe zu einem Mehrbedarf. Außerdem wurde zwischen Ende Juni 2022 und Anfang Juli 2022 die Nachricht berichtet, dass einer der größten Anbieter für diese Produkte die anstehende Winterbevorratung absagt. In der Folge konnte ein deutlicher Anstieg der Einkäufe von Apotheken beobachtet werden, woraufhin die Verfügbarkeit der Produkte abgenommen hat.





Wie geht es weiter?

Christian Splett macht auf die Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung aufmerksam, die Apotheken unter anderem einen größeren Spielraum dafür gibt, Arzneimittel bei Nicht-Verfügbarkeit auszutauschen und andere Packungsgrößen abzugeben, zum Beispiel zwei 50er Tabletten-Packungen anstatt eine 100er. Die Verordnung läuft aber im April 2023 aus: „Da die Engpässe erstmal nicht verschwinden, muss die Verordnung entfristet werden“.
Expertinnen bringen außerdem eine staatliche Produktion lebenswichtiger Arzneimittel in Deutschland ins Spiel. Denn: Über 60 Prozent der hierzulande verwendeten Arznei-Wirkstoffe stammen aus China und Indien. Deutschland hat sich dadurch abhängig gemacht.

Nach der Verlagerung an günstigere Produktionsstandorte in den vergangenen Jahrzehnten sei es Zeit für ein Umdenken, sagte Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung, am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Wir müssen jetzt schon den Weg gehen, dass wir das Ganze wieder zurückholen. Vielleicht muss man auch diskutieren, dass wir bundeseigene Produktionsstätten brauchen für lebenswichtige Medikamente.“

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